Dienstag, 16. August 2011

DIE SCHEIN-HEILIGEN VON SCHLESWIG-HOLSTEIN

Zugegeben, man fragt sich schon, wie das zuging: sich über Facebook anfreunden mit einem, der ganz anders tickt und einer anderen Generation angehört. Wie man sich auf diese Weise näher kommt und schließlich das Wagnis eingeht, sich persönlich zu treffen. Wie aufregend das gewesen sein mag: die erste zögerliche Berührung, die ersten Worte. Der Entschluss, miteinander aufs Zimmer zu gehen in dem Hotel, sich zu entkleiden (vielleicht), der Sex. Man phantasiert. Doch es ist nicht mal eine phantastische Geschichte. Das kann passieren, das passiert dauernd so - oder anders. 

Nur wer das Netz allenfalls nutzt, um Spiegel Online aufzurufen oder Emails zu verschicken, mag nicht glauben, dass man sich in den Chats und Foren, über Bloggen und Kommentarfunktionen nahe kommen kann. Wen du da findest, den findest du in der Regel über Gemeinsamkeiten: gemeinsame Freunde, Bekannte, Interessen, Engagements. Mit der Zeit gibt man einiges über sich preis. Je intimer das Interesse ist, über das man sich gefunden hat, desto schneller kann es gehen, dass man den Eindruck gewinnt, einander näher zu sein, als man vielen ist, die man in der sogenannten „Real-Welt“ trifft. Das ist nicht unbedingt eine Illusion. Es definiert uns Adresse, Lebensalter und  Arbeitsplatz nicht mehr als unsere Musikauswahl, unsere Sexualpraktiken oder Lektüren. Wenn man sich einlässt im Netz auf ein Gegenüber, dann kann man hier Annäherung und Reibung erleben. Daraus kann viel Anziehungskraft entstehen. Der Zustand der Verliebtheit ist immer einer der Projektionen, auch dann, wenn man sich im Kerzenschein direkt gegenüber sitzt. Ob so ein Wahn dem Alltag eines gemeinsamen Lebens in einer Zwei-Zimmer-Wohnung standhält oder nicht, ist ohnehin ungewiss, unabhängig davon, über welches Medium man sich kennengelernt hat.

Das ist also einem passiert, der schon ein wenig älter ist und (möglicherweise) erfahrener und von dem offenbar erwartet wird, deshalb, er verhalte sich stets maßvoll. Womit wohl gemeint ist, dass er seine Gefühle im Griff hat, besser noch, dass er nur fühlt, was allgemein als recht und billig und möglicherweise sogar nützlich angesehen wird. Jetzt ist er erwischt. Beziehungsweise bloßgestellt von den „Parteifreunden“, die mit heuchlerischer Miene jammern, es sei „dem Wähler“ nicht vermittelbar, dass ein Mann sich in eine sehr viel jüngere Frau verliebe und dem nachgebe. Sie war 16, wird berichtet. Wer kann wissen, was sie an ihm fand? Wie und warum wir uns Partner wählen, ist der Analyse wert. Da würde bei manch einer und manch einem von uns was herauskommen, was wir vielelicht weniger gerne genau wüssten. Darüber kann man nur spekulieren, was diese hier antrieb. 


Die angeblichen Hüter der Moral aber geben sich entrüstet: So einer darf nicht Ministerpräsident werden. Eine Straftat haben die beiden, geben selbst die vorgeblich Schockierten zu, nicht begangen. Man zeigt sich trotzdem entsetzt, kann aber nicht genau sagen worüber.

Was für eine Gemengelage ist das hier? Eine älterer Mann und eine jüngere Frau. Nichts dabei, kommt öfter vor. Sie ist minderjährig, 16 Jahre alt. Strafbar ist so ein Verhältnis, wie gesagt, nicht. Viele 16jährige Mädchen haben Sex. Bei den meisten kann man davon ausgehen, dass sie wissen, was sie tun. (Ob sie auch wissen, was ihnen gut tut, steht auf einem andern Blatt. Aber das wissen viele 30jährige und 45jährige und 60jährige auch nicht.) Sie lernten sich über Facebook kennen. O.k., da steckt bei der Zielgruppe, um die es hier geht, dem gemeinen mittelalten CDU-Wähler, ein gewisser Igitt-Faktor drin. Selbst nicht allzu netzaffin hegt man die dollsten Verdachtsmomente, was da alles los ist und sich abspielt in den Social Networks. Dazu: Sex im Hotel – das klingt anrüchig (Ja, kann ich nachvollziehen, ich mag´s  in Hotelzimmern auch besonders gern.).

