Mittwoch, 29. Dezember 2010

Jahresrückblick 2010 (Folge 2: Auto.Logik.Lüge.Libido)

Gewissenlose Bisse

Ich kam von daheim her, wo das Da-Sein des Allmächtigen sich vermeintlich gezeigt hatte. Dort glaubten wir felsenfest daran: „Bier zahlt die Freundin“- doch bald blieben die Zahlungen aus. Vorher schon erfand ich mir den Steinmetz aus Dänemark, der mich unter den Brücken Berlins die Liebe lehrte, so dass ich späterhin zu leiden verstand unter der Knute einer herrischen Geliebten, die mich an Samstagen knechtete und stählte. Doch Treue schwor ich der Treulosen nie und wendete unter der Woche mich andern ungeniert zu. Auch ihn hatte ich so nicht haben wollen, den zerfledderten Jesus, und schwor noch als Kind: „Mein Herz ist nicht rein.“ Jahre später starrte ich ins runde Bubengesicht eines Fliesen legenden Mörders und mochte den gern. Genuss, glaubte ich zu wissen, vermitteln die Kunstwerke nur den Privilegierten, wir anderen aber ahnen schaudernd unser Abgetrenntsein unterm strengen hierarchischen Gesetz, wenn sie auf uns herabschauen. So beschränkt konnte ich dem, der sich am Seil erhängt hatte, nachdem er mich küsste, niemals vergeben. Um all die Wirrnis mit Sinn auzustatten, behauptete ich dreist, an der Ostsee seien im Herbst ´89 zwei Bücher gelesen worden: Anna Karenina und Liebe als Passion. Auf diese Weise deutete ich voraus, was zu geschehen hatte: Versprechen für die Ewigkeit und serielle Episoden. Wie den verlogenen Filou, dem meine Freundin verfiel. Dem polierte ich verbal noch mal die Fresse, ganz ohne Reue. Ich ließ rückschauend Teelichter brennen, schminkte Gesichter weiß und färbte die Haare schwarz. Immer wieder zog´s mich zurück auf Los: Als die Trabis getankt wurden gen Westen zu fahren, beschloss ich erwachsen zu werden. Nostalgie ist Scheiße. Doch Astrid hätte ich gerne geliebt und wäre mit der Zunge über ihr sommersprossiges Gesicht gefahren. Ich schuf mir Bilder und bestritt, dass es um Sexualdelikte ging. Die Leibesvisitationen indes konnte ich nicht umgehen. Wieder gelang es mir auch 2010 nicht, den Feind aus der Burg zu vertreiben, der kannibalisch den Leib zwischen seinen Zähnen zermalmt hatte. Doch ich erlegte mir Buße auf: Nie küsste ich den Freund, den ich liebte und über Lula (ach, Lula...) log ich das Blau vom Himmel herunter, um  aufzustehen und zu gehen. Ich habe keine Gewissensbisse.

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2 Kommentare:

  1. Welch abenteuerliches Jahr. Noch verwegener ist nur die Wonne, mit der Sie darauf zurück blicken!

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  2. Ein Schreib-Jahr. Auto. SELBST-(Er-)Findung. ICH braucht sich nicht zu fürchten. Aber "DIE" bleibt immer ganz brav ;-). Love´s labour´s never lost.

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