„Achtung.
Er ist hinter uns. Dreh dich nicht um.“
Schnuppe
schreckte aus seinen Tagträumen auf. Er raffte es nicht gleich.
„Wer?“
„Alex.
Der Typ. Von dem ich dir erzählt habe.“
„Der
Erklärbär? Der Austens Romane nicht gelesen hat?“
Es
war sonderbar, dachte Schnuppe, was sich ihm eingeprägt hatte aus den
weitschweifigen Erzählungen Sternchens über diesen Alex. Dass der Jane Austens
Romane nicht gelesen hatte, war für Schnuppe entscheidend gewesen. Es beruhigte
ihn ungemein. Ein Mann, der nicht sagen konnte: ´In vain have I struggled. It will not do. My feelings will not
be repressed. You must allow me to tell you how ardently I admire and love
you.´, würde bei Sternchen niemals landen
können. Das hätte er, der liebende Bruder, dem gleich sagen können. Da konnte
der soviel guten Wein oder
gediegenen Witz auffahren, wie er wollte. Sternchen hatte ihre Standards und
die zu unterbieten, hätte der nur wagen können, wäre er Atomphysiker gewesen.
War er aber nicht, sondern ging Tag ein, Tag aus in ein austauschbares
Bürogebäude in Niederrad, um Kreditkarten zu verkaufen. Oder so was ähnliches,
Schnuppe musste zugeben, dass er Sternchen an dieser Stelle nicht genau genug
zugehört hatte. Irgendwas mit Marketing machte der, einen, wie Sternchen ihn
nachäffte „Nine-to-five-Job“, ein Ausdruck, den Schnuppe noch nie gehört hatte
und der ihm den, von allem anderen, von dem er sowieso nicht und niemals hätte
absehen können, noch mal besonders und ganz speziell unsympathisch machte.
Schnuppe
hatte, bevor Sternchen ihn mit „Achtung“ unterbrach, vor seinem inneren Auge
die Farben der Scheinwerfer ausprobiert, in deren Lichtkegel er die Tänzer zu
hüllen gedachte. Er hatte sich vorgenommen, den Kritikern eins in die Fresse zu
geben, indem er die „Minna“, die als nächstes auf dem Spielplan stand („Wir
müssen immer auch zweidrei Stücke aus dem Repertoire machen.“) und die er
ohnehin am meisten von Lessings Dramen liebte, als Nummernrevue aufzuführen. "In your face!“, dachte er und vor seinen Augen flimmerte es pink und türkis und
gelb.
Sternchen
sagt: „Vielleicht sollten wir aufsteigen und ihm einfach davon fahren.“
Schnuppe hob den Kopf und schob die Sonnenbrille über die Stirn, während er mit
der anderen Hand sein Fahrrad in der Balance hielt. Sternchen und er hatten
sich am ersten warmen Frühlingssonntag im Park getroffen und schoben nun ihre Räder
die überfüllten Gehwege entlang, weil toutes Frankfurt es ihnen gleichtat und
entweder hier im Grüneburgpark oder am Mainufer die Sonne genoss.
„Das
Recht, im Park zu flanieren, kannst du ihm nicht absprechen.“
„Nee“,
sagte Sternchen, „aber er ist mir gefolgt. Er lungert schon den ganzen Morgen
in dem Café rum, das meiner Wohnung gegenüber aufgemacht hat.“
„Warum
hast du nix gesagt? Ich hätte den...“
Schnuppe
wollte herumfahren, um sich diesen Einfaltspinsel mal zu greifen, aber
Sternchen hielt ihn am Ärmel fest.
„Gestern
Nacht hat er mich wieder angenervt.“
„Du
telefonierst noch mit dem?“
„Quatsch,
der spricht auf den Anrufbeantworter. Oder schickt Mails. Bei Facebook hab´ ich
ihn geblockt.“
„Und was
sagt er?“
„Dass ich
unterbelichtet bin. Was ihm leider gleich aufgefallen sei. Ein hübsches
Püppchen, dem die intellektuelle Reife fehle. Was es, das Püppchen, zu
vertuschen versucht, durch aufgeblasenes Gerede. Sagt er.“
Schnuppe
staunte nicht schlecht.
