Mit
diesem Post setze ich die Reihe zu den auf Deutsch erschienenen Textsammlungen
der Philosophinnen-Gruppe DiOTIMA fort:
Bisher:
2. Autorität ohne Macht (JENSEITS DER GLEICHHEIT. ÜBERMACHT UND DIE WEIBLICHEN WURZELN DER AUTORITÄT)
Dieser
Post beschäftigt sich mit dem Band DIE WELT ZUR WELT BRINGEN. POLITIK, GESCHLECHTERDIFFERENZ UND DIE ARBEIT AM SYMBOLISCHEN, 1999
In
meinem Text zu dem Band „JENSEITS DER GLEICHHEIT. ÜBERMACHT UND DIE WEIBLICHEN WURZELN DER AUTORITÄT“ hatte ich versucht, meinen Weg zum „Differenzfeminismus“
nachzuzeichnen, einen Weg, bei dem ich „von
mir ausgehen“ musste, um, wie Luisa Muraro so treffend formuliert hat, „mich nicht
zu finden“. Denn es ist
vielleicht der entscheidende Irrtum, wenn die Figur des „Von-sich-Ausgehens“
mit Selbstbezüglichkeit oder Egozentrik verwechselt wird. Vielmehr ermöglicht
gerade die Besinnung auf die eigene Herkunft, die eigene Bedürftigkeit und
Begrenztheit, sich dem Anderen zu öffnen, ohne es immerzu zwanghaft mit sich
selbst zu identifizieren. Es geht also nicht darum, um sich selbst zu kreisen,
sondern gerade darum herauszugehen,
sich von sich weg zu bewegen auf die
anderen hin: „Von-sich-selbst-Ausgehen“
war der Weg der praktischen Philosophie, die nicht versucht, die Welt selbst zu
verändern, was ein eitles Unterfangen wäre, sondern eine Veränderung meiner
Beziehungen zur Welt anstrebt. Und eine Veränderung meines In-der-Welt-Seins.“ (Luisa Muraro) Befreiung
wird also nicht erfahren in einem Akt, der die Welt in ein Objekt der
Erkenntnis verwandelt, sondern in der Erfahrung, Teil dieser Welt zu sein und
Beziehungen mit ihr und in ihr zu gestalten. Luisa Muraro bezieht sich in ihrem
Aufsatz: „Von sich selbst ausgehen und
sich nicht finden lassen...“ auf Simone Weil, die Philosophie so
definierte: „Philosophie (Probleme der
Erkenntnis etc. mit inbegriffen) ist etwas, was ausschließlich in der Tat und
in der Praxis geschieht. Deshalb ist es so schwierig, darüber zu schreiben.
Schwierig in der Art einer Abhandlung über Tennis oder einen Wettlauf, aber in
weit höherem Maße.“ Damit setzt sich Weil in krassesten Widerspruch zu all
jenen, die Philosophie als Produktion von Texten oder Lektüre und Deutung von
Texten begreifen. Sie verwechseln aus ihrer Sicht das Eigentliche (die Handlung)
mit dem Schreiben über die Handlung (das schwierig sein mag, aber eben nicht
die Philosophie selbst ist).
Philosophie wäre nach dieser Lesart eine weise Lebenspraxis, die über
Beziehungen gestaltet wird. Die Philosophin wäre mithin nicht eine, die kluge
Texte verfasst, sondern eine, deren Lebensgestaltung gelingt. Diese Auffassung
erscheint vor dem Hintergrund der akademischen Philosophie geradezu lächerlich,
dabei entspricht sie durchaus derjenigen Bedeutung, die das Wort ursprünglich
hatte. In die Lehre eines Philosophen ging man in Ost und West, weil man ihn
für einen Weisen hielt, durch die Art, wie er sein Verhältnis zur Welt und zu
seinen Mitmenschen gestaltete. Die Idee, man könne Texte selbst als "philosophisch", unabhängig von ihrem Sprecher und dessen praktischer
Lebensführung, begreifen, ist erst später entstanden. Diese Idee hat indes eine
ungeheure Dynamik und Produktivität entwickelt: Sie brachte uns den
Monotheismus, die Dampfmaschine, den Kategorischen
Imperativ, die Elektrizität, das Auto, die Psychoanalyse, die Atombombe und das
Retortenbaby. Alle diese Errungenschaften konnten scheinbar hervorgebracht
werden, ohne „Von-sich-Auszugehen“,
ja geradezu im „Von-Sich-Absehen“.
