Bunte Bücherregale sind wichtiger Bestandteil jeder Wohnungseinrichtung gewesen, die ich selbst gestaltet habe. Noch das dürftigste Ikea-Mobiliar erhält durch vielgestaltige Buchrücken eine wohnliche Ausstrahlung. Dass Möbelausstellungen oft so unwirtlich wirken, liegt nicht nur an den fehlenden Kaffeetassen, sondern vor allem daran, dass keine Bücher herumstehen oder liegen. Die Bedeutung schöner Bücher für die Innenarchitektur darf gar nicht unterschätzt werden.
Ich liebe holzgetäfelte Bibliotheken in barocken Klöstern, wo die antiquarischen Schätze hinter Glasscheiben lagern und in wechselnden Ausstellungen die wundervollsten kalligraphischen Seiten dicker Folianten aufgeschlagen liegen, damit auch der nicht klerikale oder akademische Besucher einen flüchtigen Blick auf das kunsthandwerkliche Können unserer Vorfahren, ihre ganz uneffiziente Lust an der Schrift, werfen kann. Die - für mich - schönste dieser Bibliotheken sah ich in St.Gallen.
Bis heute lebe ich unter Stapeln ungelesener Bücher, fällt mir der Staub entgegen, wenn ich die in den 80er Jahren für billiges Geld erstandene Shakespearesche Gesamtausgabe aus dem obersten Regal ziehe, um nachzuschauen, welche Rolle gleich noch mal Prinz Ferdinand in „Der Sturm“ spielt (Eine aus privaten Gründen mich gestern beschäftigende Frage.) In fast jedem Zimmer dieses Hauses finden sich Bücherregale: Im Treppenhaus sind, wohl noch aus den 60er Jahren, Einbauregale installiert, in denen die viele hundert Taschenbuchbände umfassende Krimisammlung (von Klassikern wie Christie, Sayers, Chandler, Hammet bis zu Gegenwartsautorinnen wie Paretsky, Marcia Muller oder Elizabeth George) sich befindet, aber auch die Karl May-Sammlung, russische und französische Belletristik, die Sagen- und Märchenbücher.
Im Schlafzimmer steht die deutsche Literatur von Barock bis Gegenwart (Grimmelshausen bis Kracht, von Arnim bis Zeh), englischsprachige Werke (darunter „my favourites“: Austen, Mitford, Bedford, Woolf, Frame, Munro), spanischsprachige natürlich und wenige indische, indianische, arabische, chinesische (viel zu wenige!). In der zum Büro umgebauten Loggia haben wir die Sach- und Fachbücher untergebracht (Politik, Psychologie, Pädagogik, Marketing, Geschichte, Literaturwissenschaft, Philosophie), im Erdgeschoss im Wohnzimmer ist die Hälfte der Regale mit Schallplatten, CDs und DVDs gefüllt, der Rest sind Reiseführer, Kunstbildbände und Filmführer. Auf den Beistelltischen liegen immer Bücher und Zeitschriften herum. Zur Zeit ein Band „My best stories“ von Alice Munro, den mir MasterMind aus Kanada mitgebracht hat, Reiseführer über Venedig und Venetien (wohin in diesem Jahr die Sommerreise geht), H.D. Doolittles 1919-1920 veröffentlichte Schriften (roughbook 016), Ursula Timea Rossels „Man nehme Silber und Knoblauch, Erde und Salz“, Navid Kermanis „Dein Name“ (ein klotziger Wackerstein).
Aber oben neben meinem Bett liegt der Kindle, klein, handlich, leicht – und ich ertappe mich in den letzten Wochen dabei, wie ich abwäge: Gibt es das als Ebook? Wenn nicht, zögere ich, ob es sich noch verlohnt, ein Werk auf Papier zu bestellen. Will ich das wirklich haben? Altersentsprechend sollte ich eigentlich Buchfetischistin sein. Tatsächlich erlebe ich die Dingwelt aber vor allem als Bedrohung, als Beschwerung, als Ballast. Ich will „besitzen“, aber kein „Eigentum“ erwerben. Daher kommt meinem Wesen das Ebook sehr entgegen: den Text haben, lesen, benutzen, ohne dass er - Materie geworden - als Ding mein Leben belastet. Wie schön, Dutzende von Büchern, die ich liebe, auf dem Kindle immer dabei zu haben, ohne dass ich sie als Druckwerke herumschleppen muss. (Und die, von denen es sich herausstellt, das sie weniger geliebt werden, lassen sich ruckzuck löschen.) Geliehene Bücher mag ich nicht, denn ich liebe es nicht, mein Leseerlebnis zeitlich zu befristen. Ich schlage auch dauernd in Texten nach, die ich vor langer Zeit gelesen habe. Wie gesagt: Ich bin sehr an Besitz interessiert. Aber ich brauche kein Eigentum. Wenn wir umziehen, werde ich diesmal den großen Kehraus veranstalten. Bücher, die nicht schön sind und die auch als Ebook zu haben, werden gnadenlos zurückgelassen. Ich brauche das nicht mehr, das ganze Herumschleppen und Aufstellen und Staubwischen. Mitkommen werden nur antiquarische Schätze, Bildbände und schön gestaltete Bücher. Wir werden viel weniger Platz brauchen.
