Sonntag, 30. September 2012

GEWALT IST KEINE LÖSUNG oder: Wie alt ist das BÖSE?

„Gewalt ist keine Lösung. Gewalt ist das Rätsel. Die Lösung bin ich.“





Das hab´ ich mir selbst zuzuschreiben. Habe ich nicht nach Literatur gerufen, besser sogar: geschrien, in der Frauenfreundschaften und Weiber-Intrigen dominieren sollten? Das habe ich nun davon. So kann das nämlich gehen: Du kriegst, was du willst, - und dann bist du ganz schön bedient. Das bin ich: Bedient und ziemlich aufgescheucht aus meiner mittelalten, mittelreichen, mittelklugen Behaglichkeit durch Anita Augustins Roman mit dem kuriosen Titel: „Der Zwerg reinigt den Kittel“.

Es kommt kein Zwerg vor, Kittel nur am Rande und reinlich ist und wird hier nichts. Den Titel erfindet beim Kreativworkshop in der „Residenz“, einem äußerlich sehr adretten Altenwohnheim mit gepflegtester Gartenanlage (3mm,  wie in Wimbledon!) Frau Wimmer, die immer einen Müllsack mit sich herumträgt. Wie das Spiel genau geht und wer dabei wie psychisch und physisch verletzt wird, wollen Sie jetzt gar nicht so genau wissen.

Keine Beschwerden, bitte! Mit diesem Spruch (dass Sie es so genau gar nicht wissen wollen), wird die Ich-Erzählerin Almuth Block Sie in diesem Roman einige Male abfertigen. Besonders dann, wenn es um die Methoden von Schwester Theresa geht, die in der „Residenz“ ein strenges und ungerechtes Regiment führt. Sie werden sich trotzdem ein ziemlich klares Bild machen können, im Laufe der Zeit, wie der Strafenkatalog ungefähr aussieht, aus dem Schwester Teresa willkürlich auswählt, wenn die Senioren den Tagesplan nicht ordnungsgemäß einhalten: Behandlungen mit der Drahtbürste im Intimbereich, Nägel schneiden bis aufs Blut, Dehydrierung.

Es ist nicht leicht, Ihnen zu sagen, worum es in „Der Zwerg reinigt den Kittel“ geht, ohne Sie vorsätzlich irrezuführen. Ich weiche daher auf die Formulierung aus: „Almut erzählt.“ Almuth also erzählt vom Beginn ihres Ruhestandes, dem Ausdrücken gefühlter Tausend Kippen in einer Salatschüssel, die vor ihrem Bett steht, und schließlich vom Anruf ihrer alten Freundin Karlotta, die sie seit 40 Jahren nicht mehr gesehen hat: „Mir ist langweilig. Ruft mich an, aber zackig!“ Karlotta hat, erzählt Almuth, noch zwei weitere Freundinnen angerufen. Zuletzt hatte sich das Quartett 1983 getroffen zu einer Urlaubstour gen Italien. (Sie merken vielleicht: Es handelt sich um einen Science fiction. Mein Tipp: Behalten Sie das im Kopf. Man vergisst es leicht bei der Lektüre, so gegenwärtig kommt das alles daher, was Almuth erzählt.) Karlotta ist Sportlehrerin gewesen, Suzanna Krankenschwester, Marlen Witwe. „Lauter schöne Frauenberufe, und dass Suzanna nur deswegen Jahrzehnte lang in einem Hospiz gearbeitet hat, weil sie den Leuten gern beim Sterben zusieht, das muss man ja nicht sagen. Muss man ja nicht sagen, dass Karlottas Schüler über viele Generationen hinweg ihre Sportlehrerin Karlotta Könick immer nur Killerkönick genannt haben. Und dass Marlen nicht nur einmal Witwe war, sondern ziemlich oft, dass muss man auch nicht sagen, schon weil es zum Berufsprofil gehört. Siehe: Leichenbestatter. Siehe: Totengräber.“ Man muss das alles nicht sagen. Aber Almuth sagt es. Sagt all das und noch viel mehr bei einer Befragung durch einen Dr. Klupp zur Feststellung ihrer psychischen Verfassung (vulgo: Zurechnungsfähigkeit). Almuth, Marlen, Suzanna und Karlotta, dieses wenig charmante und auch optisch eher abstoßende Quartett alter Frauen in bester Freundschaft hat nämlich „Probleme“, sagt Almuth: „Vielleicht haben wir ja sogar Glück und sie lebt noch, die arme Frau, das wäre ganz gut für uns, weil auf schwere Körperverletzung ohne Todesfolge nicht ganz so viele Jahre stehen, wie auf Körperverletzung mit.“

