Samstag, 6. Oktober 2012

Istanbul (3): Blickweisen

Wie gigantisch diese Stadt ist, wird uns noch einmal deutlich, als der Bürgermeister des Stadtteils Bahcelievler, den wir treffen, uns die Zahl der Einwohner nennt, die in seinem Bezirk leben: 700 000. Größer als Frankfurt. 




Nach dem offiziellen Teil besuchen wir endlich die Blaue Moschee. "It smells inside", sagt unsere Gastgeberin. Das liegt sicher vor allem an den nicht-muslimischen Besuchern, die auf die Fußwaschung verzichten, wenn die Schuhe beim Betreten des Innenraumes ausgezogen werden müssen. Ich hätte gern "Florenz und Bagdad" von Hans Belting dabei gehabt, um mir die Weltanschauung noch einmal zu verdeutlichen, die hinter dieser Architektur und der ornamentalen Gestaltung steht. Klar ist: Der Betrachter nimmt keinen festen Standpunkt ein und er hat keine Perspektive. Es gibt keine Zentrierung auf eine Altar und es wird auf das Bild verzichtet, das die Welt "fasst". Stattdessen werden unendliche Bezüge, verwickelte und verwinkelte Liniensysteme auf der Basis mathematischer Überlegungen hergestellt, deren Ziel es nicht ist, materielle Welt abzubilden, sondern ihren Geist zu durchdringen und sich für diesen durchlässig zu machen. Der Kollege spricht aus, was auch ich spüre: "Es fällt schwer, dazu eine Position zu entwickeln. Die Fremdheit überwiegt." Wir suchen immer einen Standpunkt. Genau das ist hier "der Fehler". Die blauen Kacheln jedoch sind schön und die Anmutung des ganzen Baus ist überwältigend. Ich komme ins Gespräch mit einer Studentin der Neurophysiologie, die sich neben mich hockt. Sie schwärmt vom Stadtteil Bekistas, wo sie studiert. Dort müsse ich hin, dort sei Istanbul am schönsten: Bosporus und viele Parks. Unsere Zeit ist einfach zu kurz. Aber wir sind im Glück: Wir werden wiederkommen nach Istanbul, vielleicht viele Male, wenn unsere Zusammenarbeit sich so entwickelt, wie wir hoffen.

Später gehen wir einen steilen Hügel hinab, vorbei an einem uralten Baum (600 Jahre, wenn ich es recht verstanden habe) und machen eine Teepause im "The Han". Der Wirt ist ein Ex-Kollege unserer Gastgeber, ein charmanter Mann, der uns erzählt, er habe 8 Jahre in den USA gelebt, bevor er nach Istanbul zurück gekehrt sei. Und er kennt Eintracht Frankfurt!
Wir könnten im mit Teppichen ausgelegten "Han" stundenlang sitzen und den leckeren Apfel-Zimt-Tee genießen. Doch unsere Gastgeber wollen uns noch den zum Topkapi-Palast gehörenden Gülhane-Park zeigen. Oberhalb davon trinken wir ein nächstes Mal auf einer Terrasse mit wunderbarem Blick auf Bosporus, Goldenes Horn und Galata-Turm Tee. Noch später am Abend laufen wir über die Galata-Brücke hinüber und hoch zum Turm. In einer Seitengasse versteckt sich idyllisch gelegen die Deutsche Schule. Und dann wird es laut, unglaublich voll, wir sind rund um den Taksim-Palast, die Bars und Clubs quellen über; ein Samstag auf der Zeil ist nix dagegen. 

Nach einer Mitternachtssuppe geht´s diesmal früher ins Bett. Wir sind erschöpft - und begeistert von dieser Stadt und unseren Gastgebern!

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