Donnerstag, 24. Juni 2010

Sade in der Lektüre Horkheimer/Adornos, Barthes, Foucaults

„...und doch lacht ihre Traurigkeit über alles“

Die Schriften des Marquis de Sade in der Lektüre 
Horkheimer/Adorno, Barthes, Foucaults

Seit je scheiden sich an den Schriften de Sades die Geister. Zu oft drehte sich die Debatte  um die Frage, ob sie Pornographie seien oder Literatur. Sie sind natürlich beides. Und wurden nicht zu Unrecht auch gelesen und verstanden als philosophische Fragmente. Ihr „Überleben“ verdanken die Schriften Sades jedenfalls nicht ihrem pornographischen Reiz, den die Mutzenbacher leicht übertrifft, sondern der Tatsache, dass mit ihnen die Grenze des Denkens der Aufklärung erreicht scheint. Es lohnt sich daher die Lektüre der Schriften Sades wie deren Rezeption: bei Horkheimer/Adorno, Roland Barthes und Michel Foucault.

1. Horkheimer /Adorno: Die Grenze der Vernunft
Die Schriften Sades werden in der Lektüre Horkheimer/Adornos als Menetekel am Horizont des Denkens der Aufklärung gelesen, prophetisch die Konsequenzen aufzeigend jenes Versprechens  „den Verstand ohne Leitung eines anderen,(..)das von Bevormundung befreite bürgerliche Subjekt“ freizusetzen. Wo Kant noch die Moral herzuleiten strebte aus dem Geist der Vernunft, ehe sie deren Logik ein für allemal verfällt, sehen Horkheimer/Adorno bei Sade die Vernunft bis an ihre Grenze walten. So treibt die Lektüre Sades durch Horkheimer/Adorno zwar das Denken der Aufklärung bis an seine Grenze vor, leugnet aber gerade jene Grenze, die im Text Sades markiert wird: Sades Sprache zieht eine radikale Grenze zum „Wirklichen“, zum Bestehenden. Das wird nicht allein durch die Orte bezeugt, an denen er die Ausschweifungen statthaben lässt: abgeschiedene Schlösser, Höhlen, Klöster. Vielmehr noch erscheint die Grenze in der Beschreibung der Stellungen, die er die Handelnden einnehmen lässt. Diese entziehen sich der anatomischen Gewähr. An dieser Grenze erst öffnet sich der Abgrund, vor dessen Leere sich das Grauen abspielt, das in Sades Schriften erscheint. Es entsteht aus dem Lossagen von jener Grenze der Vernunft, an der Horkheimer/Adorno Sade erst angekommen sehen. Sades Texte sprechen nicht vorwegnehmend aus, was bürgerlicher Gesellschaft blüht, wenn sie sich bis an ihr Ende denkt, sondern was in dieser Gesellschaft nicht sein kann (auch nicht als deren Zukunft). Als Operationen am Abgrund dieser Grenze entwickeln die Texte Sades einen Sinn, der dem von Horkheimer/Adorno an ihnen registrierten gleichsam zuwider läuft.

Die Trennung in Herrscher und Opfer vollzieht sich in Sades Welt als die zwischen Sprachfähigkeit und Stummheit. Die Schwestern Juliette und Justine verkörpern diese Gegensätze. Als Juliette in die „Gesellschaft der Freunde des Verbrechens“ aufgenommen werden soll, muss sie sich einer Befragung unterziehen: dass und wie sie vom Verbrechen spricht, garantiert ihre Position. Justine dagegen kann immer nur ihr „Nein“ hervorbringen und muss dann schweigen. Stets drückt erst das Wort bei Sade der beschriebenen Handlung den Charakter des Verbrechens auf: erst durch Bezeichnung wird der Ehebruch zum Ehebruch, der Inzest zum Inzest, die Sodomie zur Sodomie. Der Preisgabe des Sinns an eine formalistische Vernunft setzt Sade den negativen Sinn des Verbrechens entgegen. Indem seine Texte einen permanenten Gegensatz zum anatomisch, physisch, gesellschaftlich Möglichen darstellen, entwerfen sie für das Unmögliche, von dem sie sprechen, einen Kodex an Verhaltensregeln, der sich in seiner Klarheit vom brüchiger werdenden Kodex bürgerlicher Gesellschaft absetzt. In diesem Sinne – des Gegensatzes und der Grenzziehung – sind Sades Texte die Texte eines Moralisten.  Deshalb trifft der Vorwurf  von der Formalisierung der Vernunft, den Horkheimer/Adorno erheben, Sade  gerade nicht. Dessen Texte berühren den Schmerz des Sinnverlustes, indem sie sprachlich noch einmal Bedeutsamkeit zu erzeugen suchen. Die philosophischen Exkurse in Sades Werken dürfen daher auch nicht allein ihrem Inhalt nach gelesen werden, sondern dem Sinn nach, den sie im Text produzieren. Die Befreiung von Gewissensbissen, die sie ihrem Inhalt nach betreiben, entstellt  zugleich den Sinn der Verbrechen, auf die sie ausgehen.