Almuth erzählt Dr. Klupp vom Einzug der Freundinnen in die „Residenz“ und von der „Operation Hinterland“.  Der Aufenthalt in so einer gepflegten Altersresidenz ist für Rentnerinnen vom Zuschnitt der vier gar nicht zu bezahlen. Also brauchen sie eine Pflegestufe. Stufe 1 ist sinnlos, „bringt nichts“, sagt Karlotta, erzählt Almuth. Stufe 3 ist unerreichbar, das können sie nicht simulieren. Stufe 2 ist machbar und wird also in Angriff genommen. Karlotta, berichtet Almuth, versteht das als Krieg: „Der Krieg, würde Karlotta sagen, ist das einzig Existentielle im Leben des Menschen. Ohne Krieg bist du kein Mensch, sondern etwas anderes, zum Beispiel ein Pazifist. Aber wenn du ein Mensch sein willst, musst du Krieg führen, und wenn gerade kein Krieg in der Gegend herumliegt, dann musst du einen suchen, und wenn du keinen findest, weil du keine Lust auf Fernreisen in irgendwelche Krisengebiete hast, dann musst du ihn dir selber machen.“  Kriegsziel ist „Urlaub für immer“ in der „Residenz“. Der Krieg dauert zehn Tage. Zehn Tage lang muss ein Versorgungsbedarf simuliert werden, der für Pflegestufe 2 reicht. Der Weg ins sichere „Hinterland“, die, wie Almuth Dr. Klupp erzählt, von Karlotta geleitete Operation, beginnt auf dem Parkplatz eines Supermarktes, wo die vier von einem Van der „Residenz“ abgeholt werden: „Ich werde nie vergessen, womit unser geordneter Rückzug ins Hinterland dieser Gesellschaft begonnen hat. Er hat begonnen mit dem Satz: ´Tanz der Küken in ihren Eierschalen.´“ (Genau: Das wollen Sie jetzt wieder nicht wissen.)

Es ist nicht so idyllisch in der „Residenz“, wie es scheint. Es ist überhaupt nichts in diesem Roman so, wie es scheint, beziehungsweise, wie Almuth es erzählt. Almut zeigt auch von Anfang an wenig Sympathie für die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die sie aus den Broschüren kennt, die jede Ruheständlerin unmittelbar beim Eintritt in den „letzten Lebensabschnitt“ zugeschickt bekommt: „Ich hätte nie gedacht, dass die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend etwas anderes sein könnte, als jung und dumm, zum Beispiel jung, dumm und gefährlich.“ Sie verstehen jetzt vielleicht, warum man gelegentlich vergisst, dass dieser Roman nicht in der Gegenwart spielt, sondern in der nicht allzu fernen und nicht allzu unwahrscheinlichen Zukunft. Allerdings sollten Sie niemandem trauen. Vor allem nicht der Ich-Erzählerin Almuth, versteht sich, die frank und frei im Biographie-Fragebogen als Hobby angegeben hat: „Gewaltphantasien.“ Denken Sie daran! Und lesen Sie: "Der Zwerg reinigt den Kittel". 

(Zu Risiken oder Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker bzw. studieren Sie eine der vielfältigen und ansprechend gestaltenden Broschüren des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.)


2 Kommentare:

  1. Muss ja gut sein dieser Roman, schon das Video zitiert ja einen hier schon öfters erwähnten männlichen Musiker!

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    1. Ja, er ist klasse (der Roman), habe ihn in einem Rutsch gelesen.
      Männliche Musiker (außer Schwule, wie Stephen Merrick, ignoriere ich jetzt vorerst auch mal bevor die Frauen-Quote erreicht ist auf meinem MP3-Player). ;-)

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