Als
ich das Geschenk auspackte, muss ich ein verständnisloses Gesicht gemacht
haben. Der Titel, der auf dieser DVD aufgedruckt war, war auch gar zu idiotisch:
„Algebra in Love“.* Ich räusperte mich und dankte, dann aber ehrlicher für die
schrill-schicken Handtaschen aus dem Tassen-Museum in Amsterdam. Am frühen
Morgen bin ich auf Autopilot und so kam ich erst abends drauf, was ich da so
achtlos aus dem Geschenkpapier gewickelt und beiseite gelegt hatte. Den Film
nämlich, den ich lieber als jeden anderen gesehen hätte im vergangenen Jahr,
der aber nicht in die deutschen Kinos kam, jedenfalls in keines, das für mich
erreichbar gewesen wäre: „Damsels in Distress“ von Whit Stillman.
Whit
Stillmans Debüt-Film „Metropolitan“
(1990) hat seinen Platz auf der Liste meiner zehn allerliebsten Filme aller Zeiten sicher. Viele Dialog-Zeilen aus diesem Film
haben sich meinem Gedächtnis eingeprägt und erscheinen seither immer wieder,
oft unerwartet, als innere Untertitel zum real gelebten und zum fiktiv
erschriebenen Leben („Men are dates, date substitutes or potential dates. I find that
dehumanizing.“) - Da ist Tom Townsend, der junge, pseudo-Intellektuelle Fourierist, der
der entzückenden Audrey (beinahe) das Herz bricht, nicht nur aber auch, weil er
zwar Jane Austens Romane nie gelesen hat, sich aber sicher zu sein glaubt, dass
sich das kaum lohne: „You don't have to read a book to have an opinion.“ Und selbstverständlich der charmante, boshafte und so zauberhaft
traurige Nick: „Playing strip poker with
an exhibitionist somehow takes the challenge away.“ Dieser wunderbare Film
erzählt zärtlich und bitter ein paar Wochen rund um Weihnachten und Sylvester
im Leben einer Gruppe junger Menschen aus der Upper Class von New York, der
„Urban Haute Bourgeousie“, begleitet sie auf Debütantinnen-Bälle und zu
privaten Partys, zeigt Intrigen und Liebschaften, Hoffnung und Resignation und
jene tiefe Ernsthaftigkeit, mit der überall auf der Welt erfahrungslose junge
Menschen Orientierung suchen in strikten moralischen und stilistischen
Standards, an denen sie scheitern und doch – irgendwie – festhalten.
In Whit
Stillmans Drehbüchern, Romanen und Filmen treten keine Draufgänger oder Abenteuerinnen auf, sondern Menschen, die
sich verzweifelt, angestrengt, liebevoll, komisch, verrückt und
zartfühlend eine eigene Gestalt verleihen wollen durch Moral und Stil, durch
das Reden über so altmodische Dinge wie Tugend, Schönheit, Klasse. Es sind
Filme, die eine bessere Welt auf die Leinwand bringen, als jene, in der wir
leben, und allein, weil sie das ernsthaft und ohne ein augenzwinkerndes, ihre Figuren ironisierendes Angebot an die Zuschauerin tun, sind sie prekär, ausgesetzt,
anfällig (und fallen heraus, gleichermaßen aus dem Hollywood-Betrieb wie aus
der Indie-Szene). Nur ein bisschen billiger Sarkasmus oder ein wenig gehässig-kritische Ideologiekritik (oder so) können diese filmischen Seifenblasen, die Stillman so
sorgsam und fragil zur Erscheinung und zum Schimmern bringen, zerplatzen
lassen.
(Und so ist ein Whit Stillman-Film auf seine Weise für eine wie mich
auch ein Beziehungslackmus-Test: Einen Menschen, weiblich oder männlich, der
sich oder dem sich der Zauber dieser Filme entzieht, empfinde ich halt als
unerotisch.)
Im Zentrum
von „Damsels in Distress“ – dem ersten Film seit 12 Jahren, den Whit Stillmann
drehen konnte – steht Violet (gespielt von der großartigen Greta Gerwig), die
eine Clique junger Frauen am fiktiven College von Seven Oaks anführt. Violet
und ihre Zimmerkameradinnen passen während der Einführungsveranstaltung für
neue Studentinnen Lily (Analeigh Tipton) ab, um sie in ihren Kreis
aufzunehmen. Violet ist eine Nervensäge erster Güte; besserwisserisch, gekünstelt und übergriffig nimmt sie sich Lilys und ihrer
Garderobe an, verpasst ihr den „Preppy“-Stil der Gruppe und unterstellt ihr
Motive und Probleme, die Lily, die Jeans-Trägerin, gar nicht hat. Aber Violet
ist auch zartfühlend, selbstkritisch, empfindsam und bemüht, aus allen und
allem das Beste zu machen. Whitman führt uns Figuren vor, die anstrengend und
nervig, aber auch anrührend und liebenswert sind. Egal wie abstrus und
lächerlich sie und ihre Anliegen auf den ersten Blick erscheinen mögen, durch
die überreal klaren Farben, in denen uns diese Collegewelt mit ihren
zerfallenden Villen und antikisierenden Tempelchen, ihren Springbrunnen und
Stockbetten, ihrem sich in alle Rotorange-Töne verfärbendem New-England-Grün und ihrem kalten blauen Himmel
gezeigt wird, werden diese Figuren nicht verspottet, sondern mit einer
sonderbaren, märchenhaften Würde ausgestattet, wie ein jugendlich
unerfahrener und doch so weiser "Hans im Glück".
