Freitag, 10. Mai 2013

BELÄSTIGUNG (aus: STERNCHEN UND SCHNUPPE. Familienroman der Zukunft)


Als Schnuppe ihr sagte, sie solle das Licht runter dimmen, wusste Sternchen, dass auch er den Anruf erhalten hatte. Darüber würden sie reden müssen. Aber noch nicht, weil es so offensichtlich war, wie Schnuppe ihr auswich. Er hatte sie nicht ein einziges Mal angesehen, seit sie in die Küche gekommen war. Sie hatten zusammen Gemüse für den Wok geschnippelt, aber Schnuppe hatte es geschafft, Sternchens Augenpaar auszuweichen, als sie ihn gefragt hatte, ob sie die roten Paprika schneiden solle oder als sie den Kühlschrank geöffnet hatte, sich ein Bier rausgenommen und ihm auch eines gereicht oder als sie ihn gefragt hatte: „Reis- oder Eiernudeln?“ Jetzt saßen sie am Tisch, den großen Wok in der Mitte zwischen sich, im Dämmerlicht. Den Kopf hielt Schnuppe tief über den Teller gebeugt und hob ihn auch nicht, als er fragte:
„Neues von deinem Alex?“
„Das ist nicht mein Alex.“
„´tschuldigung. Ist der Spanner wieder aufgetaucht?“
„Was denkst du? So schnell kann er nicht aufgeben.“
„Total verschossen in dich, der arme alte Mann.“
Sternchen verzog den Mund.
„Der interessiert sich doch gar nicht für mich. Der ist gekränkt und will sich rächen. Es passt nicht in sein ambitioniertes Selbstbild, wenn eine kleine Yoga-Maus wie ich ihn zurückweist.“
Schnuppe lachte.
„Süße Yoga-Maus.“
„Er war im Studio.“
Schnuppe ließ die Gabel fallen.
„Das geht jetzt aber zu weit. Dass er dich bis zur Arbeit verfolgt.“
„Na ja, er hätte sich ja für einen Kurs anmelden können.“ Sternchen lachte. „Wenn er Yoga nicht so bekloppt fände, wie er nicht aufhören kann, mir per Mail mitzuteilen. Eine Agentin des kapitalistischen Programms zur Selbstoptimierung der gehirnamputierten Massen hat er mich genannt. Mit ein bisschen Verrenkung plus Esoterik die Ichschwächen ausnutzend, um den Kitsch als eine Parodie der Katharsis zu verbreiten. Oder so ähnlich. Das ist doch niedlich.“
„Dabei könnte es ihm gut tun. Ziemlich steif in den Hüften wirkte der auf mich. Und haltlos. Im Rückgrat.“
„Der Geist braucht keinen schönen Körper. Außer wenn es eine Frau ist, die man ficken will. Da soll der schöne Geist sich in schönen Kurven manifestieren.“
„Und dann stößt er auf so ein geistloses Geschöpf wie dich.“
Sternchen drohte Schnuppe mit der Gabel.
„Ich verbinde mich täglich mit der höheren Macht.“
Schnuppe schnaubte.
„Und was wollte er da bei euch?“
„Seinen Sermon noch mal und immer wieder an die Frau bringen. Es war aber Nicole, die ihn in Empfang genommen hat.“
Schnuppe war begeistert.
„Genau die Richtige.“
„Sie hat Mantras für ihn gesungen. Zur Beruhigung. Er ist beinahe durchgedreht. Das war ja alles genau, wie er es sich vorgestellt hat. Die Hirnlosigkeit. Der Eskapismus. Die Wischiwaschi-Freundlichkeit. Das Om.“
Schnuppe musste trotz seiner inneren Anspannung schallend lachend.
„Und dann?“
„Kam, was er nicht erwartet hatte. Kolja.“
Schnuppe schluckte. Er war am Anfang sehr verliebt in den gut aussehenden Riesen gewesen.
„Kolja stand in der Tür und sah ihn einfach nur an. Auf Kolja-Weise. So sanft, so kraftvoll. Der schrie weiter. Bis er merkte, dass er angeschaut wurde. Von oben bis unten. Von unten nach oben. Wie Kolja um den rum ging. So besorgt den Kopf schüttelte. Da war er still.“
„Wo warst du denn die ganze Zeit?“
„Im Übungsraum. Zu überhören war er ja nicht. Ich dachte, Nicole wird schon mit ihm fertig. Aber als er so plötzlich stumm wurde, ging ich raus.“
„Und?“
„Kolja stellte sich ganz dicht vor ihn und blickte ihm tief in die Augen, leckte sich die Lippen und legte ihm dann sacht die Hände auf die Schultern.“
„Sexual harrassment.“, murmelte Schnuppe.
„Ach, komm schon.“, Sternchen wollte sich die Story nicht verderben lassen. „Er sagte, nein, eher flüsterte Kolja: ´Du könntest ein ganz Süßer werden, wenn du ein bisschen mehr Haltung hättest. In meinem Kurs trainiere ich dir in 8 Wochen einen unübertroffenen Knackarsch an.“
Schnuppe verdrehte die Augen.