Zugleich
hat dieses Denken durch den stetigen Prozess der Entfremdung das entgegengesetzte Bedürfnis nach
Substanz und Identität hervorgetrieben, das zu immer neuen und immer extremeren
Anstrengungen des Hervorbringens, der (illusionären) Selbst-Geburt führte. Dieses
Denken hat den Ressourcenverbrauch bis zum Exzess vorangetrieben und in seiner
Sehnsucht nach Einheitlichkeit immer kleinteiligere, (schein-)homogene „Systeme“
geschaffen, die zueinander nicht mehr in Beziehungen zu stehen glauben, sondern einander als „Umwelt“ begreifen. Die philosophische Praxis, die hingegen Louisa
Muraro vorschlägt, „besteht also darin,
an die Quelle des Denkens und Entscheidens zurückzukehren und die Gebäude des
schon Gedachten und Entschiedenen mit seinen mehr oder weniger beeindruckenden
Erscheinungsformen und seinen mehr oder weniger illusorischen Wirkungen
auseinanderzunehmen. Wenn wir uns also in diesem Sinne in Bewegung setzen, ist
die wichtigste Entdeckung die des Subjekts. Man entdeckt das Subjekt, sich
selbst, nicht in der Position des Subjekts, sondern von dem aus, was es
vervollständigt: Ich finde mich in der Beziehung mit anderen, bewohnt von
Erinnerungen, bewegt vom Begehren.“
Das
„Von-Sich-Ausgehen“ richtet sich
daher genau gegen jene „falsche
Konstruktion des Selbst“, das immer nur auf sich zurückfällt, indem es auf
sich als Objekt blickt, statt sich in seinen Beziehungen und Abhängigkeiten zu
erfahren. Es geht diesem Denken nicht um eine Dekonstruktion des Ich, sondern
um eine Dezentralisierung. Auf diese
Weise wird der Prozess des Denkens eine stete Selbstveränderung des Subjekts.
Das ist ein risikoreiches Spiel, weil es keinen Sinn und kein Zentrum gibt, das
für dieses Denken konstitutiv werden kann: Es ist vielmehr immer das, was sich
in den Beziehungen entwickelt. Louisa Muraro spricht davon, dass dies „die enge
Pforte“ sei, durch die sich das Denken „vom
Nihilismus des postmodernen Denkens“ freispiele.
Im
Zentrum des Bandes „DIE WELT ZUR WELT BRINGEN. POLITIK, GESCHLECHTERDIFFERENZ
UND DIE ARBEIT AM SYMBOLISCHEN.“ steht die Auseinandersetzung damit, wie die
wieder gewonnene Bezugnahme auf die Autorität der Mutter sich in
der Praxis gestaltet, welche Schwierigkeiten auftreten können und auf welchen
Wegen die Beziehungen von Frauen zueinander für das Denken fruchtbar gemacht
werden können. Wie Luisa Muraro weist auch Andrea Günther in ihrem Beitrag: „Jenseits des Ichs und der Macht:
Selbstbewusstsein und weiblicher Sinn in der Welt“ auf die Differenz dieses
Denkens zur postmodernen und poststukturalistischen Dekonstruktion des Subjekts
hin. Es bleibe das poststrukturalistische Denken zwanghaft und negativ dem
Subjekt und der Ich-Konstruktion verhaftet. Aus dieser polaren Bindung, die zum
ständigen Bedürfnis, sich seiner selbst zu vergewissern und auf sich zu beharren,
führe, löse nicht „das Wissen um das
Selbst oder das Ich, vielmehr (die)...Wahrnehmung von sich selbst als Teil des
menschlichen Beziehungsgefüges und der Welt, die immer schon da ist, wenn wir
geboren werden.“
Ein
weiteres Kapitel des Bandes ist der „Symbolischen
Ordnung der Mutter“ gewidmet. Die „Ordnung der Mutter“ orientiert sich
nicht am Prinzip der Gerechtigkeit als höchstem Wert, sondern am Prinzip der
Bedürftigkeit. Sie zielt nicht darauf, die Beziehungen über Rechte und
