Padua
ist die Stadt der Arkaden, überall sind den Häusern die Schatten spendenden
Rundbögen vorgebaut, durch die sich die Flaneure schlängeln, in die
Schaufenster blickend, in denen teilweise ausgestellt wird, was überall in
allen Einkaufszentren Europas zu sehen ist: Gassen für die Nobelmarken (zum
Beispiel Armani, Tara Jarmon, Svarovski) und solche für die weniger noblen, die
den Mittelstand einkleiden (von Esprit über Geox und Zara), aber auch
Antiquitätenläden, Zuckerbäcker und Andenkenstände, die es nur hier gibt.
Montagmorgen ruht die Stadt, war unser Eindruck. Lundardi (Montag) ist der Tag, an dem
viele Läden das „Chiuso“- Schild an die Türe hängen. Ein wenig belebter wird es
vor der Basilica di Sant´ Antonio, wo sich die Stände mit Heiligen-Andenken häufen
und auch die katholische Kirche selbst sich nicht scheut, einen Laden zu
unterhalten, der Preziosen anbietet, deren Erwerb dem Gläubigen vorgaukelt, noch
mehr in der Gunst des Heiligen Antonios zu stehen, dessen Zuständigkeitsbereich,
soweit ich das verstanden habe, von den Vergesslichen, über die Eheleute bis zu
den Kindern reicht. Auf welche Weise der „Kindl-Toni“, wie er angeblich in
Bayern genannt wird, seine Kompetenzen für diese speziellen Lebensprobleme erworben hat, erschloss sich
mir beim Lesen seiner Vita nicht. Alles in allem schien mir Antonios Werdegang
der eines Karriere-Heiligen zu sein, der in seiner Laufbahn jeweils alle Chancen genutzt hat, um in der
Hierarchie von Mönchtum, Kirche und Gläubigenverehrung aufzusteigen. Das hat
ganz gut geklappt, obwohl sein Plan, in Afrika als Märtyrer zu sterben, scheiterte.
Er ist trotzdem oder deswegen der meist verehrte Heilige der Welt, wie ich mit
Erstaunen las. Es mag als Ursache für diese überwältigende Massenverehrung dem
Ungläubigen durchaus auch die makabre, aber überaus dekorative Zurschaustellung
seiner wohl konservierten Zunge und seines Kinns in der der Reliquienkapelle zu
Padua erscheinen. Auch ich spürte
ein Schaudern bei der Vorstellung, diese Jahrtausende alte Zunge zu schauen,
das etwa dem Vergnügen beim Konsum von Horrorfilmen entsprach. Leider aber
machte mir die Kleiderordnung der katholischen Taliban einen Strich durch die
Rechnung. Mein Rock, bedeutete mir der Ordner am Eingang, sei ungeeignet für
dieses Schauplatz heiligster Körperteile. Es handelte sich um einen Jeansrock,
beileibe kein Minirock, sondern etwa eine Handbreit über den Knie endend. Das allerdings
verträgt sich nicht mit der Würde von Zunge und Kinn, so dass ich leider
draußen bleiben musste und stattdessen ein Eis aß.
Die
Schönheit des Prato della Valle, eines großen, ovalen Platzes, der auf dem Gelände
einer römischen Arena errichtet wurde, erschließt sich gegenwärtig erst, wenn
man von der Basilika St. Antonio kommenden auf die gegenüberliegende Seite
geht. Denn diesseits sind nicht nur einige der Standbilder bedeutender Männer, die den Platz
säumen, zur Zeit eingerüstet, sondern verstellen auch Obst- und Gemüsehändler
den Blick. Beeindruckend war allerdings auf jener Seite die vorbeifahrende
futuristisch anmutende Tram, bei deren Anblick sich die Zukunftsaussichten
dieses Verkehrsmittels, das in deutschen Städten eher als Auslaufmodell angesehen
wird, überaus vorteilhaft darstellten. Da ich glaube, dass das Automobil, wie wir es kennen, am Ende meines
hoffentlich langen Lebens zu jenen Verkehrsmitteln gehören wird, die nur noch
in Museen zu bestaunen sind, erfreute mich dieser Anblick sehr. Am Rande des
Prato della Valle erhebt sich eine andere erstaunliche Basilika, die acht Kuppeln
in byzantischer Manier schmücken. In ihr, so las ich, werden die Gebeine des
Evangelisten Lukas verwahrt. Es muss an meinem eingefleischten Protestantismus
liegen, dass mir die Bedeutung des Evangelisten für das Christentum so viel
höher erscheint als die des von den Massen so geschätzten Hl. Antonius. Vor der
Basilica di Santa Giustina jedenfalls gab es keine Andenkenstände, die
Kettchen und Handtücher mit dem Konterfei des Evangelisten anboten.