2. Roland Barthes: Die Sprache des Verbrechens
Roland Barthes hat Sades Schriften wie kein anderer als Monumente einer Sprachschöpfung verstanden und ausgelegt. Die Sprache Sades gliedert und ordnet die Fragmente der Alltagsprache, deren sie sich bedient, nach neuen Regeln. Das sexuelle Geschehen, von dem sie spricht, wird zum Zeichen in dieser neuen Sprache und verliert damit seine Bedeutung im System der alten. Barthes untersucht diese neue Sprache auf ihre Grammatik, auf ihre Syntax hin. Der Sadismus stellt sich dabei als der „grobe, vulgäre Inhalt“ des Sadeschen Textes heraus, dem ein komplexes System der Sinnentfaltung und –entleerung  gegenübersteht. Die sprachliche Investition zahlt sich im Text Sades als Steigerung des Verbrechens aus. Sades Libertins vollziehen ihre Handlungen erst, nachdem sie sie ´bedacht´ haben. Die Planung (der sprachliche Akt) verleiht dem Verbrechen erst Sinn. Ein einmaliger Akt der Sodomie kann so zugleich eine Vielzahl von Verbrechen bergen. Die Verknüpfungen, die den Sinn der Verbrechen vermehren (die Tochter ist zugleich Nichte,  Enkelin, Schwägerin) werden sprachlich hervorgebracht: der Vollzug selbst kann dies nicht leisten. Zwar entwirft Sades Sprache auch Bilder, stets werden diese jedoch dem analystischen (zer-gliedernden) Programm der Sprache eingefügt: Sie sind Stellvertreter in einem Sprachsystem, das nur separate Zeichen kennt. Ein Bild entspricht einem Zeichen. Wo Sades Sprache sich des Bildes bedient, versteht sie es daher allegorisch. Stets herrscht die Autorität des Sprachsinns über die Autonomie des Bildes. Die Lücke, die sich in der Allegorie  zwischen Bild und Bedeutung auftut, wird bei Sade an den Rand, die Grenze des Sprachsystems verlagert. Die Körper der Teilnehmer werden in der Sprache Sades zu Objekten, die sein Entwurf zu komplexen Maschinen zusamme fügt, deren Ziel die Möglichkeit des schnellen, wechselnden, ununterbrochenen Verkehrs ist: ein sexuelles perpetuum mobile. Jedes Potential dieser Maschine soll genutzt, jede Öffnung gefüllt, größtmögliche Effizienz erreicht werden. Die Vervollkommnung der Maschine zeitigt als Ergebnis jedoch stets die „Entleerung“ (den Samenfluss), durch die sich ihr Sinn entlädt und zugleich neu auflädt. Denn jede Entleerung erzeugt den Zwang zur Wiederholung. Die Beendigung der Arbeit lässt den Libertin als von sich selbst und seinem Objekt Entfremdeten zurück. Sade deckt mit seinem Reden jenen Moment der Leere zu. Statt ihn auszudehnen, entwirft er eine Philosophie des Verbrechens, die im gleichen Maße, wie sie dieses rechtfertigt, es seines Sinnes beraubt. Den Moment der Sprachlosigkeit, der den Widerspruch nicht aufheben, sondern lösen könnte, erstickt Sade in der steten Rede vom Verbrechen. Deshalb irrt auch Barthes, wenn er glaubt, Sades Sprache konstituiere eine Rede außerhalb des Sinns. Sie bewegt sich zwar auf diese Leere zu, schreckt aber vor dieser noch zurück. Jener Abgrund, dem sie sich nur nähert, um vor ihm zu fliehen, ist das „Sein der Grenze“, von dem Michel Foucault in „Zum Begriff der Übertretung“  spricht.

