Als
Schnuppe ihr sagte, sie solle das Licht runter dimmen, wusste Sternchen, dass
auch er den Anruf erhalten hatte. Darüber würden sie reden müssen. Aber noch nicht, weil es so offensichtlich war, wie Schnuppe ihr auswich. Er hatte sie
nicht ein einziges Mal angesehen, seit sie in die Küche gekommen war. Sie
hatten zusammen Gemüse für den Wok geschnippelt, aber Schnuppe hatte es
geschafft, Sternchens Augenpaar auszuweichen, als sie ihn gefragt hatte, ob sie die
roten Paprika schneiden solle oder als sie den Kühlschrank geöffnet hatte, sich ein
Bier rausgenommen und ihm auch eines gereicht oder als sie ihn gefragt hatte:
„Reis- oder Eiernudeln?“ Jetzt saßen sie am Tisch, den großen Wok in der Mitte
zwischen sich, im Dämmerlicht. Den Kopf hielt Schnuppe tief über den Teller
gebeugt und hob ihn auch nicht, als er fragte:
„Neues
von deinem Alex?“
„Das
ist nicht mein Alex.“
„´tschuldigung.
Ist der Spanner wieder aufgetaucht?“
„Was
denkst du? So schnell kann er nicht aufgeben.“
„Total
verschossen in dich, der arme alte Mann.“
Sternchen
verzog den Mund.
„Der
interessiert sich doch gar nicht für mich. Der ist gekränkt und will sich
rächen. Es passt nicht in sein ambitioniertes Selbstbild, wenn eine kleine
Yoga-Maus wie ich ihn zurückweist.“
Schnuppe
lachte.
„Süße
Yoga-Maus.“
„Er
war im Studio.“
Schnuppe
ließ die Gabel fallen.
„Das
geht jetzt aber zu weit. Dass er dich bis zur Arbeit verfolgt.“
„Na
ja, er hätte sich ja für einen Kurs anmelden können.“ Sternchen lachte. „Wenn
er Yoga nicht so bekloppt fände, wie er nicht aufhören kann, mir per Mail
mitzuteilen. Eine Agentin des kapitalistischen Programms zur Selbstoptimierung
der gehirnamputierten Massen hat er mich genannt. Mit ein bisschen Verrenkung
plus Esoterik die Ichschwächen ausnutzend, um den Kitsch als eine Parodie der
Katharsis zu verbreiten. Oder so ähnlich. Das ist doch niedlich.“
„Dabei
könnte es ihm gut tun. Ziemlich steif in den Hüften wirkte der auf mich. Und
haltlos. Im Rückgrat.“
„Der
Geist braucht keinen schönen Körper. Außer wenn es eine Frau ist, die man
ficken will. Da soll der schöne Geist sich in schönen Kurven manifestieren.“
„Und
dann stößt er auf so ein geistloses Geschöpf wie dich.“
Sternchen
drohte Schnuppe mit der Gabel.
„Ich
verbinde mich täglich mit der höheren Macht.“
Schnuppe
schnaubte.
„Und
was wollte er da bei euch?“
„Seinen
Sermon noch mal und immer wieder an die Frau bringen. Es war aber Nicole, die
ihn in Empfang genommen hat.“
Schnuppe
war begeistert.
„Genau
die Richtige.“
„Sie
hat Mantras für ihn gesungen. Zur Beruhigung. Er ist beinahe durchgedreht. Das war ja alles genau, wie er es sich vorgestellt hat. Die Hirnlosigkeit. Der
Eskapismus. Die Wischiwaschi-Freundlichkeit. Das Om.“
Schnuppe
musste trotz seiner inneren Anspannung schallend lachend.
„Und
dann?“
„Kam,
was er nicht erwartet hatte. Kolja.“
Schnuppe
schluckte. Er war am Anfang sehr verliebt in den gut aussehenden Riesen gewesen.
„Kolja
stand in der Tür und sah ihn einfach nur an. Auf Kolja-Weise. So sanft, so
kraftvoll. Der schrie weiter. Bis er merkte, dass er angeschaut wurde. Von oben
bis unten. Von unten nach oben. Wie Kolja um den rum ging. So besorgt den Kopf
schüttelte. Da war er still.“
„Wo
warst du denn die ganze Zeit?“
„Im
Übungsraum. Zu überhören war er ja nicht. Ich dachte, Nicole wird schon
mit ihm fertig. Aber als er so plötzlich stumm wurde, ging ich raus.“
„Und?“
„Kolja
stellte sich ganz dicht vor ihn und blickte ihm tief in die Augen, leckte sich
die Lippen und legte ihm dann sacht die Hände auf die Schultern.“
„Sexual
harrassment.“, murmelte Schnuppe.
„Ach,
komm schon.“, Sternchen wollte sich die Story nicht verderben lassen. „Er
sagte, nein, eher flüsterte Kolja: ´Du könntest ein ganz Süßer werden, wenn du
ein bisschen mehr Haltung hättest. In meinem Kurs trainiere ich dir in 8 Wochen
einen unübertroffenen Knackarsch an.“
Schnuppe
verdrehte die Augen.
