Donnerstag, 4. August 2011

MANN, MOSES!

Der Mann Moses kam vom Berg herab mit den Tafeln, darauf stand, was du sollst und nicht sollst. Wie er so herunter kam, muss er schon gehört haben, dass sie ihm nicht gefolgt waren, dass sie feierten und tranken und sich vergnügten und dann wird er es gesehen haben: Das goldene Kalb (wie viel edlen Schmuck müssen sie eingegossen haben in heiße Feuerglut, um diesen Götzen aufzurichten?). Er wusste sie ihre Anstrengungen nicht zu würdigen, dieser Wüste etwas Freude, etwas Lust abzuringen. Zornig zerbrach er die Tafeln. Die sollten, was sie nicht wollten, waren auch Männer, die Worte zeigten es klar: „Du sollst nicht ehebrechen mit dem Weib deines Nachbarn.“ Das Gesetz gilt dem Manne in seiner schutzlosen Gier, der nicht wissen kann, wessen Kindes Vater er ist.

Es ist kein netter Menschenmann, dieser Moses, dem Gott sich anvertraut. Nachdem er im Weidenkörbchen gerettet ward, treffen wir ihn das nächste Mal wieder, als er einen im Jähzorn erschlägt. Schwer zu verstehen, was diesen Mordbuben, der fliehen muss, so auszeichnet, dass JHWE ihn zum Führer seines Volkes macht. Warum spricht er ausgerechnet zu dem aus dem flammenden Dornbusch heraus: „Ich bin da, weil ich da bin.“ ?

Der wenig sympathische Charakter dieses Mannes hat manchen schon beunruhigt.  Siegmund Freud wollte, was ihm zu diesem unbeherrschten Gewaltverbrecher einfiel, zunächst nur anonym veröffentlichen, so sehr fürchtete er den Zorn seiner Glaubensbrüder. Freud entdeckt, was die Moses-Erzählung eigentümlich heraushebt aus den Mythenstoffen: Während wir an einen Prinzen im Exil, der inkognito aufgezogen wird, bedroht durch den leiblichen Vater zuweilen oder dessen Feinde, gewohnt sind; an den Bauernlümmel, dessen edle Herkunft sich im feinen Charakter andeutet und schließlich im Finale triumphal enthüllt, haben wir es bei Mose mit einem zu tun, der umgekehrt aus der Sklavenschicht stammt und von einer edlen Prinzessin an Kindesstatt angenommen wird. Moses leiblicher Vater, sonst die zentrale Figur im mythologischen Familen-Roman, spielt gar keine Rolle. Freud erklärt das damit, dass die Erzählung die ägyptische Herkunft des historischen Moses verschleiern soll.

Nachhaltig und zugleich vergeblich versuchen die Moses-Erzähler Stück für Stück die rettende Mutter und mit ihr schließlich die Mütter und Frauen aus der Geschichte zu drängen. Sie bleiben notwendig, leibliche Mutter und Ersatzmutter, um die Vaterlosigkeit (d.h. die Unabhängigkeit) des Mose sicher zu stellen, ihm sozusagen einen „offenen Anfang“ zu verschaffen. Danach spielen sie kaum eine Rolle mehr. Moses hat einen Schwiegervater, erfahren wir, einen midianitischen Oberpriester, für den er als Hirte arbeitet. Seine Frau heißt Zippora. Viel mehr liest man über sie nicht, außer, dass sie ihm einen Sohn gebiert. Frauen sind Gebär-Mütter. Das waren sie in der Vor-Geschichte auch, mag man einwenden. Das stimmt. Doch konnten sie vor der Tilgungarbeit auch Göttinnen sein, stark, lachend wie Sara und verehrt für ihre fruchtbaren Leiber. Zeitgleich mit dem Erscheinen des EINEN Gottes verschwanden die Göttinnen, mit ihnen Ashera, die Frau des JHWE, dessen Name sich jener gelegentlich bedient, der aus dem Dornbusch redete. Ihre Bildnisse wurde von den Priestern und Schriftgelehrten in zornigem Eifer zerschlagen wie die Tontafeln des HERRN durch den grimmigen Moses.

