"Mit der Entbürgerlichung der Gesellschaft verliert die Kunst, selbst wenn sie sich zum Druck von Ökonomisierung und Privatisierung nicht vollständig affirmativ zeigt, ihre Autonomie. Möglicherweise gehört es zum gemeinsamen Auftrag von Kunst und Kunstkritik, diesen Autonomieverlust zu reflektieren. Was, in ökonomisierten und privatisierten Medien nicht ganz leicht ist, zumal die Ökonomisierung und Privatisierung von Lebensmitteln, von Medizin und von Gewalt auf den ersten Blick als wesentlich bedeutenderes Problem erscheint. Die Kunst ist indes noch stets Leitmotiv und Experiment für andere Lebensbereiche. Man sollte sich dieser Verantwortung bewusst sein." (Georg Seeßlen. Zum kompletten Text auf "Das Schönste an Deutschland ist die Autobahn": Hier.)
Liebe Melusine, ich wüsste nicht, warum mit der "Entbürgerlichung" der Gesellschaft die Kunst ihre Autonomie verlieren sollte. Auch sehe ich es nicht als "Auftrag" von Kunst, diesen "Verlust" zu reflektieren. Und schon gar nicht gemeinsam mit der Kunstkritik. Kunst ist nie autonom, oder sie ist es immer. Kunstkritik hingegen ist nie autonom gewesen und wird es auch niemals sein. Das ist der Unterschied. Kunst und Kunstkritik sind zweierlei Berufungen, das vergisst vor allem die Kunstkritik gerne und oft. /Ohne Zweifel aber sind deutsche Autobahnen schön, weshalb ich mich jetzt auf eine derselben begebe, um mir in München Carlo Mollino anzusehen... ;-)
AntwortenLöschenIch glaube, Seeßlen meint, das Konzept der "autonomen Kunst" (also einer, die nicht in Kult und Alltagsgebrauch z.B. Pädagogik) eingebunden ist, hänge historisch von der bürgerlichen Gesellschaft ab. Ich teile diese Ansicht. Daher denke ich nicht, dass Kunst immer schon autonom war.
AntwortenLöschenWas er nicht sagen will, so zumindest verstehe ich das, ist, dass Kunst und Kunstkritik das Gleiche seien. Sondern dass sie, mit ihren jeweiligen Mitteln, den Umbruch reflektieren sollten, den wir erleben - und der, darin gebe ich ihm auch Recht - genauso gewaltig ist wie jene "Epochenschwelle", die den Beginn der bürgerlichen Gesellschaft, der Industrialisierung etc. markiert.
Worin ich dir Recht gebe: Die Autonomie der Kunst war und ist immer nur ein "Konzept", also eine Fiktion. Aber das "System Kunst" ist - seit etwa 1800 - insofern anders organisiert als andere gesellschaftliche Systeme, als es nicht mehr auf gesellschaftliche Wirksamkeit (und Formation) zielt (oder zu zielen behauptet), sondern auf den einzelnen, kontemplativen Rezipienten. Dass genau diese Konzeption selbst wieder gesellschaftlich wirksam ist und war, steht auf einem anderen Blatt.
Insgesamt bin ich aber unverbesserlich Optimistin. Daher spräche ich nicht von Verlusten, sondern von Veränderungen. Auch die "Autonomie" ist eine Errungenschaft gewesen, für die ein Preis zu zahlen war. Unter anderem: dass Kunst und Kunsthandwerk streng voneinander getrennt wurden.
(Gott, ist das ein weites Feld. Meine Baustelle. Nie "aus"-gedacht. Aber jetzt muss ich mich auch fertig machen für die Autobahn...)