3. Michel Foucault: „Zum Begriff der Übertretung“
Der französische Titel des Aufsatzes „Preface á la transgression“ signalisiert, dass hier nur der Umriss „jenes mittlerweile konstanten Erfahrungsraumes“ vorläufig bestimmt werden soll, vor dem Michel Foucault die Sprache (der Philosophen) noch hilflos und fast zum Verstummen verurteilt sieht. Dabei geht es nicht um Erfahrungen, die sich erst im Feld extremer Lebensformen und –situationen, also an der Peripherie, auftun, sondern um konstitutive Elemente des Raumes, in dem sich der Mensch der Gegenwart bestimmt. An der modernen Sexualität (und an den Beschreibungen exzessiver Sexualpraktiken) treten die Merkmale dieser Erfahrung nur deutlich hervor.

Foucault bricht mit der Vorstellung des 19. Jahrhunderts, dass sich der Mensch durch Arbeit, als Produzent definiert: „In diesem Sinne markiert das Inerscheinungtreten der Sexualität als Grundproblem das Hinübergleiten einer Philosophie vom arbeitenden Menschen zu einer Philosophie des sprechenden Seins.“ Weder ist damit Sexualität als Betätigungsfeld einer Emanzipationsbewegung ausgemacht, noch vollzieht sich in ihrem Umfeld der vielbeklagte Verlust moralischer Werte. Es geht weder um die Wiederfindung einer ´natürlichen´  noch um die Realisation einer rationalisierten Sexualität. 

In Sades Sprachwelt wird die Erfahrung des Todes (Gottes) noch umgangen, indem die Grenze als Wall zwischen der Sprache des Verbrechens und dem Wirklichen gedacht ist.  Schon Horkheimer/Adorno haben das Innehalten Sades an diesem Punkt wahrgenommen: „Die Leugnung Gottes enthält in sich den unaufhebbaren Widerspruch; sie negiert das Wissen selbst. Sade hat den Gedanken der Aufklärung nicht bis an diesen Punkt des Umschlages weitergetrieben.“ In der Tat hebt die Erfahrung der Übertretung das Denken in Widerspruch und Ganzheit, dem Horkheimer/Adorno verpflichtet sind, auf. Die Negation des Wissens, die sie befürchten und voraussehen, erscheint jedoch nicht als Ende der Philosophie, sondern als Infragestellung des „Willens zur Wahrheit“. Diese unbedingte Infragestellung vermeidet Sade, indem er den Grenzraum mit Sprache anfüllt. So bleibt die Stelle dessen, der spricht, stets verdeckt dadurch, dass das Sprechen nie aufhört. Die Sprache feiert gleichsam triumphal ihr eigenes Sein, indem sie ihren Sinn erstickt.