Alles in allem stellt sich das so dar: Man hat´s nicht gern, wenn einer Gefühle hat und lebt, zumal sexuelle, es außerdem noch schafft, diese mit realen Partnern zu realisieren, statt sich vor dem Bildschirm einen runterzuholen. Das geht echt zu weit. So jemandem kann man nicht trauen. Günstig, dass die Frau, mit der er Sex hatte sehr jung war. Da kann man ihm einen Strick draus drehen. Man will ja schließlich unter sich bleiben, unter den verklemmten Moralaposteln.

4 Kommentare:

  1. Mich hat an der Geschichte gestört, dass der Betreffende öffentlich von "Liebe" geweint hat, die von-März-bis-Mai-Liebe aber offenbar nicht so groß war, ihr das höhere Gewicht (vor der politischen Karriere) zu geben. Ich persönlich kann auf so eine Liebe gut verzichten. Wie hat sich das Mädel nach diesem Abschuss wohl gefühlt? Und widerspricht das nicht auch den christlich-konservativen Werten der maßgeblichen Partei?
    Was die Beziehung oder Anziehung der beiden angeht: Es werden schon beide etwas daraus gewonnen haben, da es freiwillig und einvernehmlich war (wie es immer so schön heißt).

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  2. Ehrlich - Beziehungen zwischen sehr alten und beruflich etablierten bzw. vermögenden Männern und sehr jungen Frauen ohne eigenes Einkommen empfinde ich generell als "verstörend". Sie passen eben gut ins Klischee - und oft stimmt es ja auch. Dass es da ein Muster geben mag und dass und wie dieses Muster kritisch zu beleuchten wäre, finde ich eine spannende Frage. Etwas anderes ist es meiner Meinung nach zwei Menschen ihre konkrete Beziehung moralisch zum Vorwurf zu machen. Denn so genau kann keiner von außen reingucken, wie die Verhältnisse sind (und jede/r weiß doch aus eigenen Beziehungen, dass auch da ungut Machtverhältnisse hineinspielen und Konventionen, meist unbewusst, und wie schwer es ist, sich das bewusst zu machen).

    Das Weinen des Betroffenen habe ich gar nicht gesehen, aber wenn er es so begründet hat, wirkt es schon peinlich. Aber er steht da doch in einer langen Reihe schwacher Männer ;-). (Vielleicht ist es ja auch ganz anders gewesen und sie hat ihn "abgeschossen", als sie ihn durchschaute. Wer weiß. Ihre öffentlichen Einlassungen wirken jedenfalls sehr abgeklärt! Zum Glück!)

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  3. Also den Mann per se immer als den bösen Verführer hinzustellen, der arme unschuldige Mädchen vernascht, finde ich auch klischeehaft. Man sollte sich einfach daran gewöhnen, dass es (Liebes)Beziehungen gibt, bei denen es einen großen Altersunterschied geben kann. Geschlechtlich umgekehrt würde ich solche Beziehungen auch nicht diskriminieren wollen. Hier handelt es sich aber um einen politischen Vorgang. Dass Sie den eigentlichen "Skandal", nämlich die verlogene Moral der Partei zur Sprache bringen, finde ich sehr gut. Den Inhalt "Schwarzer Koffer" in in der Schweiz als "jüdische Vermächtnisse" zu deponieren ist da schon eher skandalös. Aber die CDU kann sich ja nicht einmal zu einem toleranten Verhältnis zur Homosexualität richtig durchringen. Das Privatleben oder Liebesleben eines Politikers sollte nie eine Rolle spielen, solange er sich nicht strafbar macht. Von mir aus kann Frau Merkel regelmäßig einen Swinger-Club besuchen, Hauptsache sie würde danach bessere Politik machen.

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  4. @Buecherblogger Man weiß es halt nicht: Ob der Besuch von Swinger-Clubs einen signifikanten Einfluss auf die Politik von Frau Merkel hätte. ;-) (Und ich fürchte: Man wird es nie erfahren!)

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