Fortsetzung der Reihe zum Gesamtwerk Barbara Pyms. 1. Teil: BLESSED
Nachdem „An Unsuitbable Attachement“ 1963 vom Verleger abgelehnt worden war, schrieb Barbara Pym jahrelang für die Schublade. 1972 hatte sie einen
weiteren Roman („An Academic Question“) abgeschlossen, der schließlich erst 1986 veröffentlicht werden konnte. Erst nach
ihrem Tod und der Renaissance ihres Werkes in Großbritannien wurden noch zwei weitere
Frühwerke veröffentlicht „Crampton Hodnet“ (um 1940 geschrieben) und „Civil to Strangers“ (von 1936). Diese Werke
„aus der Schublade“ unterscheiden sich weniger von den sechs Romanen, die
vor 1963 veröffentlicht wurden, als von den drei Romanen, die als ihr Alterswerk
gelten: „Quartet in Autumn“ (1977), „The Sweet Dove Died“ (1978) und „A Few
Green Leaves“ (1980).
„Civil to Strangers“, den ältesten dieser Romane, die erst posthum veröffentlicht wurden, behielt Barbara
Pym in der Schublade, auch als sie schon wieder „gefragt“ war. Als Roman
erscheint diese Erzählung unfertig. Manche Figur bleibt skizzenhaft entworfen,
mancher fehlt die Tiefenschärfe, die Pyms Figuren ansonsten so anrührend,
absurd und liebenswert zugleich macht. Stattdessen wird in diesem Ehe-Roman die
pymeske Komik auf die Spitze getrieben. Erzählt wird von
Cassandra, der klugen Ehefrau eines egoistischen und humorlosen Autors, der
sich sein Künstlerleben auf dem Lande mithilfe ihrer Mitgift finanziert und sich
seine hypochondrischen Ausfälle wegen ihrer Fürsorge leisten kann. Seine
lyrischen Werke finden keine zahlenden Leserinnen, aber in seiner ergebenen
Gattin stets eine treue, wenn auch innerlich verständnislose Bewunderin. In
diese ein wenig absurde Idylle „of wifely
submission“ in der englischen Provinz bringt die Ankunft eines ungarischen
Geschäftsmannes Unruhe, der sich leidenschaftlich in Cassandra verliebt und
keinerlei moralische Hemmungen hat, heftig um die Ehefrau seines Nachbarn zu
werben. Cassandra, die Adam zwar liebt, aber seine Selbstbezogenheit und seine
arrogante Dummheit dennoch vollständig durchschaut, ist einem kleinen Flirt
nicht abgeneigt, auch um den Egozentriker ein wenig eifersüchtig zu machen. Das
gelingt: Adam folgt Cassandra, die allein zu einer Reise auf den Kontinent,
nach Budapest, aufgebrochen ist und das Paar verbringt eine Woche in einem
fremdartigen, Vorkriegs-Ungarn. Pym lässt die Ehekrise in einem fragwürdigen
Happy End münden: „They walked up the
path arm in arm. ´I´ll start writing my novel about Budapest´, said Adam suddenly,
´and by the time little Adam is born the novel will be finished and he shall
have it as a birthday present. That will be nice, won´t it?´ ´Very nice´, said
Cassandra guardedly. She was thinking that it would be safe to bet that little
Adam – it was to be a little Adam of course – would win the race by months, or
even years, but she did not want to damp her husbands enthusiasm.“ Das
liest sich flüssig und lustig, fällt aber insgesamt gegenüber Barbara Pyms
anderen Romanen ab, deren Figuren weniger sarkastisch gezeichnet und weniger
eindimensional ausgestattet sind als Adam und Cassandra.
In der Ebook-Ausgabe
findet sich neben „Civil to Strangers“ noch das Fragment eines „finnischen
Romans“ (betitelt: „Gervase and Fanny“), mit dem ich wenig anfangen konnte,
aber auch „Home Front Novel“, ein
unvollendet gebliebener Roman (195 Seiten), der 1939 geschrieben wurde und die
englische „Heimatfront“ auf dem Lande während des Krieges beschreibt. Den
Einbruch der „Welt da draußen“ in eine traditionelle, ländliche Gemeinde, die
Vorkehrungen für die Aufnahme von Flüchtlingen aus London, die kleinen
Gemeinheiten der Bewohner untereinander, Selbstlosigkeit und Eigensinn, die
Versuche, sich solidarisch zu zeigen und das Leiden unter dem Verlust der
Privatsphäre, die Chance des Neuanfangs durch das Aufbrechen alter Gewohnheiten
und Hierarchien und den Verlust alter Sicherheiten, die Angst der jungen
Soldaten vor der Front und die Hilflosigkeit der jungen Frauen demgegenüber werden
von Barbary Pym mit dem von ihr gewohnten präzisen Blick für komische
Formulierungen und ulkige Situationen, für krasse Perspektivwechsel und
groteske Missverständnisse dargestellt. Um 1970 spielte sie mit dem Gedanken,
diesen Roman noch einmal aus der Schublade zu nehmen, um ihn zu vollenden, war
dann aber zu beschäftigt mit „The Sweet Dove Died“. Schade. „It is
tantalizing“, schreibt Helen Holt,
die Herausgeberin „to think what she might have made of it if she had worked
over the carefully observed wartime detail (supplement by very full diary
entries for the period) at the height of her mature powers as a novelist.“ In
der Tat. Ein weiteres Roman-Fragment („A Spy Story“) und einige Short Stories
zeigen, worin Barbara Pyms Stärke nicht lag: In der Entwicklung einer
stringenten Spannungskurve oder in der Konzentration auf eine einzige,
bestimmte Situation wie es Agententhriller beziehungsweise Kurzgeschichte
verlangen.
„Crampton Hodnet“, der Roman, der 1940
geschrieben, aber erst 1985 veröffentlicht wurde, ist das komischste Werk
Barbara Pyms. In diesem Roman
tauchen Miss Doggett und Jessie Morrow erstmals auf, die in „Jane und Prudence“
wieder eine wichtige Rolle spielen. Während Barbara Pyms andere Werke die
Leserin öfter einmal lächeln lassen, bringt „Crampton Hodnet“ sie zum lauten
Lachen. Crampton Hodnet ist ein – auch im Romangeschehen selbst – fiktiver Ort
nahe Oxford, der als Alibi dienen muss, um einen gemeinsamen Ausflug der
Gesellschafterin Jessie und des Kuraten Mr. Latimer vor der grimmigen Miss
Dogget zu verheimlichen, von der beide – als Mieter beziehungsweise
Arbeitnehmerin – unterschiedlich stark abhängig sind. Im Laufe des Romans wird
„Crampton Hodnet“ zur Metapher für allerlei kleine und größere
Lügengeschichten, die die Figuren einander erzählen, um Peinlichkeiten zu
vermeiden und sich zugleich immer tiefer in sie zu verstricken. Der Roman hat
keine zentrale Figur, deren Geschichte er erzählt, sondern verbindet eine
Vielzahl von Erzählsträngen und Figuren miteinander, die sich in Nordoxford
immer wieder zu Teegesellschaften treffen. Einer der Handlungsstränge erzählt
von der Affäre des Literaturprofessors Cleveland mit der jungen Studentin
Barbara Bird. Beider „Liebe“ zueinander wird als reine Suggestion und
Projektion erkennbar. Für die junge Studentin ist das gemeinsame Lesen von
poetischen Werken der angestrebte emotionale Höhepunkt, sie imaginiert sich als
Seelenfreundin des umschwärmten Literaturkenners, während er sich als
erfahrenen Liebhaber vorstellt, der die Leidenschaft der schönen jungen Frau
erwecken kann: „It made him feel fine and important, a swelling ranting Don
Juan with a dark double life, instead of a middle aged Fellow of Randolph,
ignored or treated with contempt by his wife and daughter.“ Eine geplante
„romantische“ Flucht des heimlichen Paares mit den Auto nach Dover und über den
Kanal in die Stadt der Liebe, nach Paris, endet in einem spießigen, schäbigen
Hotel in der Hafenstadt, wo sie beide unabhängig voneinander nur noch eins
wollen: einander wieder loswerden. Beide dichten sich die Flucht vor einander,