Violets
Truppe unterhält ein Suicide Prevention Center, wo frische Donuts und guter
Kaffee angeboten werden, wo Violet ihre Theorien an die Unglücklichen bringt,
dass es Modetänze sind, mit denen das depressive Gemüt aufgehellt und die
Verstimmung gleichsam weggetanzt werden kann. Doch Violet selbst wird leiden
und obwohl ihr Kummer durch die Untreue eines Dummkopfs ausgelöst wird, den sie
sich eben deshalb ausgesucht hat, weil sie es sich zur Aufgabe macht, wenig
attraktiven und intelligenten Männer beizustehen, ist ihr Leid ernst und
wahrhaftig. Sie liebt diesen Frank und wer Stillmans Film folgt und traut, der
fragt an dieser Stelle nicht mehr danach, warum. Violet findet aber schließlich, indem sie auf ganz traditionelle Weise davon geht, um sich umzubringen, einen schlichten Trost
in der duftenden Seife eines billigen Motels und kehrt zurück nach Seven Oaks, mehr als je
entschlossen, zu helfen und zu vergeben.
Diese
Geschichte ist so irre und sonderbar wie jede andere, die Stillman in „Damsels in Distress“ erzählt. Auf dem Grunde der Erzählung schlummert, Stillman wäre nicht Stillman, auch der Mythos von der unschuldigen Jungfrau und
deren Bedrohung durch das Ungeheuer. Doch wird die Geschichte diesmal nicht aus der Sicht des Retters erzählt, sondern aus der Perspektive der unschuldigen
„Damsels“, die mit ihren höchst eigenen zarten Waffen gegen die
Ungeheuerlichkeit einer zweckorientierten Welt ankämpfen, in
der eine die „Unschuld“ verliert, also die Fähigkeit sich selbst und das Glück
immer wieder neu zu erfinden. Denn freilich läuft als Subtext unter Whit
Stillmans „Damsels“ auch die Geschichte von P.G. Wodehouse "A damsel in distress" mit. Alles ist
immer auch ein Irrtum oder kann einer werden, keine und keiner muss sein, was
sie oder er zu sein vorgibt. Violet heißt eigentlich Emily Tweeter (wie das
Vögelchen) und am Ende tanzt sie mit Charlie (Adam Brody), der gelogen hat, dass sich die
Balken biegen, den Sambola und davon. Es gibt immer noch eine Geschichte
dahinter. Was lächerlich, albern, bescheuert wirkt, kann anrührend, verzweifelt
oder gutherzig sein: „He´s lying. I find that very attractive.“
„Damsels in Distress“ ist ein Film, der nicht aufschreit, angesichts des Unglücks, der
Herzlosigkeit, der Hässlichkeit und der Gehässigkeit, die das definieren, was
„Realismus“ heißt oder Realität in einer anderen Welt ist. Es ist ein Film, der
die Traurigkeit darüber, dass wir in keiner besseren Welt leben, aufhebt in
einem Tanz-, Sing- und Konverstationstück, das „very sophisticated“ ist,
distanziert und kontrolliert; die Tugend über die Form, die Haltung, den Stil
(er-)findend, die Hoffnung darein restaurierend, dass alles sich zum Guten
wenden kann durch ein wenig Mühe und Vergebung und Schönheit und Duft und Tanz
– eine Seifenblase, schwebend, leicht, zerstörbar.
„Das hätte
noch zwei Stunden oder mehr weiter gehen können, wenn es nach mir ginge.“,
sagte Morel bedauernd, als der Abspann des Films lief über die tanzenden Paare von
„Damsels in Distress“.
JA! Diesen Moment verlängern...
JA! Diesen Moment verlängern...
Whit
Stillman ist zurück. Wir haben ihn vermisst. Wir hoffen, dass es nicht wieder
12 Jahre dauern wird, bis wir seinen nächsten Film sehen können.
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* Es hätte allenfalls heißen können: „Algebra of love“, oder? Warum allerdings, wenn
der Titel ohnehin nicht „eingedeutscht“ wird, ließ man es nicht beim
Original-Titel? Versteh eine den DVD-Vertrieb.
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