Das Netzwerk ist unsozial
von Morel
In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts gab es zwei kulturelle Umbrüche, die unser Leben veränderten. Der mit dem Jahresdatum 1968 verbundene bescherte uns – wahrscheinlich entgegen den Intentionen seiner bekannteren Protagonisten – einen Zugewinn an individuellen Entscheidungsmöglichkeiten und eine durchgreifende Kommerzialisierung unseres Lebens. Nicht jeder war damit glücklich – seien es die bis heute jammernden konservativen Abendlandnostalgiker oder die linken Konsumverächter. Der zweite Umbruch steht nicht im Zeichen einer Jahreszahl (1989, nicht politisch gedeutet, wäre aber eine Möglichkeit), sondern im Schatten eines Apparats: des Personal Computers, der über das Internet Vernetzung und Gleichzeitigkeit ermöglichte, mit neuen Zusammenhängen und neuen Instabilitäten. Die Protagonisten dieses zweiten Umbruchs haben anders als die protestierenden Studenten, die im Untergrund kämpfenden Terroristen und die sich emanzipierenden Frauen allerdings wenige ihre Heldentaten reflektierende Künstler gefunden (eine Ausnahme ist Douglas Coupland). Die anarchistischen Hacker, von Ayn Rand und Friedrich von Hayek inspirierten Unternehmensgründer und vulgär-liberalen Neue-Markt-Pleitiers blieben dem herrschenden Common Sense, sei er nun konservativ oder links angehaucht, immer suspekt. Zu viele Geschäftsmodelle haben sie als Leichen am Wegesrand hinter sich gelassen. In Literatur und Film bevorzugt man immer noch die alten Patriarchen, im Bellheim-Fernsehen eh.
Mark Zuckerberg, Gründer von Facebook, kann sich aber jetzt, wenn er möchte, im Kino anschauen, wie ihn Hollywood sieht. David Fincher, bekannt geworden mit raffinierten Thrillern wie Se7en oder Fight Club, die schon immer an der Schwelle zwischen Spiel und Leben angesiedelt waren, ist der Regisseur. Von Aaron Sorkin stammt das teilweise fulminante Drehbuch. Schon die erste Szene lässt einen an die großen Screwball- Komödien aus den 40ern denken, so schnell geht es hin und her, bis Zuckerberg von seinem Date Erica über die Gründe für seinen Misserfolg bei Frauen informiert wird. Nicht wegen seines Nerdtums ließen ihn die Frauen abblitzen, sondern weil er ein Arschloch sei. Der Film versucht dann die Frage zu klären, ob dieses Urteil berechtigt ist. Und zwar in einer Struktur, die zu Recht mit einem Heiligtum des amerikanischen Films, Citizen Kane, verglichen wurde. Die Rolle des Reporters, der die Wahrheit über das Leben des im Sterben das mysteriöse Wort Rosebud murmelnden Zeitungsmagnaten recherchiert, übernehmen in The Social Network die Gerichtsprozesse, bei denen geklärt werden muss, wen Zuckerberg auf dem Weg zu seiner ersten Milliarde betrogen hat. Neben den eher tumben, sportfixierten und steinreichen Winklevoss-Brüdern (die für das komische Element in dem damit nicht gerade gesegneten Film sorgen) ist es vor allem sein einziger Freund, der naive, aber etwas überfordert wirkende Eduardo Saverin. Viele Szenen in diesem Film – die Partys, die Ruderregatta, der Besuch der Gebrüder Winklevoss beim Harvard-Präsidenten – sind unterhaltsame und genaue Studien der sozialen Milieus, aus denen Regierungsorganisationen und Konzerne ihre Führungskräfte rekrutieren. Finanzkrisen brauchen einem da nicht mehr zu erstaunen. Wie in Citizen Kane kehrt die letzte Szene wieder zum Anfang zurück: Zuckerberg, allein gelassen im Büro des Rechtsanwalts, schickt Erica über Facebook eine Freundschaftsanfrage. Danach fragt er ungefähr alle zehn Sekunden seinen Status ab. The Social Network fehlt allerdings das Pathos der verlorenen, verschwendeten Zeit, das aus Citizen Kane einen der großen Filme der Filmgeschichte gemacht hat. Es geht eben in The Social Network nicht um das Leben, sondern um ein Geschäftsmodell. Und ein Bild unserer vernetzten Gegenwart zeichnet Finchers Film leider auch nicht. Darauf müssen wir noch warten.
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