Dienstag, 3. Juli 2012

PADUA: Nymphen und Heilige


Was, fragte ich mich, hätte jener Namensgeber der Religion 
dazu gesagt, von dem berichtet wird, er habe in einem Wut-
anfall die Händler aus dem Tempel getrieben mit den Wor-
ten: "Macht meines Vaters Haus nicht zum Kaufhaus?"
Padua ist die Stadt der Arkaden, überall sind den Häusern die Schatten spendenden Rundbögen vorgebaut, durch die sich die Flaneure schlängeln, in die Schaufenster blickend, in denen teilweise ausgestellt wird, was überall in allen Einkaufszentren Europas zu sehen ist: Gassen für die Nobelmarken (zum Beispiel Armani, Tara Jarmon, Svarovski) und solche für die weniger noblen, die den Mittelstand einkleiden (von Esprit über Geox und Zara), aber auch Antiquitätenläden, Zuckerbäcker und Andenkenstände, die es nur hier gibt. Montagmorgen ruht die Stadt, war unser Eindruck. Lundardi (Montag) ist der Tag, an dem viele Läden das „Chiuso“- Schild an die Türe hängen. Ein wenig belebter wird es vor der Basilica di Sant´ Antonio, wo sich die Stände mit Heiligen-Andenken häufen und auch die katholische Kirche selbst sich nicht scheut, einen Laden zu unterhalten, der Preziosen anbietet, deren Erwerb dem Gläubigen vorgaukelt, noch mehr in der Gunst des Heiligen Antonios zu stehen, dessen Zuständigkeitsbereich, soweit ich das verstanden habe, von den Vergesslichen, über die Eheleute bis zu den Kindern reicht. Auf welche Weise der „Kindl-Toni“, wie er angeblich in Bayern genannt wird, seine Kompetenzen für  diese speziellen Lebensprobleme erworben hat, erschloss sich mir beim Lesen seiner Vita nicht. Alles in allem schien mir Antonios Werdegang der eines Karriere-Heiligen zu sein, der in seiner Laufbahn jeweils alle  Chancen genutzt hat, um in der Hierarchie von Mönchtum, Kirche und Gläubigenverehrung aufzusteigen. Das hat ganz gut geklappt, obwohl sein Plan, in Afrika als Märtyrer zu sterben, scheiterte. Er ist trotzdem oder deswegen der meist verehrte Heilige der Welt, wie ich mit Erstaunen las. Es mag als Ursache für diese überwältigende Massenverehrung dem Ungläubigen durchaus auch die makabre, aber überaus dekorative Zurschaustellung seiner wohl konservierten Zunge und seines Kinns in der der Reliquienkapelle zu Padua  erscheinen. Auch ich spürte ein Schaudern bei der Vorstellung, diese Jahrtausende alte Zunge zu schauen, das etwa dem Vergnügen beim Konsum von Horrorfilmen entsprach. Leider aber machte mir die Kleiderordnung der katholischen Taliban einen Strich durch die Rechnung. Mein Rock, bedeutete mir der Ordner am Eingang, sei ungeeignet für dieses Schauplatz heiligster Körperteile. Es handelte sich um einen Jeansrock, beileibe kein Minirock, sondern etwa eine Handbreit über den Knie endend. Das allerdings verträgt sich nicht mit der Würde von Zunge und Kinn, so dass ich leider draußen bleiben musste und stattdessen ein Eis aß.

Die Schönheit des Prato della Valle, eines großen, ovalen Platzes, der auf dem Gelände einer römischen Arena errichtet wurde, erschließt sich gegenwärtig erst, wenn man von der Basilika St. Antonio kommenden auf die gegenüberliegende Seite geht. Denn diesseits sind nicht nur einige der Standbilder bedeutender Männer, die den Platz säumen, zur Zeit eingerüstet, sondern verstellen auch Obst- und Gemüsehändler den Blick. Beeindruckend war allerdings auf jener Seite die vorbeifahrende futuristisch anmutende Tram, bei deren Anblick sich die Zukunftsaussichten dieses Verkehrsmittels, das in deutschen Städten eher als Auslaufmodell angesehen wird, überaus vorteilhaft darstellten. Da ich glaube, dass das  Automobil, wie wir es kennen, am Ende meines hoffentlich langen Lebens zu jenen Verkehrsmitteln gehören wird, die nur noch in Museen zu bestaunen sind, erfreute mich dieser Anblick sehr. Am Rande des Prato della Valle erhebt sich eine andere erstaunliche Basilika, die acht Kuppeln in byzantischer Manier schmücken. In ihr, so las ich, werden die Gebeine des Evangelisten Lukas verwahrt. Es muss an meinem eingefleischten Protestantismus liegen, dass mir die Bedeutung des Evangelisten für das Christentum so viel höher erscheint als die des von den Massen so geschätzten Hl. Antonius. Vor der Basilica di Santa Giustina jedenfalls gab es keine Andenkenstände, die Kettchen und Handtücher mit dem Konterfei des Evangelisten anboten.

Am schönsten in Padua fand ich bei diesem ersten Besuch, dem weitere folgen sollen, den Botanischen Garten. Goethe, wie es nicht anders sein kann, war auch schon da und dichtete hernach über die "Metamorphose der Pflanzen". Eine „Goethe-Palme“ unter einem Glasdach, erinnert daran. Das Überleben des alten Baumes (gepflanzt 1585), den also der deutsche Dichter schon sah, ist sicher beeindruckend. Mein Interesse fesselten jedoch viel mehr die Seerosen (Nymphae), die überall in den kleinen Becken im Garten schwammen. Das wusste ich nicht, wie viele Sorten dieser von mir so geliebten Pflanze es gibt: die weiße Hermine, die hellgelbe Flavia, die pinkfarbene Escarbonde, die hellorangene Aureora und – Schande! – sogar eine, die den Namen des Marschall Petain trägt und magentafarben strahlt. Noch viel mehr wunderschöne Seerosen-Arten aus den Seen und Teichen aller Welt sind dort zu sehen. Meine Favoritin ist die Victoria cruziano, die große Flöße bildet. Sie kommt aus Bolivien.

Es war heiß, wie all die Tage, auch in Padua. Als wir zurückkehrten klebten uns die Kleider am Leib. Wir aßen in der Dorf-Pizzeria von Baone zu Abend, die eine hervorragende Pizza anbietet, genau so, wie sie sein soll: knusprig, nicht zu viel, aber gutem Mozzarella und mit ganz frischen Zutaten. Morel hatte „Frutti di mare“ und ich „Ruccola e grano“, dazu ein kühles Bier. Heute morgen ist es ein wenig frischer, ein laues Lüftchen weht unter dem Arkadengang der Barchessa von Ca´orologio, wo ich an einem Holztisch sitze und schreibe, während die Zikaden „singen“. Meine „Lektürepläne“ habe ich vorerst geändert. Statt Casanova lese ich – wie jeden Sommer – einen Band der „Bones“-Serie von Carolyn Haines, weiter in den "die ersten 5000 Jahre Schulden" und abwechselnd dazu – passend zur Gegend (Verona ist ja nicht weit) - den gerade von Antje Schrupp und Dorothee Markert übersetzten Band der Veroneser Diotima-Philosophinnen-Gruppe „Macht und Politik sind nicht dasselbe“, der nicht nur schon im ersten Kapitel eine Wiederbegegnung mit Karl Barth gebracht hat, sondern für mich auch ein erhellendes Licht auf den Disput wirft, der sich unter dem Post „Diesen Text  gibt es nicht“, fortsetzt, wie ich heute früh gesehen habe. Es gibt ein Spiel um die Macht (das „Recht haben“) – es wird von Einigen mit Eifer fortgesetzt, hier und anderswo – , das mich und viele andere nicht (mehr) interessiert und es gibt Spiele der Beziehungen. „Um laufen zu können, muss man lernen, nur mit einem Fuß auf der Erde zu stehen.“, schreibt Diana Sartori in Anlehnung an Marina Zwetajewa. (Der "Standhafte" geht nicht ;-) -weg,  - weil er´s nicht kann.) 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen