Montag, 4. Juni 2012

PUNK PYGMALION (36): Wilde Schwäne

Fortsetzung des Brief- und Blogromans: PUNK PYGMALION (Folge 1 - 35: Hier: )



Er war fleißig. Oder: er will es hinter sich bringen. Ich denke mehr an Lars, als gut für mich ist. Ende nächster Woche werde ich ihn wiedersehen in Berlin. Wir werden nach Kreuzberg fahren, wo Emmi Ansgar getroffen hat und zuletzt mit Björn gewohnt. „Einfach durch die Straßen schlendern“, sagte Lars am Telefon. „Am Kanal entlang.“ „Wo sie sich trafen.“ „Willst du das wirklich? Wolltest du nicht loskommen von deinem Vater?“ „Kreuzberg war tabu. Nie wollte sie mit mir dort hin.“ „Und niemals an den Wannsee, stimmt´s?“ „Woher weißt du das?“ Ich biss mir auf die Lippen. „Sie hat davon erzählt, dass sie auch dort mit ihm war. Damals im Sommer 83.“ „Sie hat seinen Geist gefürchtet.“ „Das klingt kurios. Wir reden doch nicht von einer Burgruine, sondern von Berlin. Da haust kein Gespenst unter irgendeiner Brücke.“ „Bist du sicher?“ Ich lachte. Das Ablenkungsmanöver hatte geklappt. „Wir sehen uns Samstag. Ich freue mich.“ „Ich auch.“ Ich sagte es so leise, dass ich nicht sicher sein konnte, ob er es gehört hatte. „Jetzt maile ich dir mal die nächsten Skizzen.“ „Mehrere?“ „Januar, Februar, März 2011.“ „Danach wurde sie komisch.“ „Mit Grund. Aber das war schön. Trotz allem bleibe ich dabei: Das war schön.“ An der Stelle wollte ich das Gespräch nicht fortsetzen. Ich erinnerte mich zu gut an Emmis Schwärmerei in diesen Monaten; das nachts ins Telefon gehauchte: „Ich liebe ihn so.“ Wir sehen uns.“ Ich legte auf. Vielleicht wirkte das abrupt auf ihn. Aber er nahm es nicht übel, hoffe ich jedenfalls, denn wenige Minuten später schickte er die Skizzen zum ersten Vierteljahr 2011.


LOST AT SEA (Sellin/Rügen, Januar 2011)
Man sieht keinen Leuchtturm von der Spitze der Landungsbrücke aus, wenn man nach Norden schaut. Doch auf meinem Bild ist einer zu sehen  und sein Leuchtfeuer blinkt in das Graublau meines wüsten Himmels über der stürmischen grünen See. Der Turm schwankt rettungslos über den Wellen. Den Notschrei, der am Neujahrstag über dem Meer erklingt, verwechsele ich mit dem Gekrächze der Möwen. Wir stehen wie zwei Caspar David Friedrich-Figuren mit dem Rücken zum Malenden, der ich sein werde, eng beieinander in fester Umarmung. Wieder, ganz ohne Verabredung, harmonieren unsere Farben; Blautöne diesmal mit kleinen Tupfern von Rot: mein Schal, ihre Mütze. Doch der Sehnsuchtshorizont, dem wir uns so innig zuwenden, ist nicht weit und leer, sondern begrenzt durch den Lichtstrahl des feurigen Notrufs, den wir nicht sehen und nicht hören in unserem  Liebestaumel an der Ostsee. Unsere Lider sind schwer und wir werden sie schließen für verzweifelte, blinde Küsse, die schmerzen wie Bisse.


