„Gewalt ist keine Lösung. Gewalt ist das Rätsel. Die Lösung bin ich.“
Das
hab´ ich mir selbst zuzuschreiben. Habe ich nicht nach Literatur gerufen,
besser sogar: geschrien, in der Frauenfreundschaften und Weiber-Intrigen
dominieren sollten? Das habe ich nun davon. So kann das nämlich gehen: Du
kriegst, was du willst, - und dann bist du ganz schön bedient. Das bin ich:
Bedient und ziemlich aufgescheucht aus meiner mittelalten, mittelreichen, mittelklugen Behaglichkeit durch Anita Augustins Roman mit dem kuriosen Titel: „Der Zwerg
reinigt den Kittel“.
Es
kommt kein Zwerg vor, Kittel nur am Rande und reinlich ist und wird hier
nichts. Den Titel erfindet beim Kreativworkshop in der „Residenz“, einem
äußerlich sehr adretten Altenwohnheim mit gepflegtester Gartenanlage (3mm, wie
in Wimbledon!) Frau Wimmer, die immer einen Müllsack mit sich herumträgt. Wie
das Spiel genau geht und wer dabei wie psychisch und physisch verletzt wird,
wollen Sie jetzt gar nicht so genau wissen.
Keine
Beschwerden, bitte! Mit diesem Spruch (dass Sie es so genau gar nicht wissen
wollen), wird die Ich-Erzählerin Almuth Block Sie in diesem Roman einige Male abfertigen.
Besonders dann, wenn es um die Methoden von Schwester Theresa geht, die in der
„Residenz“ ein strenges und ungerechtes Regiment führt. Sie werden sich
trotzdem ein ziemlich klares Bild machen können, im Laufe der Zeit, wie der
Strafenkatalog ungefähr aussieht, aus dem Schwester Teresa willkürlich auswählt,
wenn die Senioren den Tagesplan nicht ordnungsgemäß einhalten: Behandlungen mit
der Drahtbürste im Intimbereich, Nägel schneiden bis aufs Blut, Dehydrierung.
Es
ist nicht leicht, Ihnen zu sagen, worum es in „Der Zwerg reinigt den Kittel“
geht, ohne Sie vorsätzlich irrezuführen. Ich weiche daher auf die Formulierung
aus: „Almut erzählt.“ Almuth also erzählt vom Beginn ihres Ruhestandes, dem
Ausdrücken gefühlter Tausend Kippen in einer Salatschüssel, die vor ihrem Bett
steht, und schließlich vom Anruf ihrer alten Freundin Karlotta, die sie seit 40
Jahren nicht mehr gesehen hat: „Mir ist langweilig. Ruft mich an, aber zackig!“
Karlotta hat, erzählt Almuth, noch zwei weitere Freundinnen angerufen. Zuletzt
hatte sich das Quartett 1983 getroffen zu einer Urlaubstour gen Italien. (Sie
merken vielleicht: Es handelt sich um einen Science fiction. Mein Tipp:
Behalten Sie das im Kopf. Man vergisst es leicht bei der Lektüre, so gegenwärtig
kommt das alles daher, was Almuth erzählt.) Karlotta ist Sportlehrerin gewesen,
Suzanna Krankenschwester, Marlen Witwe. „Lauter schöne Frauenberufe, und dass
Suzanna nur deswegen Jahrzehnte lang in einem Hospiz gearbeitet hat, weil sie
den Leuten gern beim Sterben zusieht, das muss man ja nicht sagen. Muss man ja
nicht sagen, dass Karlottas Schüler über viele Generationen hinweg ihre
Sportlehrerin Karlotta Könick immer nur Killerkönick genannt haben. Und dass
Marlen nicht nur einmal Witwe war, sondern ziemlich oft, dass muss man auch
nicht sagen, schon weil es zum Berufsprofil gehört. Siehe: Leichenbestatter.
Siehe: Totengräber.“ Man muss das alles nicht sagen. Aber Almuth sagt es. Sagt
all das und noch viel mehr bei einer Befragung durch einen Dr. Klupp zur Feststellung ihrer
psychischen Verfassung (vulgo: Zurechnungsfähigkeit). Almuth, Marlen, Suzanna und Karlotta, dieses wenig
charmante und auch optisch eher abstoßende Quartett alter Frauen in bester
Freundschaft hat nämlich „Probleme“, sagt Almuth: „Vielleicht haben wir ja
sogar Glück und sie lebt noch, die arme Frau, das wäre ganz gut für uns, weil
auf schwere Körperverletzung ohne Todesfolge nicht ganz so viele Jahre stehen,
wie auf Körperverletzung mit.“
Almuth
erzählt Dr. Klupp vom Einzug der Freundinnen in die „Residenz“ und von der
„Operation Hinterland“. Der
Aufenthalt in so einer gepflegten Altersresidenz ist für Rentnerinnen vom
Zuschnitt der vier gar nicht zu bezahlen. Also brauchen sie eine Pflegestufe.
Stufe 1 ist sinnlos, „bringt nichts“, sagt Karlotta, erzählt Almuth. Stufe 3
ist unerreichbar, das können sie nicht simulieren. Stufe 2 ist machbar und wird
also in Angriff genommen. Karlotta, berichtet Almuth, versteht das als Krieg:
„Der Krieg, würde Karlotta sagen, ist das einzig Existentielle im Leben des
Menschen. Ohne Krieg bist du kein Mensch, sondern etwas anderes, zum Beispiel
ein Pazifist. Aber wenn du ein Mensch sein willst, musst du Krieg führen, und
wenn gerade kein Krieg in der Gegend herumliegt, dann musst du einen suchen,
und wenn du keinen findest, weil du keine Lust auf Fernreisen in irgendwelche
Krisengebiete hast, dann musst du ihn dir selber machen.“ Kriegsziel ist „Urlaub für immer“ in der
„Residenz“. Der Krieg dauert zehn Tage. Zehn Tage lang muss ein
Versorgungsbedarf simuliert werden, der für Pflegestufe 2 reicht. Der Weg ins
sichere „Hinterland“, die, wie Almuth Dr. Klupp erzählt, von Karlotta geleitete
Operation, beginnt auf dem Parkplatz eines Supermarktes, wo die vier von einem
Van der „Residenz“ abgeholt werden: „Ich werde nie vergessen, womit unser geordneter
Rückzug ins Hinterland dieser Gesellschaft begonnen hat. Er hat begonnen mit
dem Satz: ´Tanz der Küken in ihren Eierschalen.´“ (Genau: Das wollen Sie
jetzt wieder nicht wissen.)
Es
ist nicht so idyllisch in der „Residenz“, wie es scheint. Es ist überhaupt
nichts in diesem Roman so, wie es scheint, beziehungsweise, wie Almuth es
erzählt. Almut zeigt auch von Anfang an wenig Sympathie für die Ministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die sie aus den Broschüren kennt, die
jede Ruheständlerin unmittelbar beim Eintritt in den „letzten Lebensabschnitt“
zugeschickt bekommt: „Ich hätte nie gedacht, dass die Ministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend etwas anderes sein könnte, als jung und dumm, zum
Beispiel jung, dumm und gefährlich.“ Sie verstehen jetzt vielleicht, warum man
gelegentlich vergisst, dass dieser Roman nicht in der Gegenwart spielt, sondern
in der nicht allzu fernen und nicht allzu unwahrscheinlichen Zukunft.
Allerdings sollten Sie niemandem trauen. Vor allem nicht der Ich-Erzählerin
Almuth, versteht sich, die frank und frei im Biographie-Fragebogen als Hobby
angegeben hat: „Gewaltphantasien.“ Denken Sie daran! Und lesen Sie: "Der Zwerg reinigt den Kittel".
(Zu Risiken oder Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker bzw. studieren Sie eine der vielfältigen und ansprechend gestaltenden Broschüren des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.)
Muss ja gut sein dieser Roman, schon das Video zitiert ja einen hier schon öfters erwähnten männlichen Musiker!
AntwortenLöschenJa, er ist klasse (der Roman), habe ihn in einem Rutsch gelesen.
LöschenMännliche Musiker (außer Schwule, wie Stephen Merrick, ignoriere ich jetzt vorerst auch mal bevor die Frauen-Quote erreicht ist auf meinem MP3-Player). ;-)