Fortsetzung des Brief- und Blog-Romans: PUNK PYGMALION (Folge 1- 37 hier: )
Am
Samstagmittag traf ich Lars in Kreuzberg. Wir spazierten am Kanal
entlang, sogar unter den Hochgleisen hindurch und es gelang mir trotzdem ruhig
zu atmen und ein Gespräch zu führen wie unter erwachsenen Menschen. Ich bin
kein Mädchen mehr, das sich einschüchtern und still stellen lässt. Ich bin
nicht wie Emmi, die sich nicht befreien konnte und niemals eine Frau werden,
die sich fesseln ließ durch diesen Schöpfergestus, der etwas aus ihr machen wollte.
Das sagte ich zu Lars oder etwas Ähnliches. Er verstand mich nicht. „Sie hat
mich belogen und hergerichtet, als wolle sie meinen Vater auferstehen lassen,
vergisst du das?“ „Siehst du nicht, wie hilflos das war?“ Er blieb stehen, beugte
sich über die Brüstung und warf einen Stein ins Wasser. „Ich will nicht mal
mehr wissen, was sie ihm angetan hat.“ „Oder er ihr.“ Lars lachte höhnisch.
„Sie kam zurück aus Spanien und hat ganz gut gelebt.“ „Das weißt du nicht.“
„Aber du.“ Ich wollte die Feindseligkeit, die aufgekommen war, auflösen: „Lass
uns ein Eis essen gehen. Da drüben.“ Die Sonne schien ab und zu zwischen den
Wolken durch. Lars nahm einen Eiskaffee und ich einen Milchshake.
Die
Häuser am Ufer des Kanals waren in pastelligen Farben verputzt, die eisernen
Geländer der Balkone frisch gestrichen, kaum mehr wo ein Graffiti. „In den
80ern sah es hier überall so aus.“ Ich deutete hinüber auf ein graues, noch
nicht hergerichtetes Haus, das wie ein Überbleibsel aus der Vergangenheit zwischen
den schön gemachten Häusern stand, die jetzt ganz offenbar gehobenes
Bürgertum beherbergten, wie die Karossen vor der Tür, aber auch die
Fahrradmarken in den Höfen zeigten. Lars nickte: „Gentrifizierung. Jetzt ist Neukölln dran.“ „Zweischneidig.
Einerseits gibt´s ja keinen Grund, der alten Tristesse, den heruntergekommenen
Sanitäreinrichtungen und der Verwahrlosung nachzutrauern. Andererseits werden
alternative Lebensformen und –projekte vertrieben, geht Vielfalt verloren.“ Wir
rührten schweigend in unseren Tassen.
„Die
junge Frau an der UDK,“ (ich vermied das Wort „Mädchen“, das mir auf der Zunge
lag), „von der ich deine Handy-Nummer habe, die hat Emmi gekannt.“ „Ja, und?“
„Ich dachte, ihr hätte Euer...“ , einen Augenblick zögerte ich, „euer
Verhältnis geheim gehalten.“ „Das taten wir auch in den ersten Wochen und
Monaten. Erst im April, als ich wie ein Besessener arbeitete, begleitete sie
mich einige Male an die UDK.“ „Das kam nicht gut an.“ Er lächelte. „Die Weiber
sind wie verrückt hinter mir her.“ „Idiot.“ Er beugte sich über den Tisch. „Du
nicht?“ „Ich könnte deine Mutter sein.“ Er lehnte sich zurück und lachte mich
aus. „Sie auch. Offenbar stehe ich auf ältere Frauen.“ Dazu sagte ich nichts. Ich
schaute über ihn hinweg zur Brücke hinüber. Eine Bahn ratterte über die Hochgleise.
Mir war plötzlich kalt und ich zog unwillkürlich die Schultern zusammen und den
Kopf ein.
„Ich denke nie an sie als Emmi. Sie
trägt deinen Namen in meinen Erinnerungen.“ „Aber ich bin nicht sie.“ Ich
setzte die Sonnenbrille auf, damit er meine Augen nicht sehen konnte. „Nein. Du
bist verheiratet und hast Kinder und ...“ „Ganz genau. Lass uns gehen.“ Ich
klemmte einen Schein unter mein Shake-Glas, der unser beider Rechnung mehr als
ausglich und stand auf. „Bist du sauer?“ „Wundert dich das?“ „Warum?“ „Du
ziehst hier eine Nummer ab, als wäre es ein Spiel.“ „Ist es keines?“ „Ich
trauere um eine Freundin und....“ Das flüsterte ich nur: „...und um deinen
Vater. Ja, auch um Ansgar.“ Dann drehte ich mich um und ging, ohne
zurückzuschauen. Er folgte mir nicht.
Er
meldete sich auch im Laufe des Abends nicht mehr. Keine Mail. Keine SMS. Vielleicht
war das nun endgültig. Und diesmal tat es mir nicht leid. Lars muss seinen
eigenen Weg gehen. Mit uns hat das nichts mehr zu tun, mit Emmi und mir. Am
Abend traf ich mich mit Bersarin zum Public Viewing. Vom Spiel der deutschen
Mannschaft gegen Portugal sahen wir allerdings nicht viel, da wir ein heftiges
und angenehmes Streitgespräch über Adorno, Beziehungen, Politik und Feminismus
führten, dessen einzelne Argumentationsstränge ich allerdings wegen des fortschreitenden
Rieslinggenusses nicht mehr ganz klar erinnere.