In seiner Mail erklärt Lars, er habe Weihnachten zwar in Hamburg, aber nicht mit Emmi, sondern mit seiner Mutter und dem Stiefvater verbracht und erst am 28.  Dezember seien Emmi und er zusammen nach Rügen gefahren. „Rückblickend, denke ich, wichen wir beide den Sylvesterpartys aus, auf die wir miteinander hätten gehen können. Wir sprachen nicht darüber; sie nahm mir kein Versprechen ab, das Verhältnis geheim zu halten. Aber ich erzählte niemandem von ihr.“


FALLING TO BITS (Fohrde bei Brandenburg, Februar 2011)
Die Wandfarbe ist rostbraun. Große Skulpturen, die ich dem Vater nachgehauen habe, stellen schon die Halle zu. Der helle Marmor, den ich mir habe liefern lassen, hat die Hälfte des Erbes aufgefressen, das er mir hinterlassen hat. Sie hat die Wange an eine kalte Marmorbüste gelehnt und atmet tief. „Ist dir heiß?“ Ich knöpfe ihre Bluse auf, um ihr Luft zu verschaffen. Sie kriecht mit dem Kopf in eine Höhlung des Steins. Ich kann ihr Gesicht nicht mehr sehen. „Nimm mich.“ Sie streift selbst den Träger ihres Büstenhalters hinunter, klappt die weißen Schalen herab,  um die kleinen Brüste freizulegen. Ich presse mit meinen Händen zu. Sie gibt einen unterdrückten Schrei von sich, bevor ich ihren Rock hochschiebe und das Höschen herunterziehe. Dann ist sie ganz still, aber drängt mir den Unterleib entgegen. Ihre starken Oberschenkelmuskeln, mit denen sie das Becken hochstemmt, zeichnen sich unter der Haut ab. Ich kralle mich in den Stein. „Ich will dich sehen“, schreie ich; aber sie bleibt unsichtbar.

Lars schreibt, dass Emmi in den folgenden Wochen oft bei ihm in Berlin war und sie gemeinsam raus fuhren aufs Land zu jenem Steinmetz, in dessen Halle er seine Skulpturen aus dem Stein schlug. „Sie wollte immer wieder hin und jedes Mal hatte sie diese Erstickungsanfälle. ´Deine Arbeit nimmt mirden Atem, so gut ist sie´, sagte sie hinterher. Jedes Mal hatten wir Sex, immer lag sie unter mir, immer trug sie blaue Flecken davon. ´Die spüre ich gar nicht´, lächelte sie, wenn ich schuldbewusst darüber strich, mich entschuldigen wollte für meine Überfälle, die sie provozierte.“

WHEN TIME STOOD STILL (Berlin/Mitte März 2011)
Wir haben ein Zuhause, ein Zimmer im Hinterhof, Erdgeschoss. Ein wenig grünt schon der Strauch vor unserem Fenster. Sie hat rote Gardinen aufgehängt, die sich sacht bewegen, weil das Oberlicht auf Klappe steht. Durch die Häuserschlucht fällt ein blasser Sonnenschimmer auf ihr Gesicht. Sie sitzt mit eingeschlagenen Beinen im Ledersessel vor dem Fenster, den Kopf über ihr Buch gesenkt. In ihrem hellen Haar tanzen die Lichtpunkte. Wir haben eine große Matratze, ein paar Kisten, eine Garderobe, zwei Sessel vor dem Fenster, meinen Zeichentisch, auf dem ich zum Essen eine Ecke frei räume. Niemand weiß, dass wir hier sind, niemand kennt uns, wir haben kein Namensschild aufgehängt. Nur wir sind hier und wir genügen uns vollkommen. Ich bin niemals glücklicher gewesen, als wenn ich den Kopf hebe, um nach ihr zu sehen, wie sie am Fenster sitzt und liest.

Dieses Bild, schreibt Lars, „wird das traditionellste von allen, die ich malen werde, wenn ich sie malen werde. Es ist ein Bild wie aus dem späten 19. Jahrhundert, als habe Menzel es gemalt, getupft aus Lichtpunkten, eine Impression des wärmenden Glücks, wenn du aufblickst und den Menschen siehst, den du liebst, und er ist bei dir daheim. Es war, selbstverständlich, nichts anderes als eine vollkommene Illusion.“




The Wild Swans: When Times Stood Still

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