Sonntag, 2. Juni 2013

ROMANE AUS DER SCHUBLADE. Barbara Pym lesen (2)


Fortsetzung der Reihe zum Gesamtwerk Barbara Pyms. 1. Teil: BLESSED

Nachdem An Unsuitbable Attachement 1963 vom Verleger abgelehnt worden war, schrieb Barbara Pym jahrelang für die Schublade. 1972 hatte sie einen weiteren Roman („An Academic Question“) abgeschlossen, der schließlich erst 1986 veröffentlicht werden konnte. Erst nach ihrem Tod und der Renaissance ihres Werkes in Großbritannien wurden noch zwei weitere Frühwerke veröffentlicht „Crampton Hodnet“ (um 1940 geschrieben) und „Civil to Strangers“ (von 1936). Diese Werke „aus der Schublade“ unterscheiden sich weniger von den sechs Romanen, die vor 1963 veröffentlicht wurden, als von den drei Romanen, die als ihr Alterswerk gelten: „Quartet in Autumn“ (1977), „The Sweet Dove Died“ (1978) und „A Few Green Leaves“ (1980). 

Civil to Strangers“, den ältesten dieser Romane, die erst posthum veröffentlicht wurden, behielt Barbara Pym in der Schublade, auch als sie schon wieder „gefragt“ war. Als Roman erscheint diese Erzählung unfertig. Manche Figur bleibt skizzenhaft entworfen, mancher fehlt die Tiefenschärfe, die Pyms Figuren ansonsten so anrührend, absurd und liebenswert zugleich macht. Stattdessen wird in diesem Ehe-Roman die pymeske Komik auf die Spitze getrieben. Erzählt wird von Cassandra, der klugen Ehefrau eines egoistischen und humorlosen Autors, der sich sein Künstlerleben auf dem Lande mithilfe ihrer Mitgift finanziert und sich seine hypochondrischen Ausfälle wegen ihrer Fürsorge leisten kann. Seine lyrischen Werke finden keine zahlenden Leserinnen, aber in seiner ergebenen Gattin stets eine treue, wenn auch innerlich verständnislose Bewunderin. In diese ein wenig absurde Idylle „of wifely submission“ in der englischen Provinz bringt die Ankunft eines ungarischen Geschäftsmannes Unruhe, der sich leidenschaftlich in Cassandra verliebt und keinerlei moralische Hemmungen hat, heftig um die Ehefrau seines Nachbarn zu werben. Cassandra, die Adam zwar liebt, aber seine Selbstbezogenheit und seine arrogante Dummheit dennoch vollständig durchschaut, ist einem kleinen Flirt nicht abgeneigt, auch um den Egozentriker ein wenig eifersüchtig zu machen. Das gelingt: Adam folgt Cassandra, die allein zu einer Reise auf den Kontinent, nach Budapest, aufgebrochen ist und das Paar verbringt eine Woche in einem fremdartigen, Vorkriegs-Ungarn. Pym lässt die Ehekrise in einem fragwürdigen Happy End münden: „They walked up the path arm in arm. ´I´ll start writing my novel about Budapest´, said Adam suddenly, ´and by the time little Adam is born the novel will be finished and he shall have it as a birthday present. That will be nice, won´t it?´ ´Very nice´, said Cassandra guardedly. She was thinking that it would be safe to bet that little Adam – it was to be a little Adam of course – would win the race by months, or even years, but she did not want to damp her husbands enthusiasm.“ Das liest sich flüssig und lustig, fällt aber insgesamt gegenüber Barbara Pyms anderen Romanen ab, deren Figuren weniger sarkastisch gezeichnet und weniger eindimensional ausgestattet sind als Adam und Cassandra.

In der Ebook-Ausgabe findet sich neben „Civil to Strangers“ noch das Fragment eines „finnischen Romans“ (betitelt: „Gervase and Fanny“), mit dem ich wenig anfangen konnte, aber auch „Home Front Novel“, ein unvollendet gebliebener Roman (195 Seiten), der 1939 geschrieben wurde und die englische „Heimatfront“ auf dem Lande während des Krieges beschreibt. Den Einbruch der „Welt da draußen“ in eine traditionelle, ländliche Gemeinde, die Vorkehrungen für die Aufnahme von Flüchtlingen aus London, die kleinen Gemeinheiten der Bewohner untereinander, Selbstlosigkeit und Eigensinn, die Versuche, sich solidarisch zu zeigen und das Leiden unter dem Verlust der Privatsphäre, die Chance des Neuanfangs durch das Aufbrechen alter Gewohnheiten und Hierarchien und den Verlust alter Sicherheiten, die Angst der jungen Soldaten vor der Front und die Hilflosigkeit der jungen Frauen demgegenüber werden von Barbary Pym mit dem von ihr gewohnten präzisen Blick für komische Formulierungen und ulkige Situationen, für krasse Perspektivwechsel und groteske Missverständnisse dargestellt. Um 1970 spielte sie mit dem Gedanken, diesen Roman noch einmal aus der Schublade zu nehmen, um ihn zu vollenden, war dann aber zu beschäftigt mit „The Sweet Dove Died“. Schade. „It is tantalizing“, schreibt  Helen Holt, die Herausgeberin „to think what she might have made of it if she had worked over the carefully observed wartime detail (supplement by very full diary entries for the period) at the height of her mature powers as a novelist.“ In der Tat. Ein weiteres Roman-Fragment („A Spy Story“) und einige Short Stories zeigen, worin Barbara Pyms Stärke nicht lag: In der Entwicklung einer stringenten Spannungskurve oder in der Konzentration auf eine einzige, bestimmte Situation wie es Agententhriller beziehungsweise Kurzgeschichte verlangen.

Crampton Hodnet“, der Roman, der 1940 geschrieben, aber erst 1985 veröffentlicht wurde, ist das komischste Werk Barbara Pyms.  In diesem Roman tauchen Miss Doggett und Jessie Morrow erstmals auf, die in „Jane und Prudence“ wieder eine wichtige Rolle spielen. Während Barbara Pyms andere Werke die Leserin öfter einmal lächeln lassen, bringt „Crampton Hodnet“ sie zum lauten Lachen. Crampton Hodnet ist ein – auch im Romangeschehen selbst – fiktiver Ort nahe Oxford, der als Alibi dienen muss, um einen gemeinsamen Ausflug der Gesellschafterin Jessie und des Kuraten Mr. Latimer vor der grimmigen Miss Dogget zu verheimlichen, von der beide – als Mieter beziehungsweise Arbeitnehmerin – unterschiedlich stark abhängig sind. Im Laufe des Romans wird „Crampton Hodnet“ zur Metapher für allerlei kleine und größere Lügengeschichten, die die Figuren einander erzählen, um Peinlichkeiten zu vermeiden und sich zugleich immer tiefer in sie zu verstricken. Der Roman hat keine zentrale Figur, deren Geschichte er erzählt, sondern verbindet eine Vielzahl von Erzählsträngen und Figuren miteinander, die sich in Nordoxford immer wieder zu Teegesellschaften treffen. Einer der Handlungsstränge erzählt von der Affäre des Literaturprofessors Cleveland mit der jungen Studentin Barbara Bird. Beider „Liebe“ zueinander wird als reine Suggestion und Projektion erkennbar. Für die junge Studentin ist das gemeinsame Lesen von poetischen Werken der angestrebte emotionale Höhepunkt, sie imaginiert sich als Seelenfreundin des umschwärmten Literaturkenners, während er sich als erfahrenen Liebhaber vorstellt, der die Leidenschaft der schönen jungen Frau erwecken kann: „It made him feel fine and important, a swelling ranting Don Juan with a dark double life, instead of a middle aged Fellow of Randolph, ignored or treated with contempt by his wife and daughter.“ Eine geplante „romantische“ Flucht des heimlichen Paares mit den Auto nach Dover und über den Kanal in die Stadt der Liebe, nach Paris, endet in einem spießigen, schäbigen Hotel in der Hafenstadt, wo sie beide unabhängig voneinander nur noch eins wollen: einander wieder loswerden. Beide dichten sich die Flucht vor einander, zu der die Flucht aus Ehe und Konvention sehr schnell geworden ist, mit schönen Worten zurecht: „She should have quoted Christina Rosetti in her note to Francis, she thought regretfully: ´Better by far you should forget and smile/ Than you should remember and be sad.“, überlegt sie, bevor sie aus dem Hotel schleicht, ohne sich zu verabschieden und er schläft erleichtert ein, als er feststellt, dass sie gegangen ist, „melancholiy now but not unhappy.“