Pflichten zu organisieren, sondern über Bedürfnisse, Abhängigkeiten und
Autorität: „Ja, es ist höchste Zeit für
alle, zur Mutter zurückzukehren, zu dem Wissen, das wir alle von einer Frau
geboren wurden, die nicht Gott ist, sondern eine Frau aus Fleisch und Blut. Sie
lehrt uns durch ihre Liebe das Lieben und durch ihren Tod lehrt sie uns das
Sterben, mehr verspricht sie uns nicht und mehr gibt sie uns auch nicht.“
Die Einsicht in die eigene Gebürtigkeit und Sterblichkeit verhindert ein
ökonomisches und philosophisches Denken weiterhin ernstzunehmen, das glaubt,
ohne die Liebe auskommen zu können. „Die Ordnung der Mutter“ wird symbolisch
dem „Gesetz des Vaters“ gegenüber gestellt, als eine Philosophie, der es nicht
darum geht, universale Regeln zu formulieren, sondern Anfänge, Geburten zu
ermöglichen: „Es handelt sich also um die
Autorität des Verbindung-Stiftens, um das Anbinden der gegenwärtigen Situation
und der Richtung ihrer Entwicklung an das Prinzip; aber auch um das Sichbinden
einer Person, die Autorität allein deshalb anerkennt, weil sie diese Verbindung
herstellen kann. Die Beziehung zu einer Frau, die in diesem Sinne als Autorität
wahrgenommen wird, reaktiviert also die anfangende und ordnende Fähigkeit des
mütterlichen Prinzips sowohl im Hinblick auf die Welt als auch auf die Frau,
die diese Autorität anerkennt, und vergegenwärtig so die Autorität des
mütterlichen Ursprungs.“ (Diana Sartori)
Das
Denken, das von der symbolischen „Ordnung
der Mutter“ ausgeht, kann die Beziehung zur Welt nicht festschreiben und
die Ordnung nicht festsetzen. Es rechnet vielmehr mit dem Unvorhersehbaren. Die
Anknüpfung an die Autorität der Mutter, die Fähigkeit die eigene Abhängigkeit
und Herkunft nicht zu negieren, darf nicht verwechselt werden mit einem
rückwärts gewandten Traditionalismus, der zum Beispiel Weiblichkeit und
Männlichkeit mit jenen Bildern identifiziert, die sie über Jahrhunderte geprägt
haben. Das Gegenteil ist der Fall. Die notwendige „Arbeit am Symbolischen“ macht es sich zur Aufgabe, diese Bilder zu
erweitern, umzuschreiben, neue Bezüge und andere Anfänge zu ermölgichen. Das ist mühsam.
Denn der Feminismus hat es mit Stereotypen von Weiblichkeit (und Männlichkeit)
zu tun, die immer wiederholt werden. Es ist jedoch, so schreibt Andrea Günter
in einem Beitrag am Ende dieses Bandes, dies gerade kein Zeichen dafür, dass in
den letzten Jahrzehnten keine Veränderungen stattgefunden haben. Die zwanghafte
Wiederholung der Stereotype kann auch ein Zeichen dafür
sein, dass sie immer weniger Wirklichkeit beschreiben, aber für die
Wirklichkeit, die entsteht, die Symbole fehlen, was große Unsicherheit auslöst.
Für die Arbeit der Mailänder Philosophinnen-Gruppe war und ist es entscheidend
bei darauf zu achten, „wie
Frauen etwas miteinander durcharbeiten, welche Konflikte dabei auftreten, wie
diese interpretiert werden können...Wort, Dinge, Begehren und Beziehungen
stehen also in einem unauflöslichen Kreislauf, der selbst Vermittlung ist und
der Vermittlung bedarf, unaufhörlich.“
Eine
Gruppe von Frauen hat kürzlich als einen Beitrag zur „Arbeit am Symbolischen“ ein „ABC
des guten Lebens“ vorgelegt, um im „postpatriarchalischen Durcheinander“
aufzuräumen: Ein wunderbares Geschenk in Beziehungen unter Frauen!
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