Samstag, 9. September 2017

DUMMHEIT OHNE POESIE. Und: Wovor ich mich konkret fürchte

avenidas 
avenidas y flores

flores
flores y mujeres

avenidas
avenidas y mujeres

avenidas y flores y mujeres
un admirador

Eugen Gomringer


Alleen, Blumen, Frauen
und
und?
Ein Betrachter


Keine korrekte Übersetzung ins Deutsche hier. Ein und? mit Fragezeichen. Denn: Man (d.i. der Asta der Alice-Solomon-Hochschule Berlin) liest hinein in die konkrete Poesie, es handele sich hier um die Fortführung einer "patriarchalen Kunsttradition", in der Frauen "ausschließlich schöne Musen sind".

Und? Wenn schon.

Nein, das meine ich, selbstverständlich, nicht so. Wenn Frauen "ausschließlich" schöne Musen sein könnten, dann wäre das nicht schön. Schön ist aber doch, dass und wenn Frauen schöne Musen sein können, auch. Finde ich. 

Wie ist das mit der Konkreten Poesie noch mal gedacht? Die Konkrete Poesie entkleidet die Worte von ihrem semantischen Sinn, ohne freilich damit jemals vollständig erfolgreich sein zu können. Denn die Konkrete Poesie spielt mit den Worten, ihrem Klang, ihrem Zeichencharakter und - ein wenig, ein wenig, trotz alle dem  - mit ihrer Bedeutung. Sie scheitert damit zwangsläufig, je gelungener sie ist, mit jedem Mal, das sie Worte verwendet, an ihrer Konkretisierung. Und darum geht es. 

Und dann:
Alleen (pl.), Alleen (pl.) und Blumen (pl.) 
-as - es
y

Es gibt Alleen und es gibt Alleen und Blumen. Gleichzeitig. In einem Bild? In zwei Bildern, aneinander geschnitten? Alleen- breite, große, belebte, leere, laute, leise? Blumen - kleine, blättrige, blühende, große, kelchige, knospende? Kultur und Natur. Diese Interpretation geht schon zu weit. 

Man muss das auch hören. Auf Spanisch.

Und dann gibt es nochmal Alleen und es gibt Alleen und Frauen. Gleichzeitig. In einem Bild. In zwei Bildern, aneinander geschnitten? Frauen - große, kleine, dicke, dünne, helle, dunkle, kluge, dumme? Kultur und Natur. Diese Interpretation geht zu weit. Man muss zuhören.

Es gibt keine "Frauen und Blumen".

(Denken Sie doch mal darüber nach!)

Es gibt einen Bewunderer. Unbestimmter Artikel. Männlich.
-or
un

Das Gedicht gibt das: einen unbestimmten, männlichen Bewunderer. Zuletzt. Von dem aus schaut die Leserin zurück auf Frauen und Blumen und Alleen. Keine schönen Musen weit und breit. Es bleibt aber ein männlicher Bewunderer nach der Mehrzahl von Frauen und Blumen und Alleen. Niemand sagt, übrigens, dass die schön sind, alle. Steht da nicht. Blumen sind schön, meistens. Und Frauen, oft (Ansichtssache). Aber Alleen? Vielleicht. Manchmal. Blumen und Frauen stehen nicht zusammen, da. Sondern: Ein Bewunderer. Männlich. Es ließe sich lesen: Ein männlicher Bewunderer sieht auf Straßen, Frauen und Blumen. Für männliche Bewunderer seien Frauen und Blumen und Straßen dasselbe oder mindestens auf derselben Schauwert-Ebene. Aber vielleicht auch nur "Straßen und Frauen", denn "Frauen und Blumen" gibt es nicht. Oder umgekehrt? Weil Blumen und Frauen Straßen gleichermaßen "beleben" für den Bewunderer? 

Und wenn?

Wenn es so wäre, wäre das Gedicht Eugen Gomringers ein hochgradig ironischer Umgang mit jener "patriarchalen Kunsttradition", von der der Asta der Hochschule schreibt, - und das Gedicht mithin selbst Kritik an dieser Tradition. (Und an einer männlichen Sichtweise, die die Wahrnehmung von Frauen bewundernd auf ihre äußere Erscheinung, ihren Schauwert einschränkt. Andererseits: Man könnte auch sagen, dass Männern, pl. die Bewunderung für den Schauwert ihrer Erscheinung traditionell allzu oft versagt bleibt. Auch und gerade in der Dichtung.)

Und: Das ist es wohl. Eine ironische Kritik am männlichen Schauen und Dichten. Auch. 

Und aber: Poesie. Konkret.

Es gibt hier keine Verben. Niemand belebt nichts. Niemand liest. Niemand sieht. Niemand denkt. Auch der Bewunderer nicht, Asta.

Es sind Worte. Auf die wir reagieren. Als Betrachterinnen und Leserinnen. Auf ihren Klang, ihre Form, ihre Bedeutung. Aber unsere Reaktionen auf sie und die Worte sind nicht dasselbe. Dass die Worte nicht sind, was sie bedeuten, darauf will die Konkrete Poesie nämlich aufmerksam machen. 

Was hier ganz offensichtlich gleichermaßen gelungen wie gescheitert ist, also sehr konkret, aber nicht poetisch: Der Asta der Hochschule versteht keine Poesie und liest die Worte nicht als Worte. An der Fassade oder sonstwo.

Sondern: Die Tradition. 
Die Klischees. 
Belästigungen von Frauen auf Straßen.
(Wo bleiben die Blumen? Asta.)
Es liest sich selbst. Ins Gedicht hinein. 

Und wenn schon? Das wäre ja weiters nicht schlimm. 

Die Hochschule hat aber entschieden - um des Schulfriedens willen -, das Gedicht auf der Fassade der Alice-Solomon-Hochschule zu übermalen. 

Zensur ist das (noch) nicht. (Weil das Gedicht ja damit nicht verboten ist.) 
Aber es ist dumm. 

Und es gibt guten Grund, die Dummheit* zu fürchten. 
Eine dumme Welt ohne Poesie. 
Konkret.


* Dass die Dummheit im Gewand des Feminismus daherkommt, stimmt mich persönlich besonders traurig.

2 Kommentare:

  1. Du sprichst mir – wie so oft – aus der Seele. Beängstigend, der ganze Vorgang. Ich hoffe, dass die Übermalung noch abgewendet wird.

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  2. Ich finde die Entscheidung ebenfalls dumm. Vor allem hat die Diskussion dazu dem Feminismus mehr geschadet als genutzt. Mein Kommentar dazu: http://klickhin.de/frauen-bewundern-ist-das-neue-rauchen/

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