Carolee Schneemann veröffentlichte 1974 ein Künstlerbuch
unter dem Titel „Cezanne. She was a Great Painter“. Der Titel verweist
gleichermaßen auf den Anspruch der Künstlerin als „große“, d.h. bedeutende
Malerin anerkannt zu werden und auf die Zurückweisung, die dieser Anspruch bis
heute durch männliche „Kunsthengste“ (Schneemann) erfährt, wenn er von einer
Frau formuliert wird. „Great Painter“ wird als Mann gedacht, beinahe
unwillkürlich (was auch ein Kommentar zur - vermeintlichen - Geschlechterindifferenz
der englischen Sprache ist).
Schneemann war immer wieder im Verlauf ihrer Karriere mit
dieser Sichtweise konfrontiert: Man riet ihr statt Beauvoir den „Meister“
Sartre zu lesen, man verwies sie vom College, weil sie sich selbst als Akt
malte, wohingegen es unbeanstandet blieb, dass sie männlichen Kollegen nackt
als Modell saß. Carolee Schneemann hatte aber auch Glück in ihren Beziehungen:
Sie verwirklichte mit James Tenney eine gleichberechtigte Lebens- und
Arbeitsgemeinschaft, der sie im Film „Fuses“ von 1964 ein berauschendes Denkmal
setzte. „Fuses“ zeigt Schneemann und Tenney durch die Augen der Katze des Paares,
nackt, sich liebend, müßig, frei, lebendig. Der Blick auf
weibliche und männliche Genitalien ist
offen, neugierig, lustvoll, jedoch niemals voyeuristisch oder pornographisch.
Was den Unterschied ausmacht? Die wechselnde Perspektive der Kamera, die sich
immer wieder auch mit dem Blick der Katze vereint, die Zeitspanne (der Film
entstand über 3 Jahre), die im Wechsel der Jahreszeiten, der Frisuren und
Behaarungen, im Geschwindigkeits- und Rhythmuswechsel der Filmspuren sichtbar
wird, die Bearbeitung des Zelluloid-Materials durch Schnitte, Collagen,
Klammern, Bemalungen, so dass beide im Film weder als „Objekt“ noch „Subjekt“ dargestellt werden, sondern in ihrer beweglichen und bewegenden (sexuellen) Beziehung, in der sich die Rollen und Zuschreibungen wandeln.
Fuses (1964-67) |
Carolee Schneemann ist in der Kunstwelt vor allem als
Performance-Künstlerin bekannt, durch ihre bahnbrechenden Performances wie „Eye
Body“ (1963), „Meat Joy“ (1964) oder „Body Collage“ (1967). Stets arbeitete
sie dabei auch mit ihrem eigenen Körper. Schneemann beschreibt, wie in der männlich
dominierten Kunstwelt der nackte weibliche Körper – auch noch und gerade in den
frühen Happenings der 60er Jahre – ausschließlich als Objekt benutzt worden ist. Indem sie
sich selbst, die Künstlerin, das „Subjekt“ der Inszenierung, an dieser Stelle
eingesetzt hat, durchbricht sie diese „territorialen Potenzlinien“. Schneemann
geht es darum, sich – die Frau! –in ihrer archaischen Kraft zu entdecken und zu
inszenieren, nicht bruchlos und ohne Bezugnahme auf die Verletzungen und die
Verletzbarkeit, die diesem symbolischen Körper durch die Geschichte (der Kunst) zugefügt wurden und werden. Das zeigen die Materialien und Gegenstände, mit
denen sie ihre Inszenierungen verbindet: Spiegel, zerbrochenes Glas, Bandagen,
Leim. Es entstehen visuelle Fragmentierungen, Schnitte, Erschrecken, Schmerz.
