"Man sieht, die zerstörerische Geste ähnelt der Geste der Arbeit. Arbeit ist eine Geste, deren Motiv in dem Entschluss liegt, etwas anders zu machen, als es ist, weil es nicht ist, wie es sein soll. Zerstörung wie Arbeit beschließen, dass etwas nicht ist, wie es sein soll. Zum Unterschied von der Arbeit beschließt die Zerstörung aber nicht, es anders zu machen, sondern es abzuschaffen." (Vilém Flusser: Die Geste der Zerstörung)
„Beinahe
sicher bin ich, dass die Deutsche schon aufgetaucht war, als meine Mutter noch
lebte. Mit ihrem üppigen zu einem Turm aufgebundenen aschblonden Haar, der hohen Stirn, den scharf profilierten
Wangenknochen unter den wasserblauen Augen und der spitzen, aufsteigenden Nase über
den blassen Lippen passte sie so viel besser zu den Ambitionen meines Vaters
als meine kleine, nervöse Mutter, die es immer zu gut meinte mit jedermann. Kaum erschien Dorothea im kalten Frühjahr des Jahres 1892 auf der Bildfläche, legte sich meine Mutter in ihr Bett, erschöpft und fiebrig, warf sich in einem unruhigen
Schlaf hin und her, aus dem sie nur noch wenige Male erwachte. Drei Tage später
war sie tot. An ihrem Grab stand Dorothea noch in der dritten Reihe, doch ich
behielt sie scharf im Auge. Mein Vater erhoffte sich von ihr den Zugang zu
europäischen Kreisen, aber ich hatte längst beschlossen, sie und mit ihr ihn zu
ruinieren. Ich sorgte dafür, dass sie genügend Gelegenheit bekam, meinen kräftigen
Brustkorb, das Spiel meiner Wadenmuskeln, die Zartheit des Flaumes auf meinen
Wangen mit der Schlaffheit meines alternden Vaters zu vergleichen.“
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