„Das ist
gut. Hast du dem die Intellektuelle vorgespielt? Echt? Du, die Körperkneterin.“
Sternchen
zog eine Schnute. Aber nur zum Spaß. Das Thema hatten sie durch. Oder gar nicht
erst angefangen damit. Sie hatte nie studieren wollen. An der Uni rumhängen und
über Sachen reden, das war nix für sie. Sternchen musste was machen, sich
bewegen, andere bewegen. Spüren, wie sie wirkte. Sie hätte in eine Schreinerlehre
gehen können. Aber dann war es was anderes geworden. Und genau richtig für sie.
Als Tänzer und Regisseur wusste Schnuppe die Körperbeherrschung, die sie
erlernt hatte, zu würdigen, denn er erkannte nicht nur die Arbeit, sondern auch
die Überwindung, die darin steckte. Als Bruder ahnte er, wie weit Sternchen über
sich hinaus gewachsen war, um zu dieser Ruhe zu finden, die sie in ihren Asanas
ausstrahlte. Und als Kranker hatte er von ihren therapeutischen Künsten schon
mehr als einmal profitiert.
Schnuppe
blieb stehen. Gerade wurde zu ihrer Linken eine Bank frei, weil zwei ältere
Damen sich erhoben, um Handtaschen schwenkend in Richtung Park-Café zu
trippeln.
„Wollen wir uns setzen?“
„Wollen wir uns setzen?“
Sternchen
kicherte.
„Damit du
ihn dir angucken kannst?“
Schnuppe
nickte und ließ sich auf die Bank fallen. Betont beiläufig schaute er sich um.
Welcher könnte dieser Alex sein? Er fasste einen jungen Kerl in Shorts und
Shirt ins Auge, der auf seinem Smartphone herumspielte. Zu jung, zu lange
Haare, zu grelles Stirnband, dachte er. Nicht dass Sternchen da nicht drauf
gestanden hätte. Der Altersabstand wäre o.k. gewesen. Auch Sternchen war noch
nicht mal dreißig, dachte Schnuppe. Das sollte er nicht vergessen. Aber die ganze Erscheinung
passte nicht zu den Erzählungen über diesen Alex, mit denen Sternchen ihm auf
die Nerven gegangen war. Außer dass der Typ mit dem Stirnband zweifellos
ebenfalls nicht Austen gelesen hatte. Oder? Schnuppe fixierte ihn. Ein Hauch
von Bartstoppeln. Bequeme Sandalen. Schon voll auf Sommer umgestellt. Etwas
Melancholie um die schmalen Lippen und den Ansatz einer Stirnfalte zwischen den
Brauen. Vielleicht doch. Ein Grübler?
Sternchen
beobachtete ihren Bruder amüsiert.
„Du fragst
dich, wer es ist?“
Schnuppes
Blick fiel auf einen Mann, der ihnen den Rücken zuwandte. Dunkler Anzug,
glänzende schwarze Schuhe, dichtes blondes Haar, gut geschnitten Er wippte
nervös auf und ab.
„Der?“
Schnuppe
machte eine Bewegung mit dem Kinn. Sternchen kicherte. Der Typ hob die Hand und
winkte einer Brünetten zu, die über die Rasenfläche auf ihn zu kam. Küsschen
links, Küsschen rechts. Der also nicht.
Es blieb
nur einer übrig und es hätte Schnuppe gleich klar sein müssen, dass der es war,
der Einzige, der sich versteckte, hinter einem Gebüsch herumlungerte und
einfach albern deplatziert wirkte in seiner für den warmen Tag viel zu
schweren, abgewetzten Lederjacke, die nicht cool wirken konnte in Kombination
mit den spießigen Halbschuhen, die er dazu trug und dem leichten Bauchansatz,
der sich über seinem Gürtel abzeichnete. Am schlimmsten war freilich die
Pilotenbrille, die das fliehende, kleine Kinn durch ihre Größe noch betonte.
„Was für
ein Kümmerling“, sagte Schnuppe.
Dann rief
er sich innerlich zur Ordnung. Er wusste, dass er nicht fair urteilen konnte.
