Sonntag, 5. August 2012

GESPENSTERSTUNDE. Carte Blanche für Dominik Graf im Filmmuseum Frankfurt


Ein Beitrag von Morel



Erika Pluhar und Martin Benrath in
"Die Nacht von Lissabon"

Der Filmregisseur Dominik Graf muss vor kurzem einen guten Film gesehen haben. Denn er bekomme schlechte Laune, wenn er zu lange ohne gute Filme auskommen müsse. Und er war ausgesprochen gut gelaunt, als er an einem schwülen Samstagabend die Filme vorstellte, die er für eine kleine Reihe im Filmmuseum zusammengestellt hatte. In unregelmäßigen Abständen lädt das Deutsche Filmmuseum nämlich Filmschaffende ein, ihre Lieblingsfilme vorzustellen. Dominik Graf kam dem mit einer Reihe nach, die er auch unter den Titel "fremde Heimat" hätte stellen können. Denn er wählte ausschließlich "deutsche" Kino- und Fernsehfilme aus - in Deutschland oder von deutschen Regisseuren gedrehte: Fritz Lang, Max Ophüls und Douglas Sirk (ursprünglich Detlef Sierck) sind dabei. Aber auch ein Melodram von Veit Harlan, dem Regisseur des infamen Nazi-Propagandaschinken Jud Süß. Eine Komödie aus den 50er Jahren, in der Dominik Grafs Vater Robert mitspielte. Und einige Filme von Zeitgenossen Grafs: Klaus Lemkes legendärer Rocker-Film und eine Sexgroteske von Wolfgang Büld über ein Mädchen mit "vulga dentata", die Männer beim "Orgasmus absolut restlos verschlingt". Über den Inhalt wollte Graf bei seiner Vorstellung nichts verraten, "weil dann wieder keiner reingeht". Der kennt uns ja nicht.

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Wie alle Regisseure seiner Generation haben Dominik Graf amerikanische, französische und italienische Filme geprägt. Zum deutschen Film, gestand er ein, habe er ein schwieriges Verhältnis der Hassliebe entwickelt. Es ist die Sehnsucht nach abwesenden Vorbildern, die nur in Bruchstücken und Momenten zu finden seien. Wie sein Vater ihm auch durch manche seiner Filmauftritte im Nachhinein näher gekommen sei, als im Familienleben, wo er oft eher distanziert gewirkt. Jetzt wo Graf für viele, die von einem deutschen Genrekino träumen, ein Vorbild geworden ist (mit einigen der besten Fernsehfilme der letzten Jahrzehnte) wirken die Filme, die für ihn Deutschland in seinem Glanz und seiner Niedertracht abbilden, wie ein verzerrtes Selbst-Porträt des Landes, in dem und über das er seine Filme dreht. Denn Graf ist anders als Wenders oder Herzog nie aus Deutschland geflüchtet. Er ist immer dahin gegangen, wo es wehtut: in die gesichtslosen deutschen Vorstädte, den Bahnhofskiez oder auf den Straßenstrich. Bilder von einem Deutschland, das es offiziell gar nicht gibt, das wir aber alle kennen. Es ist daher gefährlich auf die Carte Blanche-Auswahl den Campbegriff anzuwenden. Noch in den 70ern Jahren konnten viele Kritiker Fassbinders Verehrung für Douglas Sirk nicht anders denn als angewandten Sarkasmus verstehen. Aus Hollywood kamen Gehirnwäsche und falsches Bewusstsein im Doppelpack. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Aber über Tarantino und die Folgen kam eine Art von Abgebrühtheit ins Reden über den Film, die zumindest dem Reden nicht gut getan hat. Nicht so bei Dominik Graf, der nicht nur viel weiß sondern vor allem auch begeistern kann - und wenn es nur für die eine erotische Tanz-Szene in Das indische Grabmal von Fritz Lang ist, durch die die deutsche Schwerfälligkeit und Statik aufgebrochen werde.

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Wenige der Filme, die Graf für seine Carte Blanche ausgewählt hat, taugen für irgendeinen Kanon. Mit der Ausnahme vielleicht von Ophüls Lola Montez. Die meisten anderen Filme stehen irgendwie schräg zu den etablierten Bildern vom Film. Wie Graf von ihnen erzählte, absatzlos, begeistert und kaum zu stoppen, geht es nicht um Meisterwerke sondern um Mosaiksteine eines verzerrten Deutschlandbilds, einer Travestie von Deutschland. Filme von Deutschen in Amerika gedreht, Filme mit deutschen Schauspielern, die Inder oder Franzosen spielen, letzte Versuche, in Deutschland Fuß zu fassen, Bilder von einem Untergang, der noch bevorsteht. Eine Filmgeschichte als Gespensterstunde: verbotene Bilder, abwesende Väter, unterdrückte Gefühle. Dazu passte dann auch Die Nacht von Lissabon, gedreht für das ZDF vom Exil-Tschechen Zbynek Brynych, von dem auch zwei Folgen der legendären Krimiserie Der Kommissar zu sehen sein werden. Hier wird ein Roman von Remarque über das Exil (geschrieben 1963, fast zwei Jahrzehnte nach dem Ende des zweiten Weltkriegs) als Gespenstergeschichte erzählt. Ein Emigrant (intensiv gespielt von Martin Benrath),  erzählt einem anderen Mann seine Lebensgeschichte, bevor er ihm am Morgen die begehrten Karten für die Überfahrt nach Amerika übergeben wird, die er nicht mehr benötigt. Mit einem gefälschten Pass kehrt er nach Osnabrück zurück, um seine Frau Helen (gespielt von einer großartigen Erika Pluhar), die er in Deutschland zurückgelassen hat, nachzuholen. Das sagt er ihr aber nicht. Meistens steht er stumm und voller unterdrückter Wut in Zimmern und vor Türen. Einmal muss er sich vor Helens Bruder, einem SS-Mann, in einem Schrank verstecken. Helen ergreift schließlich die Initiative und organisiert, mit gestohlenem Briefpapier ihres Bruders, die Ausreise in die Schweiz. "Dreh dich nicht um", meint Benrath kurz angebunden zu Pluhar. Aber der Ausgang dieser Geschichte war von Anfang am klar, als wir die tote Helen sahen. Trotz glücklicher Tage in der Schweiz: Orpheus wird Eurydike auf der Reise durch dieses von Deutschland in ein Totenreich verwandelte Europa verlieren. Grund ist die Krebserkrankung Helens, die sie immer verzweifelter, begleitet von hysterischer Unterhaltungsmusik von Peter Thomas, dazu bringt, das Leben bis zur letzten Neige auszutrinken. Wenn immer wieder die starren Blicke der Menschen, denen das Paar auf seiner Flucht durch Europa begegnet, gezeigt werden, dann, weil es nicht mehr unter den Lebenden weilt. Eine Erkenntnis, die nur Helen ausspricht, und nicht der Mann, der bis zum Schluss zwischen Gegenwart und Erinnerung schwankt, "Ich bin - Ich war - Ich bin" murmelnd, zur ewigen Tatenlosigkeit verurteilt. Ein seltsamer Film, großartig inszeniert, mit einem Drehbuch aber, das nicht allen Klischees gut abgehangener Mythen entkommt.

Programm: Carte Blanche für Dominik Graf im Filmmuseum

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