Samstag, 20. Oktober 2012

WAS FÜR EIN GLÜCK... (Über nostalgisches Kneipengucken, ein neues "intellektuelles Niveau" und intrinsische Motivation)

Was für ein Glück...wir saßen gestern Abend wieder einmal zu viert beim Abendessen. Der Mastermind und ich hatten zuvor den Amazing in seiner Studentenbude besucht, waren durch die Stadt gestreift, in der auch Morel und ich vor mehr als 20 Jahren studiert hatten. Ich zeigte den beiden einige der Häuser, in denen wir gewohnt und Kneipen, in denen wir gezecht hatten. 

Vorsichtig schlug ich beim Abendessen das Thema Silvester an; unsere irischen Freunde (ehemalige Nachbarn, mit deren Kindern Amazing und Mastermind oft gespielt hatten) würden sich über unseren Besuch freuen. Sie hatten angefragt, ob "die Jungs" Lust hätten, mit nach Irland zu kommen zum Jahreswechsel; E. und C. könnten sicher ein interessantes "Programm" für die beiden zusammenstellen. Viel Hoffnungen machte ich mir nicht, dass diese Einladung angenommen werden würde. Unterwegs mit den Eltern (schon im Sommer waren die beiden Generationen dieser Kleinfamilie ja getrennte Wege gegangen: die Brüder ´all inclusive´ in die Türkei; die Eltern kulturbeflissen nach Venetien) ... Aber die Idee, mit E. und C. durch die Dubliner Clubs zu ziehen, wirkte offenbar Wunder. Man ist geneigt. Schön. Ich freu mich. Und außerdem war ich noch nie in Dublin.

Die Themen beim Abendessen waren neu: Versammlungsfreiheit. Die juristische Auslegung des Begriffs "unter freiem Himmel" (Fallbeispiel: Montagsdemos am Fraport). Schranken-Schranken. "´Einführung in die Grundrechte´ ist spannend." Der Amazing hat jetzt ein "intellektuelles Niveau" ("Das wurde ja in der Schule regelmäßig unterboten".). Man unterhalte sich sachlich-fachlich, sogar beim Essen in der Mensa, wird behauptet. Das Feiern kommt auch nicht zu kurz. Schade sei es halt für die Heim-Schläfer_innen, die verlören leider, leider den Anschluss, gibt sich der Amazing mitleidig. "Selbst wenn man die mochte  im Einführungskurs, die sind halt abends nicht mehr dabei, wenn man sich näher kommt." Alles wie früher. Und doch anders. Man fährt jetzt mit dem Sammeltaxi von der Fete heim. Es gibt auch Wahlmöglichkeiten: Rechtsphilosophie oder - soziologie. Der Amazing zögert nicht: Soziologie soll der Schwerpunkt sein. Er hat auch schon einige halb ausgereifte Theorien zum Thema. Und außerdem erklärt er mir: "Du sollst Vater und Mutter ehren" sei eine Sitte, kein Recht. Jo!

Intrinsische Motivation. Das ist fast das erste Mal, dass ich sie bei ihm wahrnehme. (Die 12 Jahre Schule hat er schlicht ´absolviert´. So animiert war er zum letzten Mal, als er über seine Praktika oder den Aufenthalt in Neuseeland sprach.) 

Was für ein Glück.


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By the way: Als Lehrende und Lernende ist es schon lange meine Überzeugung, dass ich nichts lehren oder lernen kann, ohne dass diese Motivation da ist. Wo sie fehlt, kann durch Belohnungs- und Bestrafungsschemata - z.B. Benotung - ein bisschen Dressur gelingen. Das bleibt äußerlich. "Stoff", der dem Vergessen anheim fällt, Verhaltensweisen und Methoden, die bloß ganz kurzfristig die alten Muster ablösen. Motivation, die nachhaltiges Lehren und Lernen ermöglicht, kann entweder aus dem eigenen  Begehren der Lernenden  hervorgehen oder aus der Beziehung zwischen Lehrendem und Lernendem, die von dem Begehren geprägt ist, einander zu verstehen. Antje Schrupp hat in ihrem Blog gerade einen Text veröffentlicht, der - mit anderen Worten und in einem anderen Kontext -  einer ähnlichen Überzeugung Ausdruck verleiht. Damit Lehren und Lernen gelingen können, braucht es im Idealfall beides - das Begehren der Lernenden und der Lehrenden und die "Liebe" zueinander (oder, wenn dieses Wort zu stark ist, zumindest die wechselseitige Anerkennung). 

Manchmal scheint es keinen Weg zu geben. Ich soll zum Beispiel Menschen lehren, die sich selbst als radikale Salafisten bezeichnen. Auch erklärte Anti-Semiten hatte ich schon in meinen Kursen. Meine Erfahrung zeigt aber, dass keine Differenz "in der Sache", den Prozess des Lehrens und Lernens so nachhaltig beschädigt wie eine gestörte Beziehung. Solange es mir gelingt, auf der Beziehungsebene "den Kontakt zu halten", die Anerkennung nicht zu verweigern und nicht zu verlieren, können kleine Veränderungen stattfinden, Zweifel angestoßen werden, obwohl die Auseinandersetzung in der Sache "hart" ist. Wenn die Beziehung kaputt ist, ist jedes Gespräch dagegen sinnlos. Dann kann man voneinander nichts mehr lernen. 

Antje Schrupp hat vor längerer Zeit einmal einen Text über Anti-Feministen und Un-Feministen geschrieben, der mir viel zu denken gab. Was sie dort beschreibt, deckt sich mit meinen eigenen Erfahrungen hier im Blog und im ´Real Life´. Seit einigen Wochen habe ich die Kommentarfunktion, die vorher offen war, auf Moderation umgestellt. Seit ich mehr über feministische Themen blogge, habe ich öfter Kommentare gelöscht, die ganz offensichtlich beleidigend waren - mir oder anderen Kommentator_inn_en gegenüber. Es hat mich ein wenig "getröstet", einige Nicks dieser "Kommentatoren" bei hatr.org "wiederzufinden". Gerade weil es auf Beziehungen ankommt, damit Verstehen möglich wird und Veränderungen stattfinden können, ist es auch wichtig, die Kommunikation mit bestimmten Leuten abzubrechen.

Was sich gegenwärtig in der "feministischen Blogosphäre"(?) abspielt, finde ich traurig. Dem Misstrauen, den wechselseitigen Beschuldigungen und Missverständnissen ist aber nicht durch Auseinandersetzungen um "die Sache" (also eine Verständigung über den "richtigen" Feminismus oder den "richtigen" Anti-Rassismus oder sonstwas beizukommen, denn darüber wird man sich nicht abschließend einigen können - muss und soll es auch nicht!). Viel wichtiger wäre es, auf die Beziehungen zu schauen: Können wir einander noch gelten lassen, obwohl wir in uns so wichtigen Fragen anderer Meinung sind? Wollen wir einander noch verstehen? Oder wollen wir/will ich einfach "gewinnen"? Das letzte Wort haben? Was macht mich so zornig? Was verletzt mich so sehr? Wovor habe ich Angst? Vielleicht könnten dann einige wechselseitige Projektionen aufgelöst werden. Man würde sich nicht "einigen", ganz bestimmt nicht. Aber verstehen und von einander lernen können. Vielleicht. 

2 Kommentare:

  1. Manchmal geht es auf getrennten Wegen weiter, das ist mir nach Antjes Text so richtig bewusst geworden.

    Und schade, dass es bis dahin so viel Kraft und Energie kostet. Und so viele Wunden reißt.

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    1. Im Grunde hoffe ich immer noch, dass es nicht auf getrennten Wegen weiter gehen muss. Allerdings stimmen einige der Kommentare bei Antje pessimistisch, ja.

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