Die
aktuelle Lyrikproduktion erscheint mir oft ein wenig karg und abstrakt, Texte
ohne Sound. Ein wahrscheinlich ungerechtes Vorurteil, aber vielleicht darf
Lyrik heute keinen Sound mehr haben, weil es sonst Lyrics wären, jedenfalls klingen die
Texte von Hans Unstern, Tocotronic oder Christiane Rösinger eher nach Benn, Celan,
Brecht, Enzensberger und Bachmann, wenn wir nach einem zeitgenössischen Pendant für das unterkühlte Pathos der
Nachkriegsjahre suchen wollten. Damals begann der Tag nicht nur mit
Schusswunden, sondern auch literarische Karrieren mit Lyrikbänden. Verteidigung der Wölfe, Anrufung des großen Bären, Sprachgitter. Im schönen Lyrikband Schreibzimmer von E.A. Richter, Jahrgang
1941, jedenfalls kommt mir nun mal wieder ein eigener österreichischer Sound stumm
ins Ohr. Dafür ist
das kurze, lakonische Gedicht weniger geeignet als das Langgedicht in seinen
dahinfließenden
Strophen. Ungefähr in
der Mitte des Bandes findet sich Hier
fuhr ich weg, in dem auch der Titel Schreibzimmer erklärt wird. Dieses wie die
meisten anderen Gedichte Richters sind nicht schwerer verständlich als das Leben selbst,
insbesondere als unser Alltagsleben. Wenn wir sie einmal lesen, verstehen wir
so wenig, wie von der Unterhaltung an Nebentisch im Café. Geben wir uns ein wenig mehr
Mühe, wissen wir wovon die Rede
sein könnte.
Aber schon im nächsten
Versuch stoßen
wir wieder auf die Unverständlichkeit jeder individuellen Lebensäußerung. So beginnt also ein
Gedicht von Richter, in einer schön rhythmisierten und völlig selbstverständlichen Sprache: "hier fuhr ich weg, nachdem die
Putzfrau gekommen war / ausnahmsweise an einem Sonntag, was mich im Vorhinein /
schon mit einer gewissen Unruhe erfüllt hatte, auch Scham / ich schämte mich tatsächlich fast immer ein
wenig", weshalb der bürgerliche Dichter, der sich eine Putzfrau leisten kann,
Zuflucht nimmt im Schreibzimmer, einem Raum an einem anderen Ort, wo nicht
geputzt wird ("Ich übersah dort den Staub auf dem Fensterbrett" und an anderer Stelle mit Gedanken an die
Putzfrau "wie sehr ich mich schämen würde, wenn sie sich hier vor meinen Augen in dieser Enge bücken müsste"). Das Schreiben
also findet seinen Ort in einer Heimat für die Scham, wo er Zeitung liest, Artikel über Sex, an vergangenen Sex
denkt, von den Geräuschen aus anderen Räumen gestört wird. Diese Lyrik sucht die Spuren, die der Alltag
hinterlässt.
Sie ist gelebtem Leben auf der Spur. Unser derzeitiger Lieblingstrainer, Armin
Veh, sagt immer, wenn ein Spiel mal schiefgegangen ist, das sei jetzt aber ein
"gebrauchter Tag" gewesen. Richters Gedichte handeln von gebrauchten
Tagen, nicht dem strahlenden Morgen und der tiefen Nacht. Die Gebrauchsspuren,
die das Leben am Körper hinterlässt, die Spuren die Kunstwerke hinterlassen (das berühmte Bild Betty von Gerhard
Richter wird beschrieben, aber auch auch moderne Musikstücke, Dichter wie Auden haben
ihre Cameoauftritte), auf Reisen steigt die Erinnerung an andere Reisen auf.
Der Sex, von dem einige Gedichte handeln ist kein himmlischer, verführerischer, sondern ein
irdischer, greifbarer ("schön dass deine Arschbacken so kompakt sind"). In all
diesen Strophen verschwindet dann das Ich, das sich abstößt von seiner Herkunft in
"Alles fremd", das so
beginnt: "Waschküche, Waschtrog, Kupferkessel, Stall / Kuhfladen,
Jauchegrube, Dachboden, Großmutter". Um dann ganz am Ende des für einen Lyrikband
umfangreichen Buches zu schließen mit "heute kein Ich, das Ich gelöscht". An seine Stelle
treten der Staub, die Haut, die Musik, die Erinnerung und die Sprache. In den
Gebrauchspuren des Lebens die Schönheit entdecken, das können die Gedichte von E.A. Richter.
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