Dienstag, 19. Juli 2011

Reisejournal Rom (11): MORBID. MONDÄN. MODISCH. MUNDEND.

Keine Kirchen heute. Genug von den Seligen und Heiligen, den leuchtenden Kränzen, den gefalteten Händen, den verzückten Gliedern im Martyrium für den Höchsten. Davon also, stelle ich fest, kann ich genug kriegen. Marmor, ein Stein den ich liebe, mehr noch seit wir vor mehr als zwanzig Jahren mit einem halsbrecherischen Busfahrer hinauf in die Steinbrüche von Carrara fuhren und sahen, wie die Blöcke geschlagen werden, - ich mag ihn gerade nicht mehr sehen. Überall hat der barocke Katholizismus sich rein- und aufgedrängt, selbst die phantastische Architektur des Pantheons verleidete er mir durch die stets ähnliche (oder scheint mir das nur so?) Ausgestaltung zur christlichen Weihestätte.

Nur eine Kirche sahen wir trotzdem auch heute, von der (Santa Maria – was sonst? - della Concezione) aber nur die Gruft und diese wiederum nur für drei Minuten. Dann war Toresschluss zur Mittagspause. Das reichte auch. Am Eingang zur Kapuzinergruft am Ende der Via Veneto wartete die Touristenschlange. Drinnen gibt’s Heavy Metal: echte menschliche Knochen und Schädel von viertausend Kapuzinern, zu phantastischen Formen gestaltet, schmücken die Wände und Böden von fünf Kapellen: Ranken, Blüten, mancher Knochenhaufen ist auch wieder zur menschlichen Gestalt  zusammengebaut, mt einem bräunlichen Sack überworfen und liegt da mahnend: „Wir sind, was ihr sein werdet. Ihr seid, was wir waren.“ Oder so. Oder umgekehrt. Zum allerersten Mal bin ich mit Freund Peterich, dessen skurrilen Elogen auf den Barock, Bernini, die Päpste und die Heiligkeit im Reiseführer über Italien. Bd. 2 Morel einiges abgewinnt, einig: „eine grausige Sehenswürdigkeit, auf die man verzichten sollte.“ Rasch wieder draußen gingen wir weiter die Via Veneto hinauf, die – wie ein Straßenschild verkündete – Fellini in ein Theater des Films verwandelte. Ein wenig, ein ganz klein wenig, kann man sich das noch vorstellen: wie Sophia Loren in einem unglaublich schicken und unwahrscheinlich unbequemen Kostüm hier entlang trippelte, wie Anita Ekberg an einem Campari nippte oder Ingrid Bergmann ihre Pelzjacke überstreifte. Aber man braucht viel Imaginationskraft dazu. Allzu viel für mich heute. Ich werfe lieber einen Blick vorbei an dem Wachmann ins Innere des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung (Ministero dello sviluppo economico), das Außen klassizistisch ist und innen einem Kirchenraum gleicht mit bunten Glasbilderfenster, die – doch er ließ mich nur kurz schauen – Heilige abzubilden scheinen. Die Rückkehr der Maria Juno Moneta???

Später betrachteten wir im Palazzo Massimo alle Terme  direkt am Bahnhof antike Skulpturen und stellten fest, dass für mindestens zwei der Büsten Amazing und Mastermind Model gestanden hatten. Außerdem überraschte, dass auch Oktavian schon die Hoodie-Mode kannte und schätzte. Stand ihm gut, jedenfalls. Das war angenehm ruhig und kühl da drinnen. Wir stellten wieder einmal fest, dass das Christentum völlig zu Unrecht für sich reklamiert, es habe das Individuum entdeckt. Wir sahen jedenfalls hinreichend viele ganz einzigartige Männer und Frauen in Stein porträtiert, von denen man sich bei einigen unmittelbar vorstellen konnte, wie sie in Fleisch und Blut schmallippig oder breitmäulig zu schwatzen beginnen würden, säße man bei einem Bier mit ihnen zusammen oder träfe sie auf dem Wochenmarkt.

Am Nachmittag ging ich mit Amazing ein wenig Shoppen beziehungsweise Schaufenster-Cruisen, eine Unterhaltungsweise, der Morel und Mastermind eher nichts abgewinnen können. Für Amazing erstanden wir in einem Secondhand-Laden ein elegantes Armani-Shirt für 20 €. Das Kleid von Missoni, das mir gefiel, kostete aber trotz 50%-Abschlag vom Originalpreis immer noch 350 € und war damit unerschwinglich. Dafür entschädigte das Eis im Palazzo Freddo. Hier trifft sich im Verkaufssaal der ältesten Eisfabrik Roms (seit 1880) die Nachbarschaft, Eis-Gourmets und Touristen, um das leckere Eis zu verschlingen. Ich ernähre mich in Italien ja grundsätzlich wesentlich von Speiseeis. Während ich Mittags in der Hitze die fruchtigen Sorten bevorzuge (Zitrone, Melone, Erdbeer, Kirsch), dürfen es am frühen oder späteren Abend auch mal Zuppa inglese, Schokolade, Stracciatella oder Caramel sein. Riesenportionen – mit und ohne Sahne. Amazing hatte Aranca rosso (Blutorange). Hmmm. Das probiere ich auch noch. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen