„Und wieder für Zelda“ – mit der Widmung auf der ersten Seite seines „Großen Gatsby“ webt Fitzgerald an der Legende vom rauschenden Paar weiter, das über die Tanzböden der "Roaring Twenties" swingt, wahllos Bonmots verstreut und sich in innig-verzweifelter Hass-Liebe zugetan ist bis zur wechselseitigen Zerstörung: F. Scott Fitzgerald ersäuft sich im Alkohol; seine Frau Zelda verbrennt in einer Irrenanstalt.
Wie die Pariser Schrifsteller- und Künstlerclique um Zelda und Scott Fitzgerald ("The Moderns": Ernest Hemingway, Jean Rhys, Gertrude Stein, Ford Madox Ford, Pablo Picasso, Juan Gris, George Braque u.v.a.), so sind auch die Figuren dieses Romans, besonders die Hauptfigur, "der große Gatsby", längst „Bigger than life“, überlagert das Image Werk und Erzählung. Gatsby erscheint vor meinem inneren Auge als der junge Robert Redford, in weißen Anzügen sich geschmeidig durch eine schillernde Welt aus Jazz, Alkohol und Sex bewegend. Die Bilder des großartig ausgestatteten Films von Francis Ford Coppola aus den 70er Jahren (Oscar für das beste Kostümdesign) verzerren den Blick auf Fitzgeralds Roman des frühen 20. Jahrhunderts.
Als ich „Der große Gatsby“ jetzt wieder las, fiel mir auf, wie schattenhaft und verhaucht die beiden Hauptcharaktere eingeführt werden. Jay Gatsby taucht vor den Augen des Ich-Erzählers Nick als eine Silhouette aus dem Dunkel auf, sehnsuchtsvoll die Hände über das Wasser nach dem Lichtschein ausstreckend, der vom Booststeg der unerreichbaren Geliebten ausgeht. Daisy, ganz in Weiß, liegt auf ihrem Sofa, die Kleider umflattern die zarte Gestalt, als werde sie gleich hinweggeweht werden. Ganz anders stellt Fitzgerald die beiden Gegen-Figuren, den grobschlächtigen ehemaligen Footballspieler Tom und dessen lebenshungrige Geliebte Myrtle, vor, die ganz Körper sind; „von enormer Wucht“ und „in jedem Nerv von schwelender Glut erfüllt.“ Zwischen diesen kontrastierenden Paaren bewegen sich der Erzähler Nick und die Golfspielerin Jordan, die nebenbei eine kleine Affäre miteinander haben. Hinzu kommt als Katalysator des tragischen Geschehens Myrtles Ehemann George Wilson, „ein leidlich gutaussehender blonder, energieloser Mann.“
„Der große Gatsby“ erzählt den amerikanischen Traum, dass jeder es schaffen kann, vor allem: sich selbst erschaffen kann. Gatsby ist ein Selfmade-Millionär, der eigentlich James Gatz heißt. Schon als mittelloser Jüngling hat er sich in die reiche Daisy verliebt. Seither wünscht er nichts anderes, als sie wieder für sich zu gewinnen. Daisy ist inzwischen mit dem wohlhabenden Tom Buchanan verheiratet, der sie mit der drallen Myrtle betrügt. Diese lebenshungrige Frau langweilt sich mit ihrem kleinbürgerlichen Ehemanns. Es scheint um große Gefühle zu gehen, um unstillbare romantische Leidenschaften, die tragisch scheitern. Daisy überfährt nach einer schlimmen Aussprache Myrtle und der verwirrte Wilson erschießt Gatsby, den er irrtümlich für den Fahrer hält.
Doch Liebe ist nur der glitzernde Schein, der - wie die Jazz-Musik, die über den sorgsam geschnittenen englischen Rasen des Landhauses vor New York klingt - verhüllt, worum es in Wahrheit geht: Geschäft und Geld. Die Stimme Daisys, ihre „vibrierende, fiebrige, heiße, träumerische“ Stimme, die den jungen Gatz bezauberte und sein Fetisch wurde, klingt - worauf Gatsby selbst Nick hinweist – nach Geld: „Das war es. Ich hatte es bis dahin nie begriffen. Sie klang nach Geld – das war der unergründliche Charme in ihrem Steigen und Fallen, das metallische Klingen darin, der Zimbel-Klang...Hoch droben in ihrem weißen Palast des Königs Tochter, die Goldene...“ Gatsby weiß, worauf sich sein Begehren richtet, von wem er geliebt werden will: Vom Geld. Er scheitert daran, dass er diese Liebe romantisch überhöht, denn das Geld, wie er erkennen muss, ist unfassbar, unstet und untreu. Es wendet sich dem zu, der die höchste Rendite mit der größten Sicherheit verbindet. Auf dem tragischen Höhepunkt der Erzählung beschwört Gatsby Daisy: Sie solle sagen, dass sie Tom nie geliebt habe. Tom ist der Erbe, der nicht verzweifelt werben, nicht verschwenderisch protzen, nicht eine Fassade schaffen muss aus Klängen, Gerüchen, Büchern, Musik, die dem Reichtum ein Zuhause geben sollen. Alle großen Vermögen entstehen aus Verbrechen, aber den neuen großen Vermögen ist der Dreck und das Blut noch anzusehen, das sie gekostet haben. Davor scheut Daisy zurück. Sie hält sich an den, der das Geld (und sie) schon hat und nicht an den, der es macht (und ihr die Notwendigkeit auferlegte, sich selbst neu zu erschaffen).
Das ist die eine Seite. Die andere ist der Sex. Myrtle und Daisy reagieren auf die animalische Sexualität, die Tom ausstrahlt, auf die Gewalt, mit der er sich nimmt, was er will. Gatsby dagegen, der sportliche Junge aus der Unterschicht, in der Seefahrt erprobt, verkleidet seinen Körper in modischen rosa Anzügen, um sich Daisy anzugleichen. Tom erinnert Daisy an die Momente, in denen er sie besaß, und sie kann nicht leugnen, dass sie ihn geliebt hat. „Zwischen Daisy und mir gibt es Dinge, von denen Sie nie erfahren werden, Dinge, die uns beiden für immer unvergesslich sind.“, mit diesen Worten versetzt Tom Gatsby den endgültigen Schlag. Tom hängt keinerlei Illusionen über die Schönheit des Reichtums nach, durch die sich der tierische Sex in Liebe verwandeln ließe. Auch Gatsby hat Daisy einst „genommen“: „nahm sie, weil er im Grunde nicht einmal das Recht hatte, ihre Hand zu berühren.“ Seine Passion ist ein Flehen um Vergebung und Erlösung; die Liebessehnsucht nach der reichen Frau wird ihm zur „Reise nach dem Gral“.
Was bedeutet die Widmung dieses Buches, in dem Frauen Objekte männlicher Gier und Kulte sind, an Fitzgeralds Frau und Muse Zelda? Frauen sind schön in diesem Roman; durchscheinend, flatterhaft, zart und böse wie Daisy; glutvoll, hungrig, gierig und hart wie Myrtle. Ein wenig anders ist Jordan, die berufstätige Frau, die keinen Mann braucht, um sich zu fühlen. Nick, der Erzähler des Romans lässt sie sitzen. Denn auch Jordan ist, wie alle Frauen in diesem Kosmos, eine Lügnerin, treulos und käuflich. Zwar sagt sich Nick: „Unredlichkeit bei einer Frau, wer wollte ihr ernstlich einen Vorwurf daraus machen.“ Doch am Ende mag er sich nicht mehr mit ihr betrügen.
Jean Rhys, die in Paris für kurze Zeit Ford Madox Ford Geliebte war (so klein ist die Welt), hat die Geschichte eines großen Romans des 19. Jahrhunderts, „Jane Eyre“, aus der Perspektive der verleumdeten und verleugneten, kreolischen ersten Frau Rochesters erzählt, die in ihrer Version der Erzählung kein irres Tier ist, sondern eine verletzte Frau, die benutzt wurde und ungeliebt blieb: Sargassomeer (Diesen Roman möchte ich Ihnen auch noch einmal vorstellen!) Ich wünschte mir eine Erzählung der melancholischen Verschwendungsorgien der „Roaring Twenties“ aus der Perspektive einer Daisy oder Myrtle: Wie sie gehandelt und misshandelt wurden, verehrt und umworben, ausgestellt und vernichtet. Allerdings: Aus der männlichen Perspektive, die der – dennoch – großartige Roman F. Scott Fitzgeralds entwirft, müssten diese verlogenen Weibsbilder eingesperrt werden, um genau das zu verhindern. Nicht anders als das wahnsinnige hysterische Kreischen eines Tieres könnten diese weiblichen Stimmen nämlich in den Ohren eines Tom Buchanans, eines Jay Gatsby oder eines Nick Carraways klingen, wenn sie nicht mehr die Stimmen des Geldes, des (männlichen) Besitzes und Status´ wären.
Die Biographen berichten, dass Scott Fitzgerald Zeldas Tür verschloss, wenn er außer Haus ging, um sich zu besaufen.
___________________________
Die Redaktion der Seite "Buchbesprechung" wählt einen "Klassiker" aus, der zu einem bestimmten Termin von verschiedenen Blogger:inne:n besprochen wird. Heute ist "Der große Gatsby" dran. Und dies ist mein Beitrag dazu.
___________________________
Die Redaktion der Seite "Buchbesprechung" wählt einen "Klassiker" aus, der zu einem bestimmten Termin von verschiedenen Blogger:inne:n besprochen wird. Heute ist "Der große Gatsby" dran. Und dies ist mein Beitrag dazu.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen