Ich höre oft: "Dafür habe ich keine Zeit." Manchmal ist es schlicht eine Tatsachen-Feststellung. Meistens versteckt sich hinter dem Satz eine weitere Botschaft: "Du hast offenbar nicht genug zu tun." oder auch "Mit so was würde ich meine Zeit nicht verschwenden."
Gelegentlich werde ich auch gefragt: "Wie schaffst du das alles?" Auch dahinter können sich die obigen Botschaften verstecken: Der Verdacht, dass es mir an "echten" Aufgaben mangelt, dass mein Beruf mir "zuviel" Zeit lässt oder dass ich Wichtiges vernachlässige. Es kann auch Verwunderung oder sogar Bewunderung so ausgedrückt werden. Man merkt das meistens schon, am Tonfall und am Kontext, wie das wirklich gemeint ist, als Abwertung, Sorge oder Anerkennung.
Zeit ist jedenfalls relativ. Und die meisten haben das Gefühl, sie hätten nicht genug davon. Es kommt aber immer auf den Vergleichsmaßstab an. Mir reicht sie jetzt. Gestern und heute hatte ich meine Neffen (acht und sechs Jahre alt) zu Besuch. (Grade verschnaufe ich mal kurz, weil sie im Keller mit dem Amazing und dem Mastermind zocken.) Der Besuch hat mir wieder mal klar gemacht, wie es kommt, dass sich bei mir seit einigen Jahren das Gefühl eingestellt hat: "Das geht noch." Denn als meine eigenen Söhne jünger waren, hatte ich viel weniger Zeit. Ich bin keine besonders fürsorgliche Mama gewesen und war immer berufstätig. Trotzdem: Es hat mir Spaß gemacht mit ihnen zu spielen oder ihnen vorzulesen; ich habe sie zum Sport begleitet und viele Stunden am Spielfeldrand von Fußballplätzen gesessen oder Wochenenden in Turnierhallen verbracht; ich habe Flöte mit ihnen geübt und Laternen mit ihnen gebastelt; ich habe Vokabeln abgehört und Hausaufgaben korrigiert; ich habe mit ihnen gekuschelt und die Tour de France geguckt. Wenn man jüngere Kinder hat und gerne mit ihnen lebt, hat man kaum Zeit für was anderes. Das ist keine Klage, das ist einfach so. Sie brauchen immer was; sie wollen etwas wissen, sie müssen wohin, wo sie alleine noch nicht hinkönnen; sie holen sich ein blutiges Knie und müssen "verpflastert" werden. Es gibt keine längeren zusammenhängenden Phasen, in denen man sich mit sich selbst, mit Schreiben oder Lesen beschäftigen kann. Zumindest dann nicht, wenn man - wie ich - zugleich außer Haus berufstätig ist. Seit Amazing und Mastermind mich so viel weniger brauchen und fast alles alleine erledigen können, habe ich mehr Zeit, als ich über viele Jahre gewohnt war. "Ja," sage ich zu denen, die mich fragen, "ich verbringe viel Zeit im Netz. Ich lese auch viel. Und ich schreibe. Für mein Blog. An zwei Romanen und einer Reihe von Erzählungen. Aber damit verbringe ich immer noch deutlich weniger Zeit, als ich über viele Jahre jeden Tag mit meinen Söhnen verbracht habe. Mir reicht die Zeit. Jetzt."
(Das allerdings gilt ebenfalls wieder nur relativ. Es gilt für die Einheit "Tag". Bezogen auf die Lebensrechnung kommt´s mir vor, als ob die Zeit davon fliegt, seit ich die 40 überschritten habe. Mehr als die Hälfte vorbei, noch so viel vor.... Ob´s reicht?)
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