Und ich werde mir was Neues einfallen lassen müssen, um Wohnlichkeit in den Innenräumen zu schaffen. Egal, Gemütlichkeit ist eh nicht so mein Ding!
Ich glaube, der einzige Grund, weshalb ich noch keines habe ist der, dass ich die sentimentalen Objekte ziemlich radikal aus meinem Alltag gebannt habe - keine Streublümchenklamotten, keine bemalten Musikcassetten, keine Stofftiere und keine flauschigen Haargummis mehr...
AntwortenLöschenDie einzige Sentimentalität, auf der ich beharre ist die, Bücher in die Hand zu nehmen. Die sind gezeichnet von meinem Gebrauch, tragen Eselsohren und handschriftliche Anmerkungen. Manchmal knickt es mir das Herz zusammen, wenn ich da plötzlich einem jüngeren Selbst begegne. Es würde mir schwer fallen, auf diese Momente zu verzichten. Auf die Zärtlichkeit und das Bewusstsein, dass Zeit verstrichen ist.
Von den bemalten Musikkasetten, Stofftieren und Streublümchenklamotten (???) weiß ich auch nicht, wo sie stecken. Hier nicht. Trotzdem füllt sich dauernd alles an mit ganz unsentimentalem Zeug: Klamotten, die nicht mehr passen oder zerschlissen sind, Möbeln (Ikea!), die zusammengebrochen sind, kaputte Lampen, Zeitungen, Zeitschriften, zu viele Gläser, Schüsseln, löchrige Luftmatratzen. Gott, wir sind Messies!
AntwortenLöschenEs sind immer Dinge, die mich wütend und unglücklich machen ("Das zornige Mädchen"), weil sie zuviel, zu schnell, zu unbeweglich, zu unhandlich, zu dick, zu dünn, zu kalt, zu heiß, zu ... sind. Weg damit!
- Natürlich werde ich einige Print-Bücher behalten. Ein bisschen Fetischistin bin ich ja auch. (Ich krakele nicht viel in Bücher; ich nehme immer Notizhefte; ich bin eine Abschreiberin; keine Kommentatorin). Ich werde sogar immer wieder auch noch mal gedruckte Bücher kaufen. Schöne, farbige, feste, edle. Aber viel weniger. Ich habe seit Weihnachten 4x soviel Geld im Kindle-Shop wie für gedruckte Bücher ausgegeben. Ich denke, das Verhältnis wird so bleiben, ungefähr.
"Ich will „besitzen“, aber kein „Eigentum“ erwerben." ... müsste es nicht genau andersrum heissen, also "Ich will „EigentümerIn sein“ (im Sinne von "aneignung" = lektüre), aber keinen „Besitz“ erwerben."? mein problem ist ebenso der nichtangeeignete besitz, den ich auch beginne, rückzubauen. +1 für den kindle. der wird täglich berührt...
AntwortenLöschenJuristisch, denke ich, sind die Begriffe so definiert: Eigentum ist das umfassende Verfügungsrecht. Du kannst eine Sache, an der du Eigentumsrechte hast, weiter verkaufen. Besitz bedeutet, dass du die Sache nutzen kannst. Ich hatte damit kürzlich zu tun, als meine Eltern eine Eigentumswohnung gekauft haben. Wenn du zur Miete wohnst, bist du der "Besitzer". ---Die Ebooks kannst du ja nicht weiter verkaufen, du "hast sie nicht gegenständlich, du kannst sie nur nutzen. Genau das empfinden viele ja auch als Problem.