zu der die Flucht aus Ehe und Konvention sehr schnell geworden ist, mit schönen
Worten zurecht: „She should have quoted Christina Rosetti in her note to
Francis, she thought regretfully: ´Better by far you should forget and smile/
Than you should remember and be sad.“, überlegt sie, bevor sie aus dem Hotel
schleicht, ohne sich zu verabschieden und er schläft erleichtert ein, als er
feststellt, dass sie gegangen ist, „melancholiy now but not unhappy.“
Auch
„An unsuitable Attachement“ greift
dieses Konzept noch einmal auf. Wieder werden viele Handlungsstränge
miteinander verwoben und die Perspektive immer wieder gewechselt. „They are
watching me thought Rupert Stonebird, as he saw the two women walking rather
too slowly down the road. But no doubt, I am watching them too, he decided, for
as an anthropologist he knew that man and women may observe each other warily
as wild animals hidden in the grass.“ Die Leserin wird von Rupert Stonebirds
Fenster aus oder an seiner Seite bei Teapartys die Bewohner dieses wenig
schicken Londoner Stadtteils beobachten, aber sie wird auch Rupert Stonebird
beobachten, der sich hier als Junggeselle ein Haus gekauft hat und das
Interesse der Schwestern unverheirateter Frauen findet, die ein wenig kuppeln
wollen. Sie, die Leserin, wird sich Gedanken machen über Ianthe, eine alternde
Bibliothekarin, die ihre Unabhängigkeit genießt, aber dennoch als Konkurrentin
um die Gunst der „suitable“ Männer angesehen wird, aber sie wird auch mit
Ianthe überrascht auf die unerwarteten Avancen eines jüngeren, mittellosen
Kollegen reagieren. Sie wird nie dabei sein, wenn „das Entscheidende“
geschieht, die Lebensweichen gestellt werden, sondern immer nur wie eine
neugierige Nachbarin „im Nachhinein“ davon erfahren. Noch einmal zeigt Barbara
Pym die Komik und Verzweiflung des alltäglichen Lebens, die Fremdheit zwischen
einander doch liebenden Ehepartnern, Idiosynkrasien wie Sophias, die sich ihrer
herrischen Katze Faustina unterwirft. All das ist komisch und traurig zugleich,
eine Welt der Regeln und Reglements, der Urteile und Vorurteile, in der dennoch
genügend Platz ist und gelassen wird, ein wenig „ver- rückt“ zu sein. Ianthe
wird sich anders entscheiden als sie vielleicht von sich selbst angenommen hat
und im ganz Kleinen ein ganz großes Abenteuer erleben.
Als Barbara Pym der Schlag der Ablehnung von „An Unsuitable Attachement“ traf, hatte sie
einen weiteren Roman gerade fertig geschrieben: „An Academic Question“, der erst 1986 veröffentlicht wurde. Das
Personal dieses Romans ist in der modernen Mittelstandswelt der Nachkriegszeit
endgültig angekommen. Die Unsicherheiten haben zugenommen, die letzten
Konventionen und Selbstverständlichkeiten einer entmachteten Gentry, die in
diesem Roman durch Mutter und Sohn, die aus den Kolonien zurückkehren,
vorgeführt wird, verschwinden. Die Formen, allerdings, werden nach wie vor
gewahrt, auch wenn nichts mehr dahinter steckt. Die „akademische Frage“, vor
die die junge Ehefrau eines aufstrebenden Dozenten gestellt ist, lautet
einerseits, wie viel Intriganz und Betrug erlaubt und geboten sind, um ein vom Eheman für seine Forschungsarbeit begehrtes Dokument von einem dementen Alten zu erschleichen, und andererseits, ob besagtem Ehemann der
außereheliche Geschlechtsverkehr zu verzeihen ist. Es sind nur noch hohle Phrasen,
die ausgetauscht werden, dummes Geschwätz angereichert mit akademischem
Vokabular, aber dahinter stecken dennoch echte Zuneigung und
Verantwortungsgefühl. Die „akademischen Fragen“, die der Roman stellt, werden daher
auf - für den kontinentalen Ethiker - schockierend unmoralische,
aber britisch-pragmatische Weise gelöst. „An Academic question“ ist eine
„comedy of manners“, ein Sujet, das die deutschsprachige Romanliteratur im
Grunde nicht kennt, weil gutes Benehmen hierzulande vor allem mit Verstellung
identifiziert und das Rollenspiel
als Identitätsproblem aufgefasst wird statt als soziale Notwendigkeit.
