Mini-Drama 9
Das Bühnenbild prägt eine riesige Canyon-Fototapete:
rote Felsen, enge Schlucht; Kakteen und struppige Sträucher im Vordergrund, ein
grauer Felsen links, sonst Sand.
Aus den Lautsprechern wird Gitte angespielt:
„Ich will ´nen Cowboy als Mann.“
Kolma Puschi
mit langem, dunklem Haar und ernstem Blick sitzt auf
dem grauen Felsen und singt in tiefem Bariton mit
Halblut
liegt im Schatten unter einem riesigen Kaktus und
schläft.
VITA
wie immer aus dem OFF.
Das Lied aus dem Lautsprecher endet. Kolma Puschi
singt noch einen Augenblick mit der tiefen, männlichen Stimme weiter:
Kolma Puschi
Denn ich weiß, dass so ein
Cowboy küssen kann.
Sie schweigt und blickt ernst vor sich hin. Die Sonne
geht unter. Melancholie breitet sich über die Bühne aus. Kolma Puschi lässt den
stolzen Kopf ein wenig sinken. Nur ein wenig.
Kolma Puschi
Wer gerecht denkt, darf das
Verhalten der Weißen gegenüber den Roten nicht billigen. Auch der Indianer ist
ein Mensch und steht im Besitz seiner Menschenrechte.
Halbblut schreckt auf, richtet sich halb auf und streicht
sich die dunklen Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Halbblut
Wie oft muss ich dir noch
sagen, dass es nicht "Indianer" heißt.
Kolma Puschi
Das waren andere Zeiten. Die
ersten Weißen wurden fast wie Götter aufgenommen und geehrt, aber diese Götter
zeigten bald sehr menschliche oder vielmehr unmenschliche Eigenschaften.
Fieberhafte Goldgier, Verrat und maßlose Selbstsucht haben das Leben von
Millionen friedlicher Menschen vernichtet und die Geschichte um die Fortentwicklung einer
eigenartigen, wohlberechtigten Kulturform gebracht.
Halbblut (lacht)
Es waren nicht nur Männer,
die Weißen.
Kolma Puschi
Wem sagst du das. Ich habe
dich geboren, mein Töchterchen. Sie werden dir im Irrenhaus ein ruhiges
Zimmerchen verschaffen, wo du die Heldin spielen kannst, ohne ausgelacht zu
werden.
VITA (aus dem OFF)
Ich bin mit dabei gewesen, als ihre Vagina sich
öffnete, sich verwandelte von einer bescheidenen geschlechtlichen Öffnung in
einen archäologischen Schacht, in ein heiliges Gefäß, in einen Canyon, worin ein winziges Kindchen steckte und auf seine Befreiung
wartete.
Halbblut
Du kennst die Pforte. Du
könntest mir den Weg weisen. Du gingst und wurdest Mann.
Kolma Puschi
Vorher musste ich auf einem
Grab sterben.
Halbblut
Auf dem Grab stirbt man
nicht. Nur darin.
Kolma Puschi
Wovon man keine Ahnung hat,
soll man schweigen. In den Gräbern
liegen die Toten.
Kolma Puschi klopft mit einem Stock auf den Boden.
Überall liegen sie und
düngen den Boden.
Halbblut
Mich kannst du nicht
schrecken.
Dehnt sich.
Reiten wir weiter?
VITA (aus dem OFF)
Ihre Lage ist nicht normal!
Kolma Puschi (schmunzelt)
Du hast zuviel Karl May
gelesen. Wir haben keine Pferde.
Halbblut
Sie wird uns schon alles
geben: Pferde, Pulver, Blei, Flinten, Messer, Kleider und Fleisch.
Zwei Menschen in schwarzen Trikots tragen die
Requisiten herein: Pferde, Pulver, Blei, Flinten, Messer, Kleider und Fleisch.
Kolma Puschi
Meinetwegen. Der Große Geist
gibt.
Halbblut
Du meinst: Sie.
Kolma Puschi
Das Geschlecht ist mir egal.
Halbblut (ironisch)
Das merke ich.
(dann interessiert:)
Darf eine Kriegerin über
Hunger klagen?
Kolma Puschi
Der Hunger ist ein Feind,
der im Leibe steckt; mit ihm kann man nicht kämpfen, gegen ihn hilft weder List
noch Taperkeit, er raubt dem mutigsten das Leben, ohne dass man es hindern
kann. Darum ist es keine Schande, von ihm zu sprechen und über ihn zu klagen.
Halbblut (beißt einen Happen rohes Fleisch ab und
spuckt das Gekaute wieder aus)
Und wie steht es mit der
Verdauung? Darf eine Kriegerin darüber sprechen? Wohin geht sie, um zu pissen
und zu scheißen?
Kolma Puschi (zuckt zusammen)
Du solltest dich
zusammenreißen. Es wird noch schlimmer werden. Es ist schlimmer als eine
Darmkrankheit.
VITA (aus dem OFF)
Wie das rumpelt in ihrem Bauch, wie das Kindchen im
letzten Rest von Fruchtwasser die Erschütterungen spürt! Es ruckt mit dem
ganzen Körper hin und her, ruckt im gleichen Rhythmus wie die Mutter springt.
Halbblut steht auf. Man sieht jetzt deutlich, dass
sie schwanger ist.
Halbblut
Ich weiß, dass du für mich
dein Leben hingeben würdest und dass du bei ihnen für mich gesprochen hast.
Kolma Puschi (tritt auf sie zu)
Du bist ihnen nahe. Wir
müssen warten. Es wird kein Bub.
Halbblut
Sie sagten, sie wollten wie
Brüder sein.
Kolma Puschi (verzieht angewidert den Mund)
Es wird kein Bub. Dessen bin
ich gewiss.
Halbblut
Ich vertraue dir.
Kolma Puschi
Unser Leben ist wie ein
einziges. Sie hielten dich für einen Bub. Wie mich für einen Mann.
Halbblut
Wann?
Kolma Puschi
Die Freundschaft der
Bleichgesichter ist nichts wert. Wir werden weiter reiten. Fort. Du brauchst
ihn nicht.
Halbblut
Was ist, wenn ich ihn will?
Kolma Puschi
Dann müssen wir uns trennen.
VITA (aus dem OFF)
Ich habe mich nicht selbst auf die Welt gebracht.
Kolma Puschi und Halbblut schauen sich tief in die Augen und ergreifen einander an den
Händen. Die Winnetou-Melodie erklingt.
Halbblut
Lebwohl.
Kolma Puschi
Du wirst willkommen sein,
wann immer du kommst.
Sie gehen getrennt ab.
(Auch erschienen in der "Lärmenden Akademie" in der Serie "Und was machen die Frauen?")
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