Am
Sonntag unternahm ich eine nostalgische Schifffahrt auf dem Wannsee. Von Ferne
grüßte wie vor vielen, vielen Jahren die Pfaueninsel. Die Sonne schien, jedoch
nicht allzu brennend, immer wieder mal verbarg sie sich hinter hellgrauen
Wolkenbergen. Ein sachter Wind strich mir über die noch kaum gebräunte Haut und
ich versuchte meine Gedanken zu ordnen, um mir darüber klar zu werden, ob es
jetzt nicht an der Zeit sei, diese ganze PUNK PYGMALION-Sache abzuschließen.
Ich hatte erzählt und erzählen lassen, was mir wichtig und vertretbar erschien.
Als ich an der Friedrichsstraße vom Boot kletterte, hatte ich meinen Entschluss
gefasst: Ich würde nicht mehr nach Emmi suchen und Ansgar vergessen. Aber es
stellte sich heraus, dass meine Vorsätze voreilig waren.
Emmi
ist noch einmal aus dem Schatten getreten, hat eine Spur hinterlassen und mich mundtot
gemacht. Zu Lars hatte ich gestern noch gesagt: „Ich lasse mich nicht mehr
einschüchtern und still stellen.“ Das hatte ich auch so gemeint. Ansgars
Briefe, Emmis Mails, Majas Brief, die Gespräche mit Lars und seine Skizzen,
alles habe ich meinem herausgeberischen Kalkül unterworfen. Ich habe Ihnen
davon genau so viel erzählt und so viel umgedichtet, wie ich wollte. Ich
habe sortiert und kommentiert,
nach meinen Zeitvorgaben getaktet und im Blog eingestellt. Was auf diese Weise
entstand, ist die Geschichte, die ich erzählen wollte. Sie ist unvollständig
und einiges bleibt unbefriedigend
und ungelöst. Ich habe, manche von Ihnen, liebe Leser:innen, werden das schon
geahnt haben, nicht nur die Identität der anderen geschützt, sondern auch mich.
Im
meinem Briefkasten in der Erich-Weinert-Str. steckte ein wattierter Umschlag.
Mit schwarzem Edding quer darüber war mein Name geschrieben und „Emmis Hinterlassenschaft für dich. Ich
wollte das nicht hergeben. Aber tatsächlich muss ich nicht nur sie loswerden,
sondern auch dich. LARS“ Noch auf der Treppe riss ich den Umschlag auf. Es
lag kein Brief darin, nur ein Stick, auf dem zwei Dateien waren. Die erste trug
meinen Namen. Ich öffnete sie:
31.
Dezember 2011
Liebe M.,
du wirst Lars finden, nehme ich an. So
neugierig bist du dann doch. Ich glaube sogar, dass dir was an mir liegt,
obwohl du mich hast hängen lassen. Ich hatte mir eine Frist gesetzt bis zum
Ende des Jahres. Ich hoffte, du würdest die Briefe aus Barcelona bis dahin auf
„Gleisbauarbeiten“ einstellen.
Du hast es nicht getan. Vielleicht hast
du es inzwischen nachgeholt. Ich weiß nicht sicher, wann und ob Lars dir diesen
Stick geben wird. Erst bevor wir uns in St. Ambroise trennten, habe ich ihm gestanden,
dass ich nicht du bin. Und ich habe ihm gesagt, wo er dich findet:
Gleisbauarbeiten. Irgendwie kommt ihr schon zusammen. Dann ist das hier mein
Vermächtnis. Mit ein paar Sicherungen.
Es stimmt, dass ich dir die Rolle der
Herausgeberin übertragen habe. Die Briefe, die meine waren, habe ich dir
gegeben und du hast sie veröffentlicht. Ich war auch einverstanden damit, dass
du sie bearbeitest und kommentierst. Du hast aber nie verstanden, worum es mir
ging: das Happy End.
Deine Rache war dir wichtiger, nicht
wahr? So tief sitzt das und hat es immer gesessen. Du hast stets viel geredet,
um etwas zu verschweigen. Das ist auch eine Methode und ich habe zum ersten Mal
versucht, sie mir anzueignen.
In der zweiten Datei erzähle ich unsere
Geschichte, aber nicht als ´Ich´. Das konnte ich nicht. Ich hinterlasse sie
dir, aber nur unter einer Bedingung: Du darfst sie veröffentlichen, jedoch nicht
mehr kommentieren oder verändern. Dieser Text ist kein Material, das dir beliebig
zur Verfügung steht. Ich traue dir. Nicht. Die Datei ist mit einem Passwort
geschützt. Denk nach. Mit diesem Wort gibst du das Versprechen: Kein Kommentar,
keine Bearbeitung, keine Nachschrift. Du findest das Wort, wenn du auf deine
Autorschaft verzichtest. Du hast drei Chancen, bei der dritten falschen Eingabe,
löscht sich die Datei.
M., ich habe dich sehr geliebt, so, wie
ich eben lieben konnte.
Vergiss mich.
Emmi
Sie
hat tatsächlich mit diesem Namen unterschrieben: „Emmi“. Und ich denke nach:
Welches Wort das sein kann, sein muss, mit dem ich mich aufgebe?
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(Damit ist das Kapitel "LARS" beendet. Ob das Schlusskapitel "EMMI" im Netz veröffentlicht wird, weiß ich noch nicht, denn das sind ca. 40 Seiten "am Stück", die sich auch nicht in Einzelabschnitte "zerlegen" lassen.)
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