Freitag, 23. März 2012

WORT-SCHATZ (12): Häkelei



da kommt der wind, und häkelt es vom haid,
es steigt, es flattert, und es ist verschwommen.

Annette von Droste Hülshoff

Wie so vieles verschwindet auch das Häkeldeckchen. Der Schnettwittchen-Kontrast von dunkel gemasertem Holz, auf dem zierliche weiße Spitzendeckchen aufliegen, ist aus der Mode geraten. Wo orientalisches Ornament (industriell gefertigt) sich als Zitat sogar bei Ikea halten kann, ist diese mitteleuropäische Handarbeit, die jede noch so unwahrscheinliche Gefahr des  horror vacui aus der Innenraumgestaltung verbannt, wohl endgültig passé. Kein kleines Mädchen wird heutzutage mehr gezwungen, die Häkelnadel in die Hand zu nehmen, um das traute Heim zu verzieren.

Das Mädchen, das ich war, heulte dagegen nicht selten über einer Häkelei, wenn ihm die ungelenke Handarbeit in der Schultasche verschmutzt war und als Schande vorgewiesen werden musste vor der ganzen Klasse. Einzig dass meine Mutter keinen  Wert darauf legte, eine Tochter zu haben, die fein häkeln konnte, rettete mich. Denn ich war zwar rebellisch, aber längst kein unabhängiger Geist. Hätte sie sich gewünscht, dass ich auf diesem Gebiet reüssierte, wäre ich mir ungenügend vorgekommen. Es entstand ein Paar überaus hässlicher braungelber Topflappen, die sie nach wenigen Wochen in einer Schublade verschwinden ließ. Wenn es ganz bitter wurde, überredete sie Tante Mariechen, mir „zur Hand zu gehen“. In Wahrheit machte die mir dann das Werkstück fertig, das ich im Schulranzen transportierte und das nie so unzerdrückt, fein und rein ankam, um es der Lehrerin vorzulegen, wie sie es mir übergeben hatte.

Ich sehe die kleinen Deckchen dennoch gern und bewahre eines sorgfältig auf, das ich von der Oma geerbt habe. Es ist das Filigrane und Löchrige, das mich anzieht, das Spitzenschlüpfrige und Durchlässige, der unnötigste Schleier, der nichts verdeckt. So sehr die Häkeleien eine biedermeierliche Innenwelt heraufbeschwören, aus der man sich nicht nach draußen traut, so sehr erinnern sie an ein Lebensgefühl, dem noch kein Zwang zur Effizienz bis ins Privateste eingeschrieben war. So kann ich mit Annette von Droste-Hülshoff sagen: „Ein Zauber häkelt mich wieder, arbeite mich ab und bin matt genug.“ Die Häkelei webt eine nur scheinbar lose Verbindung, die alles einlullen kann und die Welt heimelig verschrumpelt.

Doch traurig wird mir ums Herz, denke ich daran, dass mit der Handarbeit auch das Wort verloren gehen wird. Keiner wird sich mehr lose weibliche Seelen anhäkeln, nichts Gehäkeltes wird sich verhaken und kein Unterarmmuskel sich spannen um sich beim andern sachte einzuhäkeln. Niemandem wird nach den Augen gehäkelt werden mit todbringenden Häkelnadeln und keine einzige mehr gehäkelt für schlechtes Betragen. Es wird nur noch geschimpft und gemäkelt, nur noch gestochen und gepikst, angebunden und zugebunden, gewebt und vernäht werden.

Eine Verrohung der Sitten wird zu beklagen sein, die auch nicht wirkungslos am literarischen Leben vorüber gehen wird; das heißt: wahrscheinlich ihre verheerende Wirkung längst unerkannt und unwiderstehlich entfaltet. Denn schon Jean Paul wusste: „Wie in einem Roman, so häkeln sich im Leben tausend leise zusammengerückte Geringfügigkeiten endlich fest in einander.“  Das konnte er nur sagen und schreiben, solange jede seiner Leserinnen mit einem Häkelhaken wohl umzugehen wusste.

Jetzt wird nicht mehr locker aneinander gehäkelt, sondern eine sorgfältig austarierte Konstruktion entwickelt, strukturiert und analysiert, keine Wendung zu viel und kein Zacken zu wenig, keine Spitzchen und Stößchen. Man ist modern und sogar postmodern und gar nicht gemütlich. Ich bin dafür. Und vermisse doch ein wenig das duftig-zarte Elfenkleid der überflüssigen Häkelei.

Schlussfolgerung:
Häkel dich fest, aber bleib locker.


Stereotype, wie wir sie lieben


 (meinen Söhnen gewidmet)

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