„An Academic Question“
hätte – wie die anderen Romane „aus der Schubalde“ – sicher noch ein wenig
Politur der Autorin vertragen, die Figuren und Dialoge sind weniger
ausgearbeitet, die Handlungsstränge weniger gründlich verwoben
als diejenigen der Romane, die Barbara Pym selbst zur Veröffentlichung vorbereitet
hat.
Für Leserinnen sind
jedoch gerade diese Werke auf ihre Weise interessant, weil sie offenbaren, wie
Barbara Pym Romane geschrieben hat und worin deren Geheimnis besteht. Barbara
Pyms fiktive Welten und Figuren zeichnen sich nicht durch genau
(re-)konstruierte Lebensläufe, Ortschaften oder Erzählgebäude aus, sondern
durch präzise beobachte Charakterstudien, Mileus und Gesprächskulturen. In
gewisser Weise entwerfen sie ein Gegenmodell zur Schreibweise einer anderen
Lieblingsautorin von mir, zu Alice Munros Erzählungen, die genau durchkonstruiert sind und sich auf bestimmte Konstellationen konzentrieren. Dagegen sind Barbara Pyms Erzählstränge „zerstreut“ wie die
Figuren, von denen sie erzählt. Es gibt in diesen Welten nichts mehr, worauf sich
eine konzentrieren könnte. Beinahe alles ist (wechselseitige) Suggestion und Projektion, beliebig, austauschbar, zum Verwechseln. Statt auf die Objekte der Begierde kommt es auf die Haltung an. Die Täuschungen und Selbsttäuschungen werden
jedoch nicht denunziert, sondern anerkannt in ihrer Notwendigkeit und immer wieder neu austariert in Konversationen, denn Pyms Figuren sind immer eingebunden in soziale
Beziehungen. Ihre Romane sind modern, weil sie von einer Welt erzählen, die
ohne inneres Zentrum, ohne Gewissheit und in gewisser Weise ohne Glauben
auskommen muss, aber dies nicht, indem sie die Entwurzelung an einer großstädtische Künstlerbohéme und deren asozialen Verhaltensweisen vorführt,
sondern deren Wirkung auf konservative und beharrliche Menschen, die sich in
Kirchengemeinden zusammenfinden, bei Teapartys langweilen und versuchen „das Beste“
daraus zu machen, indem sie sich auch gegen ihren eigenen Hang zur Isolation zur Soziabilität zwingen, lächerlich bisweilen, kurios,
eigensinnig, freiheitsliebend trotzdem :
passend unpassend – „An Unsuitable Attachment“.
In ihren letzten drei
Meisterwerken („Quartet in Autumn“, „The Sweet Dove Died“ und „A Few Green
Leaves“ ), dem Alterswerk, das ihr noch zu Lebzeiten, spät, aber nicht zu spät,
den verdienten Ruhm brachte, hat sie diese Erzählweise perfektioniert und die Komik
der frühen Werke um eine resignative, aber nie verbitterte Melancholie
bereichert. Davon beim nächsten Mal mehr!
(Dies ist zugleich mein Beitrag zur Barbara Pym Reading Week. Ein weiterer zu den letzten drei Romanen wird - wie angekündigt - folgen.)
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