Aber immer wieder gelingt es Schneemann Bilder der Freude, der Lust, des Entdeckens und der weiblichen Macht zu entwerfen. Sie schreibt: „Ich fühlte mich gezwungen, mir meinen Körper unter
mannigfachen Aspekten ´vorzustellen´, die der mich umgebenden Kultur entgangen
waren. Acht Jahre später sollten sich die Implikationen der Körperbilder, die
ich erkundet hatte, klären als ich 4000 Jahre alte, sakrale Artefakte der
Erdgöttin studierte.“
Vulva´s Morphia (1995) |
Eine Retrospektive des Werkes von Carolee Schneemann wird
derzeit im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main (MMK 1) unter dem Titel „Kinetische
Malerei“ gezeigt. In der Tat offenbart der Blick auf die frühen Werke der
Künstlerin und ihre Entwicklung aus diesen Anfängen heraus, wie sehr Carolee
Schneemanns Arbeit durch die Malerei geprägt ist. Die frühen expressionistisch
anmutenden Gemälde drängen zur Bewegung, zur Auflösung der vierkantigen
Begrenzung, gerade so wie ihre Performances und Filme in den späteren Jahren
malerische Elemente enthalten: das Experimentieren mit Schattierungen,
Schriftzügen, Pinselstrichen und Überschreibungen. Die Malerei entgrenzt sich,
indem „das Bild“ aufgegeben wird und die Inszenierungen werden als bewegte
Bilder vorgestellt, immer wieder auch in großartigen Fotografien und
Foto-Collagen festgehalten. Dabei bewegen sich Schneemanns Arbeiten häufig auf
ein gefährliches und gefährdendes Chaos (die scharfen Kanten der Spiegel und
Spiegelungen) zu und sind zugleich in
ihrer Offenheit und Lebendigkeit ungeheuer lebensbejahend, ja fröhlich.
Und während des Betrachtens entdecke ich: Es sind solche Bilder und Filme und dieser fröhlich, freie und gefährliche, (sich) gefährdende Feminismus, den ich brauche, auch oder gerade weil (mir) das gegenwärtig so "Retro" vorkommt; heute, da Feminismus von einigen (nur noch?) als Teil einer Bewegung von Minderheiten begriffen wird. Es kann selbstverständlich immer etwas schiefgehen, wenn kulturelle Tabus gebrochen werden: SNAFU (Situation normal all fucked up) heißt eine Arbeit aus dem Jahr 2004 von Schneemann. Daher fehlt zuletzt denn bei dieser
Ausstellung, die Frauen (und Männer) in ihrer Nacktheit und mit ihrem (auch) sexuellen Begehren zeigt, nicht der
Hinweis, Kinder und Jugendliche könnten in ihrem „sittlichen Empfinden“ verletzt
werden. (Ein Hinweis, den ich im Übrigen noch niemals gesehen habe, wenn es um die
Ausstellung von christlichen Kreuzigungs- und Folterbildern geht).
Der Angriff der weiblichen Lust, die nicht dem Mann dient, die Lebendigkeit des
Frauseins jenseits der patriarchalen Muster hebelt offenbar schmerzhaft all die lieb gewonnen (religiösen und anderen) Illusionen über Unverletzlichkeit,
Unverfügbarkeit und Unberührbarkeit, über Reinheit und Idealität ("der Frau") auf. Da mag ein "sittliches Empfinden", dem die Darstellung körperlicher Gewalt wenig anhaben kann, sich winden.
1995 entstand „Vulva´s Morphia“, eine Lecture-Performance
und Wandinstallation. Schneemann ging es darum, die „Darstellungen der Macht
genitaler Sexualität, die sich in Kulturen finden, die nominell von der
westlichen Kunstgeschichte ausgeschlossen sind“ zu untersuchen. Sie häufte
Berge von Materialien, Texten, Bildern und Anmerkungen an: „Genitalverstümmelungen
bei Frauen, der gegen Feminismus und Hexerei protestierende Papst, lacansche
Entstellungen weiblicher Sexualität, Bestrafungen schwangerer halbwüchsiger
Mädchen in Highschools, wirre aktuelle Forschungen zum weiblichen Orgasmus.“
Schließlich entschied sie sich: „Eines Nachts hatte ich einen Traum, in dem mir
eine gebieterische Stimme erklärte: ´Du wirst nie wieder als Künstlerin mit
deinen Händen in deinem Atelier arbeiten, solange dieser riesige unordentliche
Haufen mit Notizen dort über den ganzen Boden verstreut herumliegt. WARUM
ÜBERLÄSST DU DAS REDEN NICHT DER VULVA?´
Und sie tut´s auf den 35 farbigen Laserprints der
Wandinstallation, wo u.a. zu lesen ist: „VULVA DECIPHERS LACAN AND BAUDRILLARD
AND DISCOVERS SHE IS ONLY A SIGN, A SIGNIFICATION OF THE VOID, OF ABSENCE, OF
WHAT IS NOT MALE…(SHE IS GIVEN PEN FOR NOTES)…“
Zitate aus dem Katalog zur Ausstellung
Carolee Schneemann: Kinetische Malerei, hrsg. Von Sabine
Breitwieser (Museum der Moderne. Salzburg), Prestel 2015 (€ 49,95)
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