Freitag, 10. Januar 2014

ROCKY GROUND (oder: "Ihre Lage ist nicht normal!")

Mini-Drama 9


Das Bühnenbild prägt eine riesige Canyon-Fototapete: rote Felsen, enge Schlucht; Kakteen und struppige Sträucher im Vordergrund, ein grauer Felsen links, sonst Sand.

Aus den Lautsprechern wird Gitte angespielt:

„Ich will ´nen Cowboy als Mann.“


Kolma Puschi
mit langem, dunklem Haar und ernstem Blick sitzt auf dem grauen Felsen und singt in tiefem Bariton mit

Halblut
liegt im Schatten unter einem riesigen Kaktus und schläft.

VITA
wie immer aus dem OFF.

 ****

Das Lied aus dem Lautsprecher endet. Kolma Puschi singt noch einen Augenblick mit der tiefen, männlichen Stimme weiter:

Kolma Puschi
Denn ich weiß, dass so ein Cowboy küssen kann.

Sie schweigt und blickt ernst vor sich hin. Die Sonne geht unter. Melancholie breitet sich über die Bühne aus. Kolma Puschi lässt den stolzen Kopf ein wenig sinken. Nur ein wenig.

Kolma Puschi
Wer gerecht denkt, darf das Verhalten der Weißen gegenüber den Roten nicht billigen. Auch der Indianer ist ein Mensch und steht im Besitz seiner Menschenrechte.

Halbblut schreckt auf, richtet sich halb auf und streicht sich die dunklen Haarsträhnen aus dem Gesicht.

Halbblut
Wie oft muss ich dir noch sagen, dass es nicht "Indianer" heißt.

Kolma Puschi
Das waren andere Zeiten. Die ersten Weißen wurden fast wie Götter aufgenommen und geehrt, aber diese Götter zeigten bald sehr menschliche oder vielmehr unmenschliche Eigenschaften. Fieberhafte Goldgier, Verrat und maßlose Selbstsucht haben das Leben von Millionen friedlicher Menschen vernichtet und die Geschichte um die Fortentwicklung einer eigenartigen, wohlberechtigten Kulturform gebracht.

Halbblut (lacht)
Es waren nicht nur Männer, die Weißen.

Kolma Puschi
Wem sagst du das. Ich habe dich geboren, mein Töchterchen. Sie werden dir im Irrenhaus ein ruhiges Zimmerchen verschaffen, wo du die Heldin spielen kannst, ohne ausgelacht zu werden.

VITA (aus dem OFF)
Ich bin mit dabei gewesen, als ihre Vagina sich öffnete, sich verwandelte von einer bescheidenen geschlechtlichen Öffnung in einen archäologischen Schacht, in ein heiliges Gefäß, in einen Canyon, worin ein winziges Kindchen steckte und auf seine Befreiung wartete.

Halbblut
Du kennst die Pforte. Du könntest mir den Weg weisen. Du gingst und wurdest Mann.

Kolma Puschi
Vorher musste ich auf einem Grab sterben.

Halbblut
Auf dem Grab stirbt man nicht. Nur darin.

Kolma Puschi
Wovon man keine Ahnung hat, soll  man schweigen. In den Gräbern liegen die Toten.

Kolma Puschi klopft mit einem Stock auf den Boden.

Überall liegen sie und düngen den Boden.

Halbblut
Mich kannst du nicht schrecken.

Dehnt sich.

Reiten wir weiter?

VITA (aus dem OFF)
Ihre Lage ist nicht normal!

Kolma Puschi (schmunzelt)
Du hast zuviel Karl May gelesen. Wir haben keine Pferde.

Halbblut
Sie wird uns schon alles geben: Pferde, Pulver, Blei, Flinten, Messer, Kleider und Fleisch.

Zwei Menschen in schwarzen Trikots tragen die Requisiten herein: Pferde, Pulver, Blei, Flinten, Messer, Kleider und Fleisch.

Kolma Puschi
Meinetwegen. Der Große Geist gibt.

Halbblut
Du meinst: Sie.

Kolma Puschi
Das Geschlecht ist mir egal.

Halbblut (ironisch)
Das merke ich.

(dann interessiert:)

Darf eine Kriegerin über Hunger klagen?

Kolma Puschi
Der Hunger ist ein Feind, der im Leibe steckt; mit ihm kann man nicht kämpfen, gegen ihn hilft weder List noch Taperkeit, er raubt dem mutigsten das Leben, ohne dass man es hindern kann. Darum ist es keine Schande, von ihm zu sprechen und über ihn zu klagen.

Halbblut (beißt einen Happen rohes Fleisch ab und spuckt das Gekaute wieder aus)
Und wie steht es mit der Verdauung? Darf eine Kriegerin darüber sprechen? Wohin geht sie, um zu pissen und zu scheißen?

Kolma Puschi (zuckt zusammen)
Du solltest dich zusammenreißen. Es wird noch schlimmer werden. Es ist schlimmer als eine Darmkrankheit.

VITA (aus dem OFF)
Wie das rumpelt in ihrem Bauch, wie das Kindchen im letzten Rest von Fruchtwasser die Erschütterungen spürt! Es ruckt mit dem ganzen Körper hin und her, ruckt im gleichen Rhythmus wie die Mutter springt.

Halbblut steht auf. Man sieht jetzt deutlich, dass sie schwanger ist.

Halbblut
Ich weiß, dass du für mich dein Leben hingeben würdest und dass du bei ihnen für mich gesprochen hast.

Kolma Puschi (tritt auf sie zu)
Du bist ihnen nahe. Wir müssen warten. Es wird kein Bub.

Halbblut
Sie sagten, sie wollten wie Brüder sein.

Kolma Puschi (verzieht angewidert den Mund)
Es wird kein Bub. Dessen bin ich gewiss.

Halbblut
Ich vertraue dir.

Kolma Puschi
Unser Leben ist wie ein einziges. Sie hielten dich für einen Bub. Wie mich für einen Mann.

Halbblut
Wann?

Kolma Puschi
Die Freundschaft der Bleichgesichter ist nichts wert. Wir werden weiter reiten. Fort. Du brauchst ihn nicht.

Halbblut
Was ist, wenn ich ihn will?

Kolma Puschi
Dann müssen wir uns trennen.

VITA (aus dem OFF)
Ich habe mich nicht selbst auf die Welt gebracht.

Kolma Puschi und Halbblut  schauen sich tief in die Augen und ergreifen einander an den Händen. Die Winnetou-Melodie erklingt.

Halbblut
Lebwohl.

Kolma Puschi
Du wirst willkommen sein, wann immer du kommst.

Sie gehen getrennt ab.




(Auch erschienen in der "Lärmenden Akademie" in der Serie "Und was machen die Frauen?")

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