Mittwoch, 2. Juni 2010

TAGEBUCH (1)

WAR DA WAS? Kein Flirt

Erstmals: Eine Art Tagebuch-Eintrag (02.06.2010)

Gestern Nacht auf der Nachhausefahrt mit dem Zug geschah etwas, das ich festhalten möchte, um -  später selbst nachlesend - zu erkunden, wie es sich für mich anfühlt.

Da war kein Flirt. Ich hatte ihn kaum wahrgenommen, allenfalls aus den Augenwinkeln: dass da jemand saß in der gegenüberliegenden Sitznische, durchaus auch, dass es jemand Männliches war. Ich schaute jedoch nicht auf.  (Das ist typisch für mich: Ich vermeide - wie Japaner - Blickkontakt und - wie Engländer - Körperkontakt mit Fremden tunlichst).

Die neuen, noch uneingelaufenen Schuhe, die sich im Laden so bequem angefühlt hatten, waren im Laufe des Abends zu Folterinstrumenten für die Zehen geworden, besonders der linke. Ich schlüpfte mit dem Fuß hinaus und stellte ihn auf den Schuh, bewegte erleichtert die Zehen. Dann suchte ich in meiner Tasche. Bei Hugendubel auf dem Wühltisch hatte ich noch am Nachmittag vor der Lesung für insgesamt 9 Euro zwei Gedichtbände und eine Erzählung von Henry James erstanden. Jetzt blätterte ich ein wenig in der dicken Gedichtsanthologie, sah gelegentlich aus dem Fenster in die Nacht, wie sich die Beleuchtungsdichte langsam verringerte, je mehr wir uns von der Großstadt entfernten. Ab und an schloß ich die Augen. Müde war ich, durfte aber nicht einschlafen, um den Ausstieg nicht zu verpassen. Als ich meine Sachen zusammen packte, um mich im Durchgang aufzustellen, erhob sich der Herr von schräg gegenüber und sagte: "Darf ich Ihnen das geben?" Er drückte mir eine Visitenkarte in die Hand. Ich war völlig überrascht, sagte nur: "Was ist..?", musste aber eilen, um rechtzeitig rauszukommen, schließlich war ich die Einzige, die hier aussteigen wollte. Auf dem Bahnhof betrachtete ich unter der Laterne die Rückseite der Karte:


Ich fühlte mich geschmeichelt, sicher. Und es war eine höfliche, sehr zarte Form der "Anmache". Aber, selbstverständlich, auch so uneffektiv, denn ich werde ihn natürlich nicht kontaktieren. Oder würde ich, wenn ich auf der Suche wäre? Doch kann ich mich ja nicht einmal an sein Gesicht erinnern...

Nachtrag (03. Juni): Ich habe meinen Gefühlen nachgespürt. Immer noch schmeichelt es mir, dass ich einem völlig Fremden "schön" erschien. Aber so nachsichtig gegenüber seinem Annäherungsversuch bin ich nur, weil er keinen Fluchtreflex auslöste, wie es sonst gewöhnlich geschieht, wenn mir jemand "zu nahe tritt". Ich stieg sofort aus. Ich hinterließ nur einen Eindruck, er nur die Karte. Ich muss nicht reagieren. Ich werde nicht reagieren. Nur deshalb kann ich mich einfach darüber freuen. (Verdammt, ich bin immer noch so verklemmt.)

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