Mittwoch, 6. April 2011

KÜNSTERLISCHER WIDERSTAND UND KÜNSTLICHE ERREGUNG

Ai Wei Wei, der zur letzten Documena 1000 Chinesen nach Kassel brachte, ist am Flughafen in Peking von der Polizei verhaftet worden. Seither fehlt von ihm jede Spur. (hier:)

Im Westjordanland wurde der Theatermacher Juliano Mer Khamis ermordet (hier:), der sich für eine Verständigung zwischen Israelis und Arabern einsetzte. 

Im Iran hat der preisgekrönte Filmemacher Jafar Panahi Berufsverbot. (hier:) 

Das sind nur drei Beispiele von vielen. Weltweit arbeiten viele Schriftsteller, Journalisten, Künstler, Filmemacher, Theaterregisseure unter den Bedingungen einer rigiden Zensur. Der Versuch, gesellschaftliche Verhältnisse, individuelle Sehnsüchte, eigene Gefühle und Gedanken darzustellen, kann manch eine und manch einen die Freiheit und manchmal sogar das Leben kosten.

Kunst und Engagement, haben wir uns angewöhnt, sind voneinander zu trennen. In der Tat bemisst sich der künstlerische Wert eines Werkes nicht an seiner politischen Wirksamkeit. Umgekehrt gilt aber, dass alle wirkliche Kunst verstörend ist und daher immer auf die eine oder andere Weise in Konflikte mit Herrschaftssystemen gerät. 

Die Herrschaft, der der Künstler sich im Kapitalismus ausgesetzt sieht, ist diejenige des Marktes. Hier geht es um echtes Kapital und um soziales, d.h. um Anerkennung. Beides verteilt (nach je unterschiedlichen Mustern und in sich nur zum Teil überschneidenden Systemen) "der Betrieb". Der Betrieb ist keine Diktatur. Wer im Betrieb anerkannt und seinen Anteil kriegen will, spielt nach bestimmten Bedingungen. Oder er beziehungsweise sie unterläuft sie, ironisiert sie, persifliert sie. Das alles ist möglich, ohne dass die Person des Kunstschaffenden existentiell bedroht wird. Man kann (und die allermeisten Künstler haben es getan) im Kapitalismus sich eine gewisse künstlerische Unabhängigkeit durch finanzielle verschaffen: indem man sein Brot außerhalb des Kunstbetriebes verdient. Selbst Goethe hielt es so. Die Abhängigkeit vom sozialen Kapital der künstlerischen Anerkennung wird durch diese mögliche Lebensentscheidung nicht aufgehoben. Es gibt kein Werk außerhalb von Bedingungen und Bedingtheiten, auch den ganz persönlichen des Autors/der Autorin. Autonomie ist Fiktion. (Zuzeiten eine notwendige gewesen, zugegeben.)

Aber die Selbststilisierung mancher zu "Opfern" des "Betriebs" wirkt abscheulich, so lange anderswo, wer schreibt, malt, spielt, was er oder sie will und fühlt, an Leib und Leben bedroht ist. Es ist eine künstliche Erregung, die zum Beispiel hier stattfindet, die mit Kunst und Literatur so wenig zu tun hat, wie das, was aus ihr heraus kritisiert wird.

9 Kommentare:

  1. Hallo Melusine,

    wen meinst Du denn genau mit "Opfern des Betriebs"? Ich kann das aus dem Link nicht ganz heraussehen.

    Mir würde es ganz recht sein, wenn sich mehr über den (Kunst)Betrieb aufregten, meinetwegen auch als Opfer. Das wäre für mich ein Weg zur Erkenntnis.

    Siehe auch hier die Frage auf Thing Frankfurt:

    http://www.thing-frankfurt.de/content/2011/erfahrung-von-ungerechtigkeit

    Grüsse
    Stefan

    P.S.
    Daß Kunst anderswo lebensgefährlich ist, erkenne ich natürlich an.

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  2. Hallo Stefan,

    für mich ist es ganz schlicht so: "der Betrieb" ist interessant, wenn du dort Anerkennung willst. (Also in der Kunst: bekannte Sammler, Galerien, Museen etc.) Letztlich gilt hier - mehr noch als in der Literatur - : Was Kunst ist, entscheidet der dickste Geldbeutel.

    Alle Avantgarden haben - mit Recht, wie ich finde - versucht, "den Betrieb" zu umgehen und eine andere Form der Verbindung zu ihrem Publikum (das eben oft nicht zahlungskräftig ist) herzustellen. Das halte ich immer noch für den richtigen Weg. Die Strategien wechseln. Die Medien. Die Techniken. Überall lauert die Gefahr: unterzugehen im Überangebot, zum Pop-Kult zu werden, zur Mode, zum Establishment.

