Ein Beitrag von Morel
Erika Pluhar und Martin Benrath in "Die Nacht von Lissabon" |
Der
Filmregisseur Dominik Graf muss vor kurzem einen guten Film gesehen haben. Denn
er bekomme schlechte Laune, wenn er zu lange ohne gute Filme auskommen müsse.
Und er war ausgesprochen gut gelaunt, als er an einem schwülen Samstagabend die
Filme vorstellte, die er für eine kleine Reihe im Filmmuseum zusammengestellt
hatte. In unregelmäßigen Abständen lädt das Deutsche Filmmuseum nämlich
Filmschaffende ein, ihre Lieblingsfilme vorzustellen. Dominik Graf kam dem mit
einer Reihe nach, die er auch unter den Titel "fremde Heimat" hätte
stellen können. Denn er wählte ausschließlich "deutsche" Kino- und
Fernsehfilme aus - in Deutschland oder von deutschen Regisseuren gedrehte:
Fritz Lang, Max Ophüls und Douglas Sirk (ursprünglich Detlef Sierck) sind
dabei. Aber auch ein Melodram von Veit Harlan, dem Regisseur des infamen
Nazi-Propagandaschinken Jud Süß. Eine Komödie aus den 50er Jahren, in der
Dominik Grafs Vater Robert mitspielte. Und einige Filme von Zeitgenossen Grafs:
Klaus Lemkes legendärer Rocker-Film und eine Sexgroteske von Wolfgang Büld über
ein Mädchen mit "vulga dentata", die Männer beim "Orgasmus
absolut restlos verschlingt". Über den Inhalt wollte Graf bei seiner
Vorstellung nichts verraten, "weil dann wieder keiner reingeht". Der
kennt uns ja nicht.
*
Wie
alle Regisseure seiner Generation haben Dominik Graf amerikanische, französische
und italienische Filme geprägt. Zum deutschen Film, gestand er ein, habe er ein
schwieriges Verhältnis der Hassliebe entwickelt. Es ist die Sehnsucht nach
abwesenden Vorbildern, die nur in Bruchstücken und Momenten zu finden seien.
Wie sein Vater ihm auch durch manche seiner Filmauftritte im Nachhinein näher
gekommen sei, als im Familienleben, wo er oft eher distanziert gewirkt. Jetzt wo
Graf für viele, die von einem deutschen Genrekino träumen, ein Vorbild geworden
ist (mit einigen der besten Fernsehfilme der letzten Jahrzehnte) wirken die
Filme, die für ihn Deutschland in seinem Glanz und seiner Niedertracht abbilden,
wie ein verzerrtes Selbst-Porträt des Landes, in dem und über das er seine Filme
dreht. Denn Graf ist anders als Wenders oder Herzog nie aus Deutschland geflüchtet.
Er ist immer dahin gegangen, wo es wehtut: in die gesichtslosen deutschen Vorstädte,
den Bahnhofskiez oder auf den Straßenstrich. Bilder von einem Deutschland, das
es offiziell gar nicht gibt, das wir aber alle kennen. Es ist daher gefährlich
auf die Carte Blanche-Auswahl den Campbegriff anzuwenden. Noch in den 70ern
Jahren konnten viele Kritiker Fassbinders Verehrung für Douglas Sirk nicht
anders denn als angewandten Sarkasmus verstehen. Aus Hollywood kamen Gehirnwäsche
und falsches Bewusstsein im Doppelpack. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei.
Aber über Tarantino und die Folgen kam eine Art von Abgebrühtheit ins Reden über
den Film, die zumindest dem Reden nicht gut getan hat. Nicht so bei Dominik
Graf, der nicht nur viel weiß sondern vor allem auch begeistern kann - und wenn
es nur für die eine erotische Tanz-Szene in Das
indische Grabmal von Fritz Lang ist, durch die die deutsche Schwerfälligkeit
und Statik aufgebrochen werde.
*
Wenige
der Filme, die Graf für seine Carte Blanche ausgewählt hat, taugen für
irgendeinen Kanon. Mit der Ausnahme vielleicht von Ophüls Lola Montez. Die meisten anderen Filme stehen irgendwie schräg zu
den etablierten Bildern vom Film. Wie Graf von ihnen erzählte, absatzlos,
begeistert und kaum zu stoppen, geht es nicht um Meisterwerke sondern um
Mosaiksteine eines verzerrten Deutschlandbilds, einer Travestie von Deutschland.
Filme von Deutschen in Amerika gedreht, Filme mit deutschen Schauspielern, die
Inder oder Franzosen spielen, letzte Versuche, in Deutschland Fuß zu fassen,
Bilder von einem Untergang, der noch bevorsteht. Eine Filmgeschichte als
Gespensterstunde: verbotene Bilder, abwesende Väter, unterdrückte Gefühle. Dazu
passte dann auch Die Nacht von Lissabon,
gedreht für das ZDF vom Exil-Tschechen Zbynek Brynych, von dem auch zwei Folgen
der legendären Krimiserie Der Kommissar
zu sehen sein werden. Hier wird ein Roman von Remarque über das Exil
(geschrieben 1963, fast zwei Jahrzehnte nach dem Ende des zweiten Weltkriegs)
als Gespenstergeschichte erzählt. Ein Emigrant (intensiv gespielt von Martin
Benrath), erzählt einem anderen
Mann seine Lebensgeschichte, bevor er ihm am Morgen die begehrten Karten für
die Überfahrt nach Amerika übergeben wird, die er nicht mehr benötigt. Mit
einem gefälschten Pass kehrt er nach Osnabrück zurück, um seine Frau Helen
(gespielt von einer großartigen Erika Pluhar), die er in Deutschland zurückgelassen
hat, nachzuholen. Das sagt er ihr aber nicht. Meistens steht er stumm und
voller unterdrückter Wut in Zimmern und vor Türen. Einmal muss er sich vor
Helens Bruder, einem SS-Mann, in einem Schrank verstecken. Helen ergreift
schließlich die Initiative und organisiert, mit gestohlenem Briefpapier ihres
Bruders, die Ausreise in die Schweiz. "Dreh dich nicht um", meint
Benrath kurz angebunden zu Pluhar. Aber der Ausgang dieser Geschichte war von
Anfang am klar, als wir die tote Helen sahen. Trotz glücklicher Tage in der
Schweiz: Orpheus wird Eurydike auf der Reise durch dieses von Deutschland in
ein Totenreich verwandelte Europa verlieren. Grund ist die Krebserkrankung
Helens, die sie immer verzweifelter, begleitet von hysterischer Unterhaltungsmusik
von Peter Thomas, dazu bringt, das Leben bis zur letzten Neige auszutrinken.
Wenn immer wieder die starren Blicke der Menschen, denen das Paar auf seiner
Flucht durch Europa begegnet, gezeigt werden, dann, weil es nicht mehr unter
den Lebenden weilt. Eine Erkenntnis, die nur Helen ausspricht, und nicht der
Mann, der bis zum Schluss zwischen Gegenwart und Erinnerung schwankt, "Ich
bin - Ich war - Ich bin" murmelnd, zur ewigen Tatenlosigkeit verurteilt.
Ein seltsamer Film, großartig inszeniert, mit einem Drehbuch aber, das nicht
allen Klischees gut abgehangener Mythen entkommt.
Programm: Carte Blanche für Dominik Graf im Filmmuseum
Programm: Carte Blanche für Dominik Graf im Filmmuseum
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