Erst in Georges Batailles obszönen Werken sieht Foucault das grenzenlose Sprechen verwirklicht, das die Grenze selbst erkennt. In „Die Geschichte des Auges“ wird diese Erfahrung beschrieben. Die Vor- und Nachworte Batailles entfalten hierin eine völlig andere Wirkung als die philosophischen Exkurse Sades. Sie entwerfen keinen Sinn für die Beschreibungen, noch ersticken sie diesen. Sie öffnen vielmehr, indem sie der Begründung Raum geben, diesen soweit, dass sie sich in ihm verliert. In den Bildern Batailles umfasst zuerst der Blick die Dinge, bevor das Wort sie erfasst: „Zwei Kugeln von gleicher Größe und Konsistenz hatten sich in entgegen gesetzte Richtungen bewegt. Der weiße Hoden des Stiers war in das ´rosaschwarze´ Fleisch Simones eingedrungen; ein Auge war aus dem Kopf eines jungen Mannes hervorgetreten.“ Die Sprache gerinnt zum Bild und dieses verflüssigt sich in der Folge der Worte. Die Blicke, die Batailles Bilder entwerfen, sind selber Teil der Übertretung. Denn das Sichtbare kann im Wort nie erscheinen, es bleibt in diesem stets abwesend. Die Sonne, die die Gesichter der Zuschauer in der Arena verzerrt, strahlt nicht. Aber es bricht auch nicht, wie in der Allegorie eine Lücke zwischen Bild und Bedeutung auf. Weder die Worte Batailles noch seine Bilder fragen nach der Grenze der Darstellbarkeit, dehnen sich aus auf ein Jenseits hin, das unerreichbar ist, in ihrer Erhabenheit aber gleichwohl erscheinen soll. Vielmehr übertreten sie die Grenze der Sagbaren beziehungsweise des Sichtbaren, ergeben sich in die Abwesenheit des Unsagbaren und Unsichtbaren, nicht um seine Bedeutung hervorzuzerren, sondern um mit ihm in Austausch zu treten. Die Übertretung der Grenze des Sagbaren vollzieht sich im abwesenden Blick des Auges, für den Bataille Bilder findet, noch bevor das Auge bricht. Die „Geschichte des Auges“ ist die Erzählung von dem, was sich zwischen den Bildern, die der Blick des Auges zeigt und den Worten, die die Sprache hervorbringt, abspielt: die Übertretung.





2 Kommentare:

  1. (Um Ihrer Einladung "http://veranda.michaelperkampus.net/20100726/georges-bataille/#comments" zu folgen, so weit es meine Zeit erlaubt.)

    „Der Entschluss zum Bösen ist der zur Freiheit, 'der Freiheit als Befreiung von jeder Fessel.“
    Eine Bataille-Lektüre führt über Nietzsche, oder viel besser: über Batailles Nietsche-Rezeption. Batailles Arbeit führt weit in den Menschen hinein und denkt ihn im Grunde "zu Ende". Was ist der Mensch, wenn er aller Fesseln lose... "das nicht festgestellte Tier", um kurz bei Nietzsche zu verharren, was nichts anderes meint, als dass er nicht in der Natur aufgeht. Das Bewusstsein, von dem wir keine Vorstellung haben, was es ist, fällt in die Zeit, ist kein bewusstes Sein sondern reißt sich los und wird frei für einen Horizont an Möglichkeiten. Das gerade entledigt uns der Natur, wir bleiben nicht eingebettet in eine uns umgebende Welt, sondern wir verändern sie in dem Masse, wie wir bereit sind zu denken.

    Sade wirkt sich für uns heute nicht mehr monströs aus, da jeder im Grunde jedem beim Sterben zusehen kann. Die Gesichter des Todes werden angeboten. Merkwürdigerweise werden sie selten mit dem menschlichen Urtrieb in Verbindung gebracht, aber das hat eben wiederum kulturelle Hintergründe. Ich denke, dass es die Soldateska der Nato genauso anmacht, jemanden zu foltern wie einst die Inquisitoren. Und hier haben wir Komponenten der "spielerischen" Verbindung, wenn wir an den SM-Kult denken, der mit Tätern und Opfern agiert, ob nun in Uniform oder dem Pranger.

    Es gab eine Zeit, da wollte ich meine Obsessionen ähnlich dokumentieren wie ich mir vorstellte, dass es Bataille getan hat. Ich wollte meine eigene Vorstellung testen und sie in Kontrast zum eigentlich Machbaren setzen. geblieben sind Spuren im Werk, die sich meistens auf die Vereinigung mit der Erde beziehen, mit der Göttin. Sich mit einer göttlichen Kraft vereint zu denken ist die Vernichtung. Es erscheint mir plausibel, vernichtet zu werden und selbst zu vernichten. Transgression ist der Natur immanent. Darin scheint ein Sinn zu walten. Um noch einmal zu Sade zu kommen: Sade ist ein Kind der Aufklärung und deshalb etabliert er ein Gesellschaftsmodell, das ein Grundrecht auf Exzess etabliert. Sade prostituiert die Vernunft und zeigt, welch Hure sie ist, indem sie sich für alles gebrauchen lässt, auch für die Begründung von Mord und Grausamkeit.

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