    Aber niemand muss Opfer des "Kunst-Betriebs" oder "Literatur-Betriebs" sein. Niemand muss in diesem Betrieb mitmachen. Man will es halt. Anerkennung durch die Renommierten. Wer das will, muss auch mit Ablehnungen und Enttäuschungen leben. Gerechtigkeit, verzeih, halte ich für eine Kategorie, die hier nicht angebracht ist. "Der Betrieb" schuldet keinem einzelnen Künstler was. Warum auch? Jeder kann machen, was er will. Wo keine Zensur ist, gibt es auch keine Verpflichtung. Auch keine zur Anerkennung. Vielleicht interessiert´s eben keinen, was einer macht. Das stellt noch keinen Opfer-Status her.

    Wen ich meine? Künstler und Literaten, die beklagen, dass sie nicht so wahrgenommen und wertgeschätzt werden, wie es ihrer Selbsteinschätzung oder der ihrer Bewunderer entspricht. Was der Wert eines Werkes ist, entscheidet weder der, der es produziert, noch seine "Gemeinde", am Ende nicht einmal "der Betrieb". Gerecht geht es auch nur zu, wenn man an Geschichte glaubt. Denn die entscheidet: Was Bestand hat.

    Woran man arbeiten kann: Überliefert zu werden. An sich. Und den Formen.

    Herzliche Grüße

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  3. geschichte ist nicht gerecht, sie ist zufällig und grausam.

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  4. Als wäre Geschichte etwas außerhalb der Menschen. Wer, wenn nicht wir, macht denn Geschichte? (das als Frage an den anonymen Kommentator) Und im übrigen kann ich Ihren Satz nur unterschreiben, Melusine, dass man arbeiten kann, an sich und den Formen. Und vielleicht an der Wahrnehmung, indem man sich weniger narzißtisch und ignorant verhält, wie so viele der im Literaturbetrieb und vor allem in sich selbst befangenen "Künstler", und die Perspektive erweitert, indem man dorthin sieht, wo Kunst Leben bedroht, indem man z.B. einen Artikel schreibt, wie Sie es hier getan haben. Indem man darüber nachdenkt, dass man Teil der Geschichte ist, und es viel schwerer (und sinnvoller und wichtiger) ist, Verantwortung zu übernehmen, als sich immer wieder als Opfer darzustellen.

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  5. Liebe Frau Weberin,

    Kunst bedroht doch kein Leben. Ein Regime wie in China bedroht Leben. Ein Regime hat Ossip Mandelstamm umgebracht, weil er eine Zeile gegen Stalin schrieb, aber nicht das Gedicht hat ihn umgebracht, sondern das Regime.


    Hans. H aus H

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  6. Natürlich lieber anonymer Hans H. aus H., ich habe nirgendwo behauptet, dass Kunst Leben bedroht und im Falle Ai Wei Weis noch weniger, denn das Regime in China geht durchaus konform mit seiner Kunst, es ist das Regime, aber auch ein Regime ist nicht ohne Menschen zu haben, Menschen, die unterdrücken, Menschen, die leiden und andere, die das alles höchstens als Heldenepos interessiert. Und andere Menschen, die ihr Bauchnabel mehr interessiert als alles andere auf der Welt.

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  7. Entschuldigung, ich habe mich selbst nicht genau gelesen. Ja, dieser Fehler ist mir tatsächlich unterlaufen, ich habe wirklich geschrieben, dass Kunst Leben bedroht, was selbstverständlich falsch ist. Es sind die Menschen, die frei sein wollen, die sagen, was sie denken, die nach allen langen Geschichten der Unterdrückung, noch immer an der Idee einer Gerechtigkeit festhalten und dafür eintreten, diese Menschen sind es von denen sich menschenverachtende Regime wie in China bedroht fühlen, worauf sie keine andere Antwort wissen, als noch mehr Unterdrückung, noch mehr Menschenverachtung. Danke für den berechtigten Hinweis, wer weiß, vielleicht war ich als ich das schrieb mehr an meinem Bauchnabel interessiert als an Sachverhalten.

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  8. aber am ende triffts dieser Satz doch Frau Weberin, denn im Fall Mandelstam zum Beispiel. Er schrieb, wie erwähnt, ein Gedicht das klar gegen Stalin gerichtet war, er wusste was ihm passieren würde, trotzdem schrieb er es und er schickte es, so viel ich weiß an Stalin. Wa ging da bloß in ihm vor?

    Herr H aus dem H

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  9. http://www.welt.de/die-welt/kultur/article4579243/Wuerdigung-des-Stalin-Epigramms-von-Mandelstam.html

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