Donnerstag, 2. September 2010

"SCHAU MICH (NICHT) AN" - DER BLICKWECHSEL DER KULTUREN

„Was Kulturen mit Bildern...machen und wie sie Welt in Bilder fassen, führt zum Zentrum ihrer Denkweise.“                                                                     (Hans Belting)


Die dümmliche Rede vom „clash of cultures“, die Samuel Huntington in die Welt gesetzt hat, steht in einer langen Tradition der Wahrnehmung des Fremden als defizitär, fehlerhaft und gefährlich, die offensichtlich nicht aus der Welt zu schaffen ist. Dagegen steht ein oft nicht viel weniger einfältiger Universalismus, der alles zu einem geschmacksfreien Einheitsbrei vermischt. Mich interessiert die Differenz. Die Erkenntnis, dass die Art, wie wir (die Welt) „sehen“ nicht zwingend, sondern nur möglich ist, nicht „natürlich“, sondern entwickelt (und damit entwicklungsfähig) ist.

Angeregt durch eine Auseinandersetzung mit Markus A. Hediger über das Bilderverbot im Dekalog habe ich noch einmal, ungleich intensiver als bei der ersten Lektüre, Hans Beltings „Florenz und Bagdad. Eine Geschichte des westöstlichen Blicks“ gelesen. Ich halte Beltings Einsichten und Überlegungen für ungemein anregend. Daher möchte ich wesentliche Thesen seiner Untersuchung hier – begleitend zur Serie „Augen-Blicke“ auf der Veranda von Michael Perkampus  - darlegen und auf das Bilderverbot beziehen. Dabei geht es mir nur teilweise um eine theologische Auseinandersetzung mit dem Verbot. Folgt man nämlich Belting, dann geht es beim Verbot der Bilder, das auch der Islam kennt, vor allem auch um eine Weltanschauung, also die Art und Weise, wie man „die Welt sieht“ und mithin auch um eine Erkenntnistheorie. Dient es dazu, die Welt zu verstehen, wenn man sich „ein Bild“ von ihr macht? (die westliche Sichtweise) oder verhindert das Bild geradezu die Einsicht in das Wesen der Dinge (die östliche Sichtweise). Der Umgang mit dem Bild wäre dann, auch jenseits eines religiös begründeten Verbotes,  entscheidend  für das Selbstverständnis des Menschen in der Welt.

Belting organsiert seine Kulturbeschreibung des Blickes als Blickwechsel, als eine wechselseitige „in Augenscheinnahme“ der Bedeutung von Begriffen und Sehweisen wie „Perspektive“, „Licht“, „Bild“, „Schauspiel“ aus abendländischer (Florenz) und orientalischer (Bagdad) Sicht. Dabei gelingt es ihm, wie ich finde, einen kolonialen Blick zu vermeiden. Vielmehr geht Belting von einer gemeinsamen Geschichte beider Kulturen aus, vor deren Hintergrund sich die Differenzen erst ausbilden, die nicht zu Denkbarrieren werden sollten.


„Korrektur Gottes am Bild, das der Mensch von Gott entwirft: Ein Mensch, der in kein Bild passt.“                                                                                       (Jo Krummbacher)

Mein Verdacht ist dagegen: Das Verbot der Bilder verbietet mit Absicht eine bestimmte Weise die Welt zu verstehen, eine Weltanschauung nämlich, in der ein monotheistischer, körperloser Gott (das Christentum findet einen Ausweg, indem Gott als Jesus Christus Mensch wird) nicht denkbar ist. Um also diese Gottesvorstellung zu ermöglichen, muss geboten werden:

„Du sollst dir kein Schnitzbild machen noch irgendeine Abbildung, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem was unten auf der Erde, noch von dem, was unter der Erde ist.“

Markus A. Hediger hat vorgeschlagen, dass Bilderverbot metaphorisch zu verstehen. Als Verbot mithin, sich eine konkrete Vorstellung vom Wesen Gottes zu machen. Ich denke, dass diese Lesart die heute in der Theologie verbreitete ist: kein Götzenbild, keine Idole, keine Anbetung „falscher“ Symbole und Werte. So verstanden dient das Bilderverbot  manch progressivem Pfarrer in der Sonntagspredigt dazu wider den Götzen Geld zu wettern. Zum Beispiel.

Ich habe mich einer solchen – metaphorischen -  Lesart des Bilderverbots (bis auf weiteres) verweigert.  Ich verstehe es vielmehr konkret als Verbot Natur nachbildende Gegenstände zu schaffen. Es soll keine von Menschenhand gemachten Gegenstände geben, die Schöpfung oder Schöpfer „täuschend“ nachahmen. Der Text verbietet ausdrücklich Schnitzbilder und zwar nicht nur Götzenbilder, sondern auch Abbilder der Natur.  Das Verbot gilt, so verstehe ich es (vorläufig), dem gegenständlichen Abbild, zunächst eingesetzt im Kampf gegen die hölzernen Statuen Baals und Aschras. Das perspektivische Bild, das im Abendland seit der Renaissance zum Bild schlechthin wird, wäre dann als eine Verschärfung der „gottlosen“ Weltanschauung durch das Bild zu verstehen. Denn erst das perspektivische Bild suggeriert, dass die Wahrnehmungen von Bild und Wirklichkeit analog sind.

Dazu mehr im nächsten Beitrag: Blickwechsel zur Perspektive


10 Kommentare:

  1. "Dient es dazu, die Welt zu verstehen, wenn man sich „ein Bild“ von ihr macht? (die westliche Sichtweise) oder verhindert das Bild geradezu die Einsicht in das Wesen der Dinge (die östliche Sichtweise)."

    Ich weiss nicht, ob das fehlende Bild Einsicht in das Wesen der Dinge ermöglicht. Aber es öffnet zumindest für das Wesen der Dinge. So verstehe ich meine metaphorische Auslegung des Bildverbots.

    "So verstanden dient das Bilderverbot manch progressivem Pfarrer in der Sonntagspredigt dazu wider den Götzen Geld zu wettern."

    In einer wunderschönen katholischen Kirche in unserer unmittelbaren Nachbarschaft steht eine mannshohe Marmorstatue des Apostel Petrus. Um seinen Hals gehängt ist eine Tafel, worauf steht: Dies ist nur eine Darstellung des Apostels Petrus.
    Kein Witz.

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  2. "Ich weiss nicht, ob das fehlende Bild Einsicht in das Wesen der Dinge ermöglicht." Das weiß ich auch (noch?) nicht, aber ich folge jetzt einmal dieser Spur. Ganz auf "deiner Linie" ist der arabische Philosoph und Mathematiker Alhazen, über den ich hier etwas schreiben möchte (die Zeit reicht immer nur für Bruchstücke). Allerdings benötigt auch er ein Verbot der Abbildung des "Lebendigen".

    Und ich glaube inzwischen, dass ein "Allmächtiger" nur denkbar ist ohne das Bild. Und umgekehrt: die Ohnmacht des Gekreuzigten nur im Bild. Aber ich muss noch einen weiten Umweg gehen, um das zeigen zu können (oder besser: mein Verständnis davon, wie es jetzt gerade ist).

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  3. "Und ich glaube inzwischen, dass ein "Allmächtiger" nur denkbar ist ohne das Bild. Und umgekehrt: die Ohnmacht des Gekreuzigten nur im Bild."

    Ja!

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  4. Wie kannst du denn einfach JA! sagen. Du sollst mir widersprechen! (Du müsstest mal sehen, wie dieses arme Buch hier aussieht. Überall drin herum gestrichen und Randnotizen eingetragen und immer wieder: Markus! Ich brauche deinen Widerspruch.) :)

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  5. Ja, weil dies ja das ganze Dilemma des Gottessohnes (und folglich aller Christen) ist.