Was die Tora erzählt, ist Produkt eines Jahrhunderte dauernden Prozesses der Überschreibung, des Remix von Geschichten und Gedichten, mündlichen Überlieferungen und in Tafeln geritzten Fragmenten, ein Gemeinschaftswerk von Autoren, die stets auch ihre eigenen Konflikte, Hoffnungen, ideologischen Überzeugungen in die Komposition einfließen ließen. Wie im Hohelied die Frauen noch den Bildern altorientalischer Göttinnen nachempfunden sind, so sind aus der Moses-Erzählung die Spuren der Göttinnen und der Verehrungen weiblicher Fruchtbarkeit weitgehend getilgt. Nur gelegentlich ist ein Vers oder der Name Ascheras der Aufmerksamkeit der Zensoren entgangen. 

Mose und sein Gott sind einander Spiegelbilder. So jähzornig, herrschsüchtig und eifersüchtig wie der Mann, gibt sich auch der Allmächtige. 40 Tage verbringen sie, erzählt der Text, miteinander einsam auf dem Sinai, der HERR und sein Bote. HERRlich erleben sie eins den andern und verzehren sich wie glühende Feuer.  Als das Volk so ungehorsam geil feiert, will der HERR es in seiner Wut vernichten und es ist Mose, der Menschenmann, der seinen Gott um einen hohen Preis beschwichtigt.  Gnade wird noch einmal gewährt, aber 3000 Menschen erschlagen die Söhne Levi an diesem Tag und Gott begleitet den Zug nicht weiter und Moses wird den Jordan niemals überqueren. Die HERREN, wird erzählt, verfolgen hohe Ideale. Führer sind sie ihren Untertanen, gerecht und grausam, doch kommen sie selbst niemals im gelobten Land an.

Das verschüttete Bild des Körpers, das dem Bilderverbot zum Opfer fiel, wird immer wieder freigelegt werden in den folgenden Jahrhunderten; wie sollte es anders sein? Ausgerechnet Moses, der Kraftmensch, huldigt dem körperlosen Gott, der sich weigert Gestalt anzunehmen. Es ist einer der abenteuerlichsten Momente der (Kunst-)Geschichte, als Michelangelo diesen Mose in Stein haut (– und es ist kein Zufall, dass eben jener Michelangelo auch dem HERRN mitten im Machtzentrum der Kirche körperliche Gestalt verlieh an der Decke der Sixtinischen Kapelle). Es ist ein Mann, der schwer an den Lasten trägt, die ihm sein Gott auferlegt hat, den Michelangelo zeigt. Ein wuchtiger Mensch, gehörnt, ein Homo sapiens, der seinen Körper nicht leugnen kann und dem anzusehen ist, was es ihn kostet, diesen durch den Geist zu beherrschen, aus dem der HERR sprechen will. Es quält der monotheistische Glaube seinen ersten Propheten fürchterlich, zeigt Michelangelo in San Pietro in Vincoli.

Anderswo in Rom ist er anders zu sehen, der Mann Mose.  Strahlenumkränzt und prächtig steht er da, Standbein, Spielbein, bartumflossen, über seinem Brunnen. Und macht sich richtig lächerlich mit seinen Comic-Figuren-Armen. Der Bildhauer der Statue, wird erzählt, habe sich vor Scham umgebracht, so heftig hätten die Zeitgenossen über seinen Moses gelacht. Das ist schade, denn selbstverständlich kann man über den wutverzerrten, moralinsauren, besserwisserischen Kerl, der einen zerlumpten Haufen mit vagen Versprechungen 50 Jahre durch die Wüste trieb, auch lachen. Man sollte es sogar. Und Frau sowieso. Zippora, über die wir nur so wenig erfahren, musste ihn, den gequälten Kraftmenschen, retten, mit einem Stück von der blutigen Vorhaut seines Sohnes. Der vaterlose Herrliche wird von der Mutter seines Sohnes durchs Geschlecht gerettet. Das ist eine Umdeutung der traditionellen, mythischen Familien-Story, der nachzudenken wäre. Und komisch ist es auch.

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