AntwortenLöschenIn der Begriffsverwirrung zeigt sich aber auch, finde ich, dass das "Urheberrecht", das ein Eigentumsrecht an immateriellen Gütern definieren will, schon von Anfang an eine windige Konstruktion war. Eine notwendige allerdings in der "Eigentümergesellschaft", wie der Lockesche Gesellschaftsvertrag sie begründet. Genau das müsste jetzt überwunden werden. Ein neuer Gesellschaftsvertrag... Die "Gegenseite" arbeitet aber hart an der Verteidigung ihrer Rechte ("ACTA" et.al.)
Natürlich häuft sich über die Zeit einfach zuviel bookware und paperware an. Ich merke das vor allem bei Umzügen, aber nicht nur dann. Aber alle paar Jahre in den Regalen aufräumen, um Platz für Neues zu schaffe,, hat für mich keinen negativen touich, kann gar Spaß machen, "reinigen".
AntwortenLöschenIch habe ein paar Monate mit diversen Apps, dann speziell der Kindle-App (Die gibt es fast für alle mobilen Geräte und Desktops.), und schließlich mit dem Kindle selbst getestet. eBooks in ihrer gegenwärtigen Form sind mir kein Ersatz. Mich nervt die schlechte Bedienbarkeit: das Blättern (direct access) vor zum Kapitelende (wie viele Seiten noch?), zurück zum Inhaltsverzeichnis, vor zum Register, und dann wieder zurück zur aktuellen Seite - das geht zwar alles irgendwie, aber gewiss nicht komfortabel.
Die meist miserable, billige Formatierung, der das auch geschuldet ist, führt darüber hinaus zu unschönen Zeilen- und Seitenumbrüchen. So etwas tut mir weh. So etwas halte ich nur bei ganz kurzen Textsorten aus. Mag sein, Lyrik ist geeignet. Lese ich aber kaum.
Schade, dass der Impuls, der von so verheißungsvollen Plattformen wie Jürgen Neffes Libroid ausgeht, nicht im eBook-Mainstream aufgenommen wurde. Aber verlagsgebundene Insellösungen haben keine Chance.
Wenn es gestattet ist, hier ein Link zu einer spannenden Diskussion über Jürgen Neffes eBook-Essay beim Perlentaucher:
https://plus.google.com/u/0/105212998214621521063/posts/FRsTS62bdjR
Die Diskussion beim Perlentaucher verfolge ich mit Interesse, wobei ich die Thesen in der Antwort von Thierry Chervel auf Neffes Essay für völlig richtig halte. Jede Art von Protektionismus - auch und gerade im kulturellen Bereich - lehne ich ab. Ich liebe die Bastarde.
AntwortenLöschenZu den Kinderkrankheiten von Kindle & Co. gebe ich Ihnen aber völlig recht. Auch mich stören (fehlende) Umbrüche, Absätze etc. Da lässt sich noch viel verbessern. Und ich bin sicher, das wird auch geschehen. Das sind neue Aufgabenfelder: Gestaltung von ebooks. Denn ein "gut gemachtes" ebook wird man eben doch nicht in 15min bei Amazon einstellen können. Außerdem wird es Plattformen geben müssen, über die Interessenten von Neuerscheinungen erfahren, sich austauschen können etc. Konkurrenten auch zu amazon usw. Ein Markt im Umbruch. Den klassischen Verlag wird es nicht mehr lange geben, denke ich. Nur die werden Bestand haben, die sich auf die neue Situation einstellen, innovativ sind. Manches wird sich nicht durchsetzen. Aber an die Zukunft des gedruckten Buches (außer in den oben beschriebenen Ausnahmefällen) glaube ich nicht. Und ich sehe immer mehr Chancen als Risiken. Das ist eine Grundsatzentscheidung! ;-)
Natürlich sehe auch ich überall Chancen, sogar da, wo es Risiken gibt! ;) - "Die Zukunft des gedruckten Buches" - das ist ein großes Wort, da kann man viel 'reinlegen. Ich glaube daran, dass es immer gedruckte Bücher geben wird. Und der Anteil am Markt wird höher sein als bei Vinyl:CD:Mp3.
LöschenPrinzipiell ist Amazon als Plattform vermutlich auf einem richtigen Weg. So kann es weiter gehen, ja, mit hoffentlich mehr Konkurrenz.