Er sah auch gar nicht genug von dem Typen im Gestrüpp, um ihn wirklich einschätzen zu
können. Doch als Tänzer fielen ihm die herabfallenden Schultern und die
schlechte Haltung auf. Dieser Mann hatte wenig Körper- und Selbstbewusstsein.
Das passte aber gar nicht zu dem, was Sternchen erzählt hatte.
„Er teilt
mir ständig mit, wie armselig ich bin. Meine Arbeit – Scharlatanerie, um die
erbärmliche Erträglichkeitskultur aufrecht zu erhalten, durch die sich die
durchrationalisierten Idioten ihre eigene Unerträglichkeit sedieren.“
„Zitierst
du?“
Sternchen
lachte.
„Heb´ das auf. Die Mails, meine ich. Das kann
ich vielleicht noch mal verwenden.“
Sternchen
schüttelte den Kopf.
„Er macht
mir auch Angst. Diese Besessenheit. Er ist mindestens zehnmal täglich auf
meiner Seite. Oft mehr.“
„Deinem
Blog?“
Sternchen
nickte.
„Ich seh´s
an den Servern. Seine Firma hat einen eigenen. Daran erkenn ich den auf meinem
Zähler. Das kann nur der sein; die Zugriffe von dort.“
„Willst du
ihn anzeigen?“
„Das ist
ja nicht verboten. Und die Mails. Das ist auch nicht so krass. Er beleidigt
mich, aber nicht mit einschlägigen Schimpfworten. Das Übliche Männer-Getue
halt: Verniedlichung und Pathologisierung. Es ist mehr die Häufigkeit und die
Dauer, die mich beunruhigen.“
„Soll
ich...?“
„Vielleicht.
Aber nicht jetzt. Nicht heute. Nicht an so einem schönen Tag.“
Schnuppe
legte seinen Arm über die Rücklehne der Bank. Sternchen kuschelte ihren Kopf an
seine Schulter.Der Beobachter verzog sich aus dem Gebüsch. Schnuppe sah, wie er
um eine Biegung verschwand. Er atmete durch. Er sollte den im Auge behalten. Er
war schließlich der große Bruder. Aber er wusste auch, dass er aufpassen
musste. Trotzdem konnte er sich nicht zurückhalten und platzte mit der Frage
raus, die ihn umtrieb:
„Was
fandest du denn an dem? Wieso triffst du so einen Deppen? Und der sieht nicht
mal gut aus.“
Sternchen
hätte ihm antworten können. Er wusste es doch genauso gut wie sie. Warum sie
sich mit Männern traf, immer wieder. Warum sie manchmal sogar mit denen ins
Bett ging. (Nicht mit Alex.) Warum sie nie mit einem zusammen blieb. Schnuppe
wusste es, so wie sie es wusste. Aber daran rührten sie nicht.
„Ich
gefiel ihm. Sehr. Du weißt, wie anziehend ich das finde. Wenn einer mir den Hof
macht.“
Schnuppe
knuffte sie in die Schulter.
„Was für´n
altmodischer Ausdruck.“
Diese
Klippe war umschifft. Schnuppe hätte das gar nicht fragen dürfen. Warum zog nie
einer seiner Liebhaber bei ihm ein? Warum legte er sich auf One-Night-Stands
fest?
Sie
konnten nicht ohne einander, Sternchen und Schnuppe. Sie hatten es aber auch
nie versucht. Sie waren auch niemals zusammen in eine Wohnung gezogen, seit sie
die elterliche verlassen hatten. Aber immer zusammen umgezogen in die nächste
Stadt: von Marburg nach Köln, von Köln nach Dublin, von Dublin nach Frankfurt.
Aber keine gemeinsame Wohnung. Immer ein Anruf, bevor sie hochkam, weil sie ihn
nicht mit einem unter der Dusche antreffen wollte. Immer sein Signalläuten,
bevor er aufschloss, weil er sie nicht mit einem auf dem Sofa beim Knutschen
überraschen wollte.
Mit Sternchen, behauptete er, wenn er von seiner Schwester erzählte, kann ich über alles reden.
Mit Sternchen, behauptete er, wenn er von seiner Schwester erzählte, kann ich über alles reden.
Nur
Schnuppe und Sternchen selbst wussten, wie sehr das gelogen war.
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