Montag, 7. November 2011

SALZWASSER IST POESIE (Herbst-Collage)

Noch hatte sich der Dunst nicht von den Hügeln gelöst, als ein einspänniger Pferdekarren hinab in Stadt rumpelte. Er war mit verblühten Rosen beladen. Die Billigkeit erheischt hinzufügen, dass die Stunde unglücklich gewählt war. Auf der Ausfallstraße hupte zornig ein Jaguar, der gen Norden raste, als der Karren sich in seine Bahn drängte. Der Held unserer Erzählung blinzelte in die aufsteigende Sonne und gähnte. Noch fühlte er sich wohl, auch wenn er das nicht zugegeben hätte. Wer sich zu einem peinlichen Gang anschickt und mit Sehnsucht auf das Schreckensende wartet, für den ist nichts härter als die Verzögerung.

Das Haus am Hafen aber wies ihn ab. Die Läden blieben verschlossen. Hinter ihnen bewegten sich die vergilbten Gardinen im Windhauch, der von der See herüber strich. Allerdings hörte er ihr Gemurmel durch die offenen Fenster: „Ich bin die Welle, die brandend sich an deiner Stärke bricht.“ Sein Herz zuckte. Auf sein Klopfen reagierte niemand. So legte er sich zum Warten zwischen die  Blätter der Rosen und betäubte an ihrem Duft seinen Sinn. Wie hatte sie mit einer vom Grund eines Brunnens hallenden Stimme zu ihm gesagt: „Bist du der Fels?“ Dann hatte sie ihn mit den Armen umschlungen und war mit ihm niedergesunken. Später saßen sie und sahen schweigend hinaus auf die See. Da klang wie von Ferne her ein Lied zu ihm hinaus: „Wie mich´s erhebt und mich durchzittert. Und alles Weh in Wonne mir verkehrt.“

Sie hatte geschrien vor Schmerz und Wut. Das wollte er vergessen. Auf allen Vieren solle sie kriechen, hatte er harsch angewiesen, und vor seinen Freunden wie ein Hündin vom Boden essen. Seine Hände krampften sich unter seinem Leib um die Gürtelschnalle. Warum verlangte ihn so nach ihrem Blut? Er suchte nach einem Bild,  nach Worten und Sätzen, die ein Einverständnis herstellen konnten. „Warum ich kam? Noch weiß ich´s nicht zu sagen.“ Da stand sie neben seinem Wagen. „Zum Wahnsinn aufzureizen meinen Schmerz.“ „Das ist es, was mir Linderung  gewährt.“ Sie bat ihn herein.

Sie setzten sich ein letztes Mal an den Teetisch. „Geboren in einem freundlichen Land, bemuttert von Frieden und Sanftmut, habe ich es nicht gelernt, unter deinem Gericht zu leben.“ Er wollte sie an sich reißen, zerpressen, erschlagen. Als wäre Diskretion Verschweigung. Wie sie ihm keine Sekunde der Wahrhaftigkeit gestattete. „Es sind dies unsere letzten Minuten, und ich möchte, ehe wir Abschied nehmen, mir noch manches von der Seele herunter sprechen.“

Da war sie längst aufgestanden. Ihr Ohr hatte sie ihm nie geliehen. Er sah sie durch den Vorhang hinaus auf die Terrasse treten und hinunter zur See gleiten. Sie war der zärtliche Geist, der ihn am Tage jagte. Doch nachts hatte er ihr ein grimmiger Jäger sein wollen . Ein letztes Mal drehte sie sich um und rief höhnisch und triumphierend: „Salz-Wasser ist Poesie.“ Dann verschlangen sie die Wellen.

2 Kommentare:

  1. Manchmal ist mir beim Lesen Ihrer Texte, als ginge ich durch ein Haus, das keine Zimmer, sondern Verschläge hat. Und in jedem rüttelte etwas Gewaltiges von innen an der Bretterkonstruktion, als ob es heraus wollte. Dringend.
    Ich wandere herum und kann mich nicht entscheiden, wen (oder gar ... was?) ich beim Erforschen Ihres Hauses gerne an meiner Seite hätte.

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  2. Das weiß ich nicht. Wer (oder was) an Ihrer Seite sein sollte, wenn... Und auch nicht, was hinter diesen Verschlägen lauert. Ich schreibe das nur. Und es mich.;-)

    Das hier ist eine Collage, verklebt natürlich, so dass die Schnittstellen nur noch als - zum Teil fast verblaßte ? - Narben sichtbar sind, hoffe ich? Es treibt mich ein Satz. Dieser Text hier fing mit dem Luthertum an und einer Konversion zu den Reformierten - das ist dann raus gekürzt worden. Zugunsten wovon?

    Ja, es stimmt wohl. E t w a s rüttelt. (Und "ich"?)

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