„Ich
weiß. Ich weiß. Geht gar nicht. Kolja ist ein Arsch. Trotzdem war es
befriedigend zu sehen, wie ein Arsch auf den anderen trifft. Und ehrlich
gesagt: Meine Sympathien sind nicht ganz gerecht verteilt.“
„Kolja
ist ein Macker-Typ und ein Drecksack, ganz egal, ob er schwul ist oder nicht.“
Längst
hatte der schöne Kolja seine Anziehungskraft auf Schnuppe eingebüßt. Dazu hatte
ein einziger Abend im Whiskey A-Go-Go genügt.
Er war schön anzuschauen, aber sobald er den Mund aufmachte, kräuselten sich
einem die Zehennägel.
„Da
hat Alex das Weite gesucht, vermute ich. Dem schwitzt die
Stock-Hetero-Orientierung doch aus allen Poren.“
Sternchen
kicherte. „Aber hallo. Der war weg wie nix.“
„Wann
war das?“
„Vorgestern.
Er wartete dann noch vor dem Studio im Auto. Aber ich habe mich von Kolja
heimfahren lassen und mich ziemlich euphorisch vor dem Haus von ihm
verabschiedet. Seitdem hat er sich weder blicken lassen, noch etwas geschickt.
Nur meinen Blog klickt er weiter an.“
Schnuppe
schüttelte sich. „Du hast dich von Kolja anfassen lassen?“
„Der
will doch nix von mir. Wie du ganz genau weißt. Das war nur für den Spanner.“
„Trotzdem:
Eklig.“
„Vielleicht
stelle ich noch ein Foto von Kolja auf meinen Blog. Um den endlich auch da los
zu werden. Ich merk´, wie mich das stört, obwohl er ja gar nichts macht. Es
stört mich einfach zu wissen, dass er sich immer noch an mich ranhängt.“
„Wenn
du das machst, sind wir geschiedene Leute, Sternchen. Das geht gar nicht.
Kolja.“
„Als
Traummann?“ Sternchen gefielt die Idee. „Ich müsste ihn natürlich für ein Foto
inszenieren. Sich vorbeugen lassen. In einem engen Hemd, so dass die Muskeln in
den Oberarme angedeutet werden.
Die Arme verschränkt. Den Kopf etwas gesenkt.“
„Wie
ein Bulle im Angriffmodus?“
„Nein,
mehr ´brooding´. ´Brooding Darcy´.“
„Kolja?
No way. Was soll denn da grübeln? Ein bisschen Hirnmasse ist schon nötig.“
„Du
bist gemein. So schlimm ist er gar nicht. Auch wenn du dich in ihm getäuscht
hast.“
„Ein
Macker.“
„Ok.
Ok. Meine Nachsicht hat bestimmt damit zu tun, dass mich sein Mackertum nicht
trifft. Nicht betrifft. Dass ich nicht in sein Beuteschema falle. Wie du.“
Sternchen
suchte Schnuppes Blick. Zum ersten Mal an diesem Abend wich er ihr nicht aus.
Sie sahen sich lange an. Schweigend. Das vermiedene Gespräch, das sie mit dem
Unsinn über den Spanner und den Macker zugedeckt hatte, trugen sie als
Augenblick aus, hellwach, messerscharf, schmerzfrei. Oder sie bildeten sich
wechselseitig ein, sie hätten sich in diesen Blicken verständigt. Sie waren
sich so sicher. Oder sie hofften beide, es zu sein. Mehr noch fürchteten sie
es. Schnuppe atmete tief durch.
„Sie
hat dich also auch angerufen.“
„Ja.“
„Dass
sie kommt. Nächste Woche.“
„Ja.“
„Und?“
„Wir
werden sehen.“
Schnuppe
nickte. Sie würden sehen. Sie hatten immer gesehen. Was die andere fühlte, was
der andere dachte. Sie hatten nichts gesehen. Wie es weitergehen sollte. Was
nötig war. Oder unmöglich. Sie waren ausgewichen. Einander. Der Mutter. Seit
jenem furchtbaren Tag. Von dem an alles anders gewesen war und doch geblieben. Der Vater ausgezogen und nicht wiedergesehen. Die Mutter nach
Mallorca abgehauen. Sternchen und Schnuppe, verwaist, aber immer beieinander.
Einander so fern, so nah. „Ich komme am Dienstag. Um 18.30 Uhr am Terminal 1.“,
hatte die am Telefon gesagt. „Wir müssen reden.“ Nach all den Jahren.
Sie
wuschen das Geschirr ab. Das hatten sie nicht klären müssen, dass die
Spülmaschine heute leer blieb. Sie schwiegen, arbeiteten Hand in Hand, ganz
buchstäblich. „Ich muss jetzt gehen“, sagte Sternchen und stand unschlüssig herum,
das Abtrockentuch noch in der Hand. Schnuppe räusperte sich. Er senkte sein
Kinn in ihr Haar herab, nur einen winzigen Moment. „Geh“, flüsterte er.
Sternchen ließ das Tuch fallen und rannte zur Tür. Wie auf der Flucht. Heftig
trat sie in die Pedale, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Schnuppe
schluchzte sich in den Schlaf.
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