„Ich weiß. Ich weiß. Geht gar nicht. Kolja ist ein Arsch. Trotzdem war es befriedigend zu sehen, wie ein Arsch auf den anderen trifft. Und ehrlich gesagt: Meine Sympathien sind nicht ganz gerecht verteilt.“
„Kolja ist ein Macker-Typ und ein Drecksack, ganz egal, ob er schwul ist oder nicht.“
Längst hatte der schöne Kolja seine Anziehungskraft auf Schnuppe eingebüßt. Dazu hatte ein einziger Abend im Whiskey A-Go-Go genügt. Er war schön anzuschauen, aber sobald er den Mund aufmachte, kräuselten sich einem die Zehennägel.
„Da hat Alex das Weite gesucht, vermute ich. Dem schwitzt die Stock-Hetero-Orientierung doch aus allen Poren.“
Sternchen kicherte. „Aber hallo. Der war weg wie nix.“
„Wann war das?“
„Vorgestern. Er wartete dann noch vor dem Studio im Auto. Aber ich habe mich von Kolja heimfahren lassen und mich ziemlich euphorisch vor dem Haus von ihm verabschiedet. Seitdem hat er sich weder blicken lassen, noch etwas geschickt. Nur meinen Blog klickt er weiter an.“
Schnuppe schüttelte sich. „Du hast dich von Kolja anfassen lassen?“
„Der will doch nix von mir. Wie du ganz genau weißt. Das war nur für den Spanner.“
„Trotzdem: Eklig.“
„Vielleicht stelle ich noch ein Foto von Kolja auf meinen Blog. Um den endlich auch da los zu werden. Ich merk´, wie mich das stört, obwohl er ja gar nichts macht. Es stört mich einfach zu wissen, dass er sich immer noch an mich ranhängt.“
„Wenn du das machst, sind wir geschiedene Leute, Sternchen. Das geht gar nicht. Kolja.“
„Als Traummann?“ Sternchen gefielt die Idee. „Ich müsste ihn natürlich für ein Foto inszenieren. Sich vorbeugen lassen. In einem engen Hemd, so dass die Muskeln in den Oberarme  angedeutet werden. Die Arme verschränkt. Den Kopf etwas gesenkt.“
„Wie ein Bulle im Angriffmodus?“
„Nein, mehr ´brooding´. ´Brooding Darcy´.“
„Kolja? No way. Was soll denn da grübeln? Ein bisschen Hirnmasse ist schon nötig.“
„Du bist gemein. So schlimm ist er gar nicht. Auch wenn du dich in ihm getäuscht hast.“
„Ein Macker.“
„Ok. Ok. Meine Nachsicht hat bestimmt damit zu tun, dass mich sein Mackertum nicht trifft. Nicht betrifft. Dass ich nicht in sein Beuteschema falle. Wie du.“
Sternchen suchte Schnuppes Blick. Zum ersten Mal an diesem Abend wich er ihr nicht aus. Sie sahen sich lange an. Schweigend. Das vermiedene Gespräch, das sie mit dem Unsinn über den Spanner und den Macker zugedeckt hatte, trugen sie als Augenblick aus, hellwach, messerscharf, schmerzfrei. Oder sie bildeten sich wechselseitig ein, sie hätten sich in diesen Blicken verständigt. Sie waren sich so sicher. Oder sie hofften beide, es zu sein. Mehr noch fürchteten sie es. Schnuppe atmete tief durch.
„Sie hat dich also auch angerufen.“
„Ja.“
„Dass sie kommt. Nächste Woche.“
„Ja.“
„Und?“
„Wir werden sehen.“
Schnuppe nickte. Sie würden sehen. Sie hatten immer gesehen. Was die andere fühlte, was der andere dachte. Sie hatten nichts gesehen. Wie es weitergehen sollte. Was nötig war. Oder unmöglich. Sie waren ausgewichen. Einander. Der Mutter. Seit jenem furchtbaren Tag. Von dem an alles anders gewesen war und doch geblieben. Der Vater ausgezogen und nicht wiedergesehen. Die Mutter nach Mallorca abgehauen. Sternchen und Schnuppe, verwaist, aber immer beieinander. Einander so fern, so nah. „Ich komme am Dienstag. Um 18.30 Uhr am Terminal 1.“, hatte die am Telefon gesagt. „Wir müssen reden.“ Nach all den Jahren.

Sie wuschen das Geschirr ab. Das hatten sie nicht klären müssen, dass die Spülmaschine heute leer blieb. Sie schwiegen, arbeiteten Hand in Hand, ganz buchstäblich. „Ich muss jetzt gehen“, sagte Sternchen und stand unschlüssig herum, das Abtrockentuch noch in der Hand. Schnuppe räusperte sich. Er senkte sein Kinn in ihr Haar herab, nur einen winzigen Moment. „Geh“, flüsterte er. Sternchen ließ das Tuch fallen und rannte zur Tür. Wie auf der Flucht. Heftig trat sie in die Pedale, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Schnuppe schluchzte sich in den Schlaf.

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