    Aber vielleicht widerspreche ich dir ja dann wieder, wenn du das näher ausführst :-)

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  6. wohl schwierige frage

    "das wesen der dinge" - hattet ihr das schon mal abgeklärt hier, wie das wesen ( selbstverständlich jeweils eines bestimmten dinges / gegenstands ) aufzufassen ist ?

    ich selbst als husserl-nicht-kenner und überhaupt
    würde das wesen sowohl (nur) funktional als auch (nur) ästhetisch sowie gekoppelt aus funktionalität und ästhetik apperzipiert wissen wollen.
    oder sollte das wesen eher eine oder mehrere charaktereigenschaft(en)oder gemütslage(n) "verkörpern" ?
    der heitere gegenstand ?
    ansonsten sträube ich mich dagegen den menschen als ding aufzufassen, das menschliche wesen aufs ephemere ( oder überhaupt ) zu beschreiben, gelingt mir irgendwie nicht besonders gut.
    man kann ja nicht einfach sagen, das wesen des menschen wäre grundsätzlich ein grausam' ding - wäre irgendwie viel zu einfach.

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  7. @Lobster Ich kann zu der "Wesens-Frage" jetzt hier so auf die Schnelle nicht antworten. Es wird sich - hoffe ich - aus dem Nachvollzug der Argumentation von Alhazen durch Belting zeigen, was dieser unter "Wesen der Dinge" (und des Menschen, er differenziert da in der Tat) versteht. - Und das kann man dann wieder gegen andere Sichtweisen abgleichen. Hier in meinem Zusammenhang ist allein interessant, ob das "Wesentliche" (um mal unverfänglicher zu formulieren) für unsere Augen sichtbar ist oder nicht.

    (Du kannst dich schon "einschießen", denn ich werde gegen den allseits beliebten "Kleinen Prinzen" vom Leder ziehen!)

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  8. outburst, sorry

    vermutlich ein kleiner, schelmischer einfall dazu :

    das wesentliche am barock sind üppige formen und geradezu exorbitant überwogende farbräusche.
    zurück zum wesentlichen.

    übrigens bilde ich mir ein, einmal ein kausalitätsfragment in richtung 'barock'ne ästhetik' verstanden zu haben.
    ich wohnte seinerzeit in der nähe von bamberg ( welches "sakralbautenmässig" stark vom barock geprägt ist ) und da gab es in irgendeinem dorf, dessen namen mir allerdings entfallen ist, eine winzige hausbrauerei ( wo - vor mehr als 20 jahren - die kinder noch mit grossen krügen das bier für ihre parentes abholten )
    nun im herbst trank ich von diesem stoff meine damals üblichen 4-5 halbe und setzte mich, zur land-wg zurückgekommen vor den apfelbaum, dessen früchte schon schön und rund an den ästen hingen.
    äusserst schön und rund ( farblich wirklich abnorm in's goldene reichend )auf diesem wirklich psychedelischen, triphaften rausch, den dieses bier mir verpasste.
    wenn im barock alle leute so ein für unsere tage absolut extraordinäres bier tranken ( dazu womöglich noch gelegentlich durch mutterkorn "verdorbenes" brot assen ), so erklärt sich da für mich ( sicherlich nur teilweise, dennoch immerhin ) etwas partiell-kausalitäres.
    das soll kein plädoyer für lsd sein.

    ich bin kein kokser, aber ich bilde mir ein, dass kokser auch eine art "eigene ästhetik" bilden, und sei's auch nur "latent".

    mich würde eh mal interessieren, inwieweit drogen
    kulturspezifische ästhetiken mitbilden.
    das wäre aber eine vom reinen bild abgelöste fragestellung, klar, und wohl auch schwerst zu erforschen.

    melusine, gut, bin schon interessierter am thema als noch vor einzwei wochen

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  9. danke für die erzählung. war´s das rauchbier? das habe ich um ostern rum in bamberg getrunken. hatte auch so einen effekt, wie du beschreibst.

    barockes müsste überhaupt mal "ehrengerettet" werden, schön dass du mich dran erinnerst. eine kapelle über dem bodensee fällt mir ein, wunderbare güldene putti (ha, wie ich schon dieses wort liebe). und der simplicissimus, den mein freund t. und ich schon dauernd (wieder) lesen wollen in der neuen übersetzung, aber immer nicht dazu kommen.

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  10. Hier noch ein Link: http://img.geocaching.com/cache/3831b929-8303-4b47-9873-db5ac5d75966.jpg

    Passt der nicht gut als Illustration? (obwohl es eher ein Weinkelch ist, oder?)

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