Montag, 24. Januar 2011

DIE BESTE ANGST

Angst essen Seele auf“ heißt einer der großartigsten Filme, die nach ´45 in Deutschland gedreht wurden. „Angst“, sagt das Sprichwort, „ist ein schlechter Ratgeber.“ Vor allem ist Angst ein Herrschaftsinstrument. Wer Angst hat, wird sich ducken, verstecken, wegschauen statt sich aufrichten, stellen, protestieren. Niemand hat das über die Jahrhunderte besser zu nutzen gewusst als die Religionsführer. Denn die beste Angst aus der Perspektive der Herrschaft ist die diffuse, irrationale Angst gegen die die Vernunft machtlos ist.

Es ist klug Angst zu haben vor realen Gefahren, um sich gegen Risiken zu schützen. Wer ins Hochgebirge auf High Heels trippelt, ist ein Idiot und nicht furchtlos. Wer nicht schwimmen kann und sich ins Wasser stürzt, ist eine Selbstmörderin und keine Heldin. Die Herrschaft aber braucht die Angst, die wir nicht einschätzen können: Wie weit werden sie gehen? Was können sie tun? Und schließlich: Welche Strafen warten nach dem Tod auf uns? Je unwägbarer die Gefahr, desto größer die Angst, desto schlafloser die Nächte, desto verkrampfter die Reaktion, desto größer die Erstarrung.

Davor habe ich Angst. Meine Alpträume drehen sich alle darum, dass ich mich vor Angst nicht bewegen kann. Ich weiß, dass ich handeln muss und schaffe es nicht: meine Schuld, dass das Kind stirbt, die Frau ertrinkt, das Haus abbrennt, die Welt untergeht. Weil ich vor Angst gelähmt bin. Ich sehe meine bleichen Hände oder Füße auf dunklem Untergrund, Finger und Zehen verspannt; ich rühre mich nicht.

Ich glaube, dass meine Alpträume mich in Bewegung versetzen. Weil ich soviel Angst habe zu erstarren, bin ich so unruhig. Es ist eine gute Angst. Denn sie treibt mich an.

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Kerstin Stein, die im vergangenen Jahr 365 Antworten auf die Frage: „What´s red for you?“ sammelte, fragt in diesem Jahr: „What are you afraid of?“ Was ist Ihre Antwort? Machen auch Sie bei dem Projekt mit.

6 Kommentare:

  1. Vielen Dank für den Artikel. Hab mich sehr über Deinen Beitrag gefreut und besonders, dass er auch so schnell bei mir angekommen ist. Es ist schwieriger als angenommen, die Leute (bei der Frage nach der Angst) zum Mitmachen zu bewegen.

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  2. ich habe Angst, meine Neugier zu verlieren.

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  3. Du verlierst Deine Neugier doch nicht Elke

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  4. Das ist schön,was sie da schreiben.
    Das Angst auch Antrieb sein kann.

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  5. Ja. Doch manchmal wünschte ich ausruhen zu können.

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  6. @Elke66: Wie wäre es, wenn Sie mir Ihre "Angst" handschriftlich schicken würden? Wäre toll. :)

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