Samstag, 17. August 2013

PARADIESVÖGEL UND ARBEITSWELTEN. bauhaus und neues sehen. 3 Fotografinnen in der Darmstädte Kunsthalle

Elsbeth Juda (Jay)s Name war mir bis Anfang dieser Woche unbekannt. Das will nicht viel heißen, denn mein Gedächtnis für Namen (ganz anders als das für Gesichter) ist schlecht und ich bin auch keine Expertin für Fotografie. Von Lucia Moholy und Gertrud Arndt indes hatte ich immerhin schon einmal gehört.

In der Darmstädter Kunsthalle wird derzeit die Ausstellung "bauhaus und neues sehen" mit Arbeiten dieser drei Fotografinnen gezeigt (ursprünglich war die Ausstellung bis zum 4. August terminiert, ist aber wegen des großen Interesses bis zum 8. September verlängert worden). Der nach Potsdam ins Museum Barberini wechselnde langjährige Leiter der Kunsthalle, Peter Joch, stellt die Fotografie-Schau in den Kontext des von ihm verfolgten Programmes, das er als "anthropologischen Realismus" bezeichnet. Mit diesem Konzept soll das künstlerische Schaffen aus einem lebensweltlichen Kontext heraus befragt und begriffen werden, also Annäherungen an Kunstpraxen, die auf ganz unterschiedlichen Wegen die Befreiung aus dem sterilen Gefängnis der Kunstautonomie suchen. Seit der Moderne mühen sich alle Avantgarden um solche Befreiungsschläge, mit denen die Kunst aus der "Institution Kunst" hinausgeführt, gleichsam eine "Re-Integration" der Kunst ins Alltagsleben, in Dekor, Gebrauch, Unterhaltung und Kommunikation betrieben wird. (Die Reaktionen der "Institution Kunst" auf diese Versuche reichten von Abwehr und Herabwürdigung bis zur Musealisierung und waren/sind immer wieder erfolgreich .) 

Die drei Fotografinnen, die in der Darmstädter Ausstellung präsentiert werden, sind auf unterschiedliche Weise mit dem Bauhaus verbunden gewesen, mit dessen Idee vom "Gesamtkunstwerk", einem umfassenden utopischen Lebensentwurf, in dem Architektur, Kunsthandwerk, Produktgestaltung, bildende Kunst, Arbeiten und Wohnen miteinander in Beziehung gebracht werden sollten. 

Lucia Moholy (1894 - 1989) ist berühmt geworden als Fotografin der Bauhaus-Archiktetur in  Dessau. Ihre Bilder stellen die geometrischen Bauentwürfe einer Betrachterin so vor Augen, dass durch betonte Diagonalen und Verkürzungen eine Dynamik entsteht, die sie gleichsam in einen Dialog mit den Gebäuden bringt. Sie dokumentiert in diesen Bildern nicht bloß die Arbeit der Architekten, sondern stellt durch die Auswahl der Bildausschnitte und die Bildkomposition Bezüge auch zur traditionellen Landschaftsmalerei her, gewinnt die Betrachterin für neue und radikale Blicke, die dem unbelebten Material quasi Leben, einen Charakter verleihen.

Gertrud Arndt (1903 - 2000) ist vor allem bekannt durch die auch in Darmstadt zu sehende Serie von Selbstbildnissen unter dem Titel "Maskenphotos". Die Grimassen und Mimiken, die Arndt in dieser Serie dem eigenen Gesicht abfotografiert, können als ein "Katalog von menschlichen Ausdrucksformen" (Joch) gelesen werden. Arndt kostümiert ihr Gesicht und ihren Körper, verkleidet sich mit Netzen, Hüten, Kleidchen, nimmt Posen und Züge an, die jederzeit auf ihr Einstudiert-Sein verweisen. Die Maskenphotos untersuchen kein "Ich", sondern reflektieren und parodieren mit ihren burlesken Kostümen das traditionelle Geschlechterverhältnis und das durch es entworfene "Frauenbild" in all seinen überkommenen Variationen. Einmal mehr wird auch am Beispiel Arndts offensichtlich, wie häufig ein weibliches Kunstschaffen sich erst über und durch diese Bilder hindurch freizusetzen vermag, die alles Sehen ("der Frau", also auch ihre Selbstsicht) prägen.

Aber dann kommen Elsbeth Juda (geboren 1911) Fotografien - und: So interessant und gekonnt mir die Fotographien von Moholy und Arndt bis dahin erschienen, sie wurden buchstäblich in den Schatten gestellt, durch Judas Porträts. Juda, die in Darmstadt geboren wurde und nach der Emigration eine Schülerin von Moholy in London war, fotografierte die meisten ihrer Bilder für das von ihrem Mann herausgegebene Magazin "The Ambassador", das nach 1945 Handelsblatt und Werbeträger für die angeschlagene Wirtschaft Großbritanniens wurde. Judas Porträts für die britische Textilindustrie unterlaufen, gerade so wie Gertrud Arndts "Maskenphotos" die gängigen Klischees von weiblicher Schönheit. Juda stellt das berühmte Fotomodell Barbara Goalen (eine elegante, distanzierte Lady, keine sexy Barbie-Puppe wie Heidi Klum et.al.) in ungewöhnliche Kontexte: auf Feuertreppen, in Fabrikhallen, auf das Dach eines Hauses. Dabei ist Goalen, schaut eine genau hin, nicht mit einem Kleid "bekleidet", sondern sind lediglich Stoffbahnen auf und über ihren Körper drapiert. Die Inszenierung der Frau als Produkt wird hier sichtbar gemacht und ironisch gebrochen. "Die schöne Frau" als Kunstprodukt wird nicht angeboten, sondern ihre Konstruktion offengelegt. 

In anderen Porträts stellt Juda die verschiedenen Klassen der britischen Gesellschaft dar: Oberschicht-Jüngling im Dandy-Look, Arbeiter an den Maschinen, Hausfrauen, Churchill mit Graham Sutherland. Dabei inszeniert sie alle in der gleichen intensiven, an niederländische Porträtmalerei erinnernden, mit starken Licht-/Schatten-Kontrasten arbeitenden Weise. Ihre Arbeiten entblößen die sozialen Widersprüche und verweisen zugleich den Mythos von der "natürlichen Ordnung" ins Reich der Legenden. 

Elsbeth Judas Arbeiten waren für mich die Entdeckung dieser Ausstellung.

Noch bis zum 8. September! Gehen Sie hin!


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