Montag, 14. Februar 2011

DER PFEIL DER DIANA. Über Francois Truffauts: La marié était en noir.

von Morel

Diana, die römische Göttin des Mondes und der Jagd, auch Beschützerin der Frauen und Mädchen, hatte einen ihrer späteren Auftritte in einem Film, der 1968 ins Kino kam: Die Braut trug schwarz (La Mariée était en noir) von Francois Truffaut. Bei Truffaut geht es beinahe immer um Liebe und Tod, aber in Erinnerung an seinen Ersatzvater, den großen Filmtheoretiker André Bazin, zeigen seine Filme vieles,  nur zwei Momente bleiben unsichtbar: der Orgasmus und der Moment des Sterbens. Bazin verurteilte die visuelle Darstellung dieser beiden menschlichen Grenzerfahrungen als obszön. Truffaut nimmt dieses zum Teil moralische Urteil als ästhetische Herausforderung an, indem er Filme über Serienmörderinnen und Frauenhelden drehte, ohne den Tod und die Liebe zu zeigen. Aber vielleicht ist das mehr als nur ästhetisches Spiel.

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Quelle: http://www.koki-freiburg.de/2002/1202/braut.jpg
Julie Kohler, gespielt von Jeanne Moreau, ist sicherlich nicht frivol. Der häufig mit Hitchcock verglichene Film begleitet sie auf ihrer Reise durch Frankreich, auf den Spuren von fünf Männern, die eher zufällig, aus purem Leichtsinn ihren Ehemann am Tag ihrer Hochzeit beim Herumspielen mit einem Gewehr erschießen. Einen nach dem anderen bringt sie um und streicht sie von einer Strichliste (die einige Jahrzehnte später in Kill Bill von Quentin Tarantino wieder auftaucht). Vom-Balkon-Stossen, Vergiften, Ersticken sind die Mordarten ihrer Wahl, aber immer blendet Truffaut rechtzeitig aus. Allenfalls auf der Tonspur darf der Tod sich bemerkbar machen. Das Motiv für diese Mordserie wird erst im Laufe des Films enthüllt. Aber das ist das einzige Rätsel in diesem Kriminalfilm, wie es auch kaum Suspense im Sinne Hitchcocks gibt, also das Spiel mit der Erwartung des Zuschauers. Der Zuschauer erwartet in diesem Film nichts, er rechnet lange Zeit noch nicht einmal mit der Entdeckung Julie Kohlers, die wie ein surrealistischer Racheengel durch ein idyllisches, sommerliches Frankreich zieht, zurückhaltend-züchtig gekleidet, abwartend und geduldig. Es gibt anders als bei Tarantino kaum ernst zu nehmende Hindernisse auf ihren Weg. Sie tritt ihren Opfern nicht als Bedrohung entgegen, sondern als Frau ihrer am Morgen meist vergessenen Träume. Dem Playboy als Gespielin, dem schüchternen Einzelgänger als Freundin, dem kalkulierenden Politiker als professionelle Hilfe. Die illusionären Träume, in die sie ihre Opfer wiegt, kennen aber kein Erwachen.

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Der Auftritt von Diana lässt dann kurz vor dem Ende des Films einen Anklang von Spannung aufkommen. Einer der fünf Männer, ein Automechaniker, wird vor Julies Augen festgenommen. Also muss sie die Reihenfolge ändern, das Garn des Schicksals verheddert sich ein wenig. Sie wendet sich nun einem Maler zu, der sie passender Weise gleich als Modell für die Darstellung der Göttin Diana engagiert. Es handelt sich um eine Auftragsarbeit, aber im Malen muss er erkennen, dass er nicht irgendeine Frau malt. Dass er sich verliebt, ist noch kunsthistorisch gut abgehangenes Klischee. Interessanter wäre die Frage, ob sich Julie in Diana wiedererkennt oder ob es sich nur um eine weitere Rolle handelt, die sie einem ihrer Opfer vorspielt. Ein Moment des Zögerns, einmal löst sich ein Pfeil, trifft aber nicht sein Ziel. Diana ist Jägerin und Jungfrau zugleich. Jungfrau ist Julie aber nur aufgrund eines grausamen Zufalls, der zum Schicksal erst durch ihre Treue dem Toten gegenüber wird, ein Toter, den sie nun am Ende des Films zu vergessen scheint. Aber Truffaut, der wie Proust ein Künstler der Erinnerung ist, erlaubt das Vergessen nicht. Und inzwischen hat Julie schon zu oft Schicksal gespielt, um ihm noch zu entgehen. Es ist ein Freund des ersten Opfers, der Wasser aus einem Glas in einem Blumentopf gießend, sich an eine Geste Julies vom Anfang des Films erinnert (für so ein visuelles Kunststück musste Truffaut nicht Proust lesen, er kannte Lubitsch, in dessen Trouble in Paradise Edvard Everett Horton ein ähnliches Erlebnis mit einem Souvenir aus Venedig hatte). Die Verfolger scheinen sie wieder an ihre Mission zu erinnern, den tödlichen Pfeil sehen wir erst, als es zu spät ist.

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Truffaut zeigt also die Frau, die nicht Frau werden konnte, weil die Männer nur spielen wollten, ein wenig Entspannung brauchten. Es ist, im Jahre 1968, eine leise Abrechnung mit der Spaßgesellschaft unserer Tage, von einem konservativen, zurückhaltenden Mann, nicht zu den Jagdmeuten gehörend, der die Frauen liebte für ihre Unbedingtheit. Revolution machten andere, die Filme Truffauts, weder tragisch noch komisch, sondern von einer  heiter-melancholischen Gelassenheit, gefallen noch immer. In ihren ausgesparten Bildern verbirgt sich kein Geheimnis und schon gar keine Zensur, sondern Respekt vor dem Zuschauer.

2 Kommentare:

  1. Nur dunkel erinnere ich mich, dass ich den Film in den Siebzigern oder später vielleicht im Fernsehen sah. Falls er wieder "laufen" sollte, ist spätestens jetzt nach dieser ausgezeichneten Kritik das (Wieder)Sehen ein Muss.
    Auf den Schriftsteller, der hinter dem Drehbüchern vieler "schwarzer" Filme stand, möchte ich noch hinweisen: Cornell Woolrich.
    Sehr viele seiner Romane und Erzählungen sind verfilmt worden. Er legte damit auch einen der Grundsteine für die als "Film Noir" bezeichneten dunklen Verfilmungen der Nachkriegsjahre. Drei stehen bei mir im schwarzen Diogenesgewand im Regal, alle auch schwarz im Titel. "The Black Curtain", The Black Angel" und "Rendezvous in Black". Truffaut verfilmte ein Jahr später noch einen seiner (Braut)Romane: "Das Geheimnis der falschen Braut". Über Woolrich sagte Truffaut:
    "In Woolrichs Geschichten spielt die Liebe eine große Rolle, eine totale und ausschließliche Liebe, die, wenn sie zerstört ist, unersetzlich bleibt."
    Ich muss mal wieder einen Woolrich lesen. Selbst Hitchcocks "Fenster zum Hof" ist eine Erzählung von ihm.
    Herzlichen Gruß
    Der Buecherblogger

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  2. In früheren Jahren habe ich jeden Sonntagnachmittag einen Kriminalroman gelesen, heute fehlt mir dazu die Zeit. Woolrich erinnere ich als sehr pessimistisch. Truffaut besaß die Kunst, düsteres Material in Filme zu verwandeln, die hell sind und leicht. Und das ohne die bitteren Bestandteile zu verharmlosen.

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