Am
schönsten in Padua fand ich bei diesem ersten Besuch, dem weitere folgen
sollen, den Botanischen Garten. Goethe, wie es nicht anders sein kann, war auch
schon da und dichtete hernach über die "Metamorphose der Pflanzen". Eine
„Goethe-Palme“ unter einem Glasdach, erinnert daran. Das Überleben des alten
Baumes (gepflanzt 1585), den also der deutsche Dichter schon sah, ist sicher
beeindruckend. Mein Interesse fesselten jedoch viel mehr die Seerosen (Nymphae), die überall in den kleinen
Becken im Garten schwammen. Das wusste ich nicht, wie viele Sorten dieser von
mir so geliebten Pflanze es gibt: die weiße Hermine, die hellgelbe Flavia, die
pinkfarbene Escarbonde, die hellorangene Aureora und – Schande! – sogar eine,
die den Namen des Marschall Petain trägt und magentafarben strahlt. Noch viel
mehr wunderschöne Seerosen-Arten aus den Seen und Teichen aller Welt sind dort
zu sehen. Meine Favoritin ist die Victoria cruziano, die große Flöße bildet.
Sie kommt aus Bolivien.
Es
war heiß, wie all die Tage, auch in Padua. Als wir zurückkehrten klebten uns
die Kleider am Leib. Wir aßen in der Dorf-Pizzeria von Baone zu Abend, die eine
hervorragende Pizza anbietet, genau so, wie sie sein soll: knusprig, nicht zu
viel, aber gutem Mozzarella und mit ganz frischen Zutaten. Morel hatte „Frutti di mare“ und ich
„Ruccola e grano“, dazu ein kühles Bier. Heute morgen ist es ein wenig
frischer, ein laues Lüftchen weht unter dem Arkadengang der Barchessa von
Ca´orologio, wo ich an einem Holztisch sitze und schreibe, während die Zikaden
„singen“. Meine „Lektürepläne“ habe ich vorerst geändert. Statt Casanova lese
ich – wie jeden Sommer – einen Band der „Bones“-Serie von Carolyn Haines, weiter in den "die ersten 5000 Jahre Schulden" und
abwechselnd dazu – passend zur Gegend (Verona ist ja nicht weit) - den gerade von
Antje Schrupp und Dorothee Markert übersetzten Band der Veroneser Diotima-Philosophinnen-Gruppe
„Macht und Politik sind nicht dasselbe“, der nicht nur schon im ersten Kapitel eine Wiederbegegnung mit Karl Barth gebracht hat, sondern für mich auch ein erhellendes Licht auf den Disput wirft, der sich unter dem Post „Diesen Text gibt es nicht“, fortsetzt, wie ich
heute früh gesehen habe. Es gibt ein Spiel um die Macht (das „Recht haben“) –
es wird von Einigen mit Eifer fortgesetzt, hier und anderswo – , das mich und
viele andere nicht (mehr) interessiert und es gibt Spiele der Beziehungen. „Um
laufen zu können, muss man lernen, nur mit einem Fuß auf der Erde zu stehen.“, schreibt Diana Sartori in Anlehnung an Marina Zwetajewa. (Der "Standhafte" geht nicht ;-) -weg, - weil er´s nicht kann.)
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