Auch „An unsuitable Attachement“ greift dieses Konzept noch einmal auf. Wieder werden viele Handlungsstränge miteinander verwoben und die Perspektive immer wieder gewechselt. „They are watching me thought Rupert Stonebird, as he saw the two women walking rather too slowly down the road. But no doubt, I am watching them too, he decided, for as an anthropologist he knew that man and women may observe each other warily as wild animals hidden in the grass.“ Die Leserin wird von Rupert Stonebirds Fenster aus oder an seiner Seite bei Teapartys die Bewohner dieses wenig schicken Londoner Stadtteils beobachten, aber sie wird auch Rupert Stonebird beobachten, der sich hier als Junggeselle ein Haus gekauft hat und das Interesse der Schwestern unverheirateter Frauen findet, die ein wenig kuppeln wollen. Sie, die Leserin, wird sich Gedanken machen über Ianthe, eine alternde Bibliothekarin, die ihre Unabhängigkeit genießt, aber dennoch als Konkurrentin um die Gunst der „suitable“ Männer angesehen wird, aber sie wird auch mit Ianthe überrascht auf die unerwarteten Avancen eines jüngeren, mittellosen Kollegen reagieren. Sie wird nie dabei sein, wenn „das Entscheidende“ geschieht, die Lebensweichen gestellt werden, sondern immer nur wie eine neugierige Nachbarin „im Nachhinein“ davon erfahren. Noch einmal zeigt Barbara Pym die Komik und Verzweiflung des alltäglichen Lebens, die Fremdheit zwischen einander doch liebenden Ehepartnern, Idiosynkrasien wie Sophias, die sich ihrer herrischen Katze Faustina unterwirft. All das ist komisch und traurig zugleich, eine Welt der Regeln und Reglements, der Urteile und Vorurteile, in der dennoch genügend Platz ist und gelassen wird, ein wenig „ver- rückt“ zu sein. Ianthe wird sich anders entscheiden als sie vielleicht von sich selbst angenommen hat und im ganz Kleinen ein ganz großes Abenteuer erleben.

Als Barbara Pym der Schlag der Ablehnung von „An Unsuitable Attachement“ traf, hatte sie einen weiteren Roman gerade fertig geschrieben: An Academic Question“, der erst 1986 veröffentlicht wurde. Das Personal dieses Romans ist in der modernen Mittelstandswelt der Nachkriegszeit endgültig angekommen. Die Unsicherheiten haben zugenommen, die letzten Konventionen und Selbstverständlichkeiten einer entmachteten Gentry, die in diesem Roman durch Mutter und Sohn, die aus den Kolonien zurückkehren, vorgeführt wird, verschwinden. Die Formen, allerdings, werden nach wie vor gewahrt, auch wenn nichts mehr dahinter steckt. Die „akademische Frage“, vor die die junge Ehefrau eines aufstrebenden Dozenten gestellt ist, lautet einerseits, wie viel Intriganz und Betrug erlaubt und geboten sind, um ein vom Eheman für seine Forschungsarbeit begehrtes  Dokument von einem dementen Alten zu erschleichen, und andererseits, ob besagtem Ehemann der außereheliche Geschlechtsverkehr zu verzeihen ist. Es sind nur noch hohle Phrasen, die ausgetauscht werden, dummes Geschwätz angereichert mit akademischem Vokabular, aber dahinter stecken dennoch echte Zuneigung und Verantwortungsgefühl. Die „akademischen Fragen“, die der Roman stellt, werden daher  auf -  für den kontinentalen Ethiker - schockierend unmoralische, aber britisch-pragmatische Weise gelöst. „An Academic question“ ist eine „comedy of manners“, ein Sujet, das die deutschsprachige Romanliteratur im Grunde nicht kennt, weil gutes Benehmen hierzulande vor allem mit Verstellung identifiziert  und das Rollenspiel als Identitätsproblem aufgefasst wird statt als soziale Notwendigkeit.

„An Academic Question“ hätte – wie die anderen Romane „aus der Schubalde“ – sicher noch ein wenig Politur der Autorin vertragen, die Figuren und Dialoge sind weniger ausgearbeitet, die Handlungsstränge weniger gründlich verwoben als diejenigen der Romane, die Barbara Pym selbst zur Veröffentlichung vorbereitet hat.

Für Leserinnen sind jedoch gerade diese Werke auf ihre Weise interessant, weil sie offenbaren, wie Barbara Pym Romane geschrieben hat und worin deren Geheimnis besteht. Barbara Pyms fiktive Welten und Figuren zeichnen sich nicht durch genau (re-)konstruierte Lebensläufe, Ortschaften oder Erzählgebäude aus, sondern durch präzise beobachte Charakterstudien, Mileus und Gesprächskulturen. In gewisser Weise entwerfen sie ein Gegenmodell zur Schreibweise einer anderen Lieblingsautorin von mir, zu Alice Munros Erzählungen, die genau durchkonstruiert sind und sich auf bestimmte Konstellationen konzentrieren. Dagegen sind Barbara Pyms Erzählstränge „zerstreut“ wie die Figuren, von denen sie erzählt. Es gibt in diesen Welten nichts mehr, worauf sich eine konzentrieren könnte. Beinahe alles ist (wechselseitige) Suggestion und Projektion, beliebig, austauschbar, zum Verwechseln. Statt auf die Objekte der Begierde kommt es auf die Haltung an. Die Täuschungen und Selbsttäuschungen werden jedoch nicht denunziert, sondern anerkannt in ihrer Notwendigkeit und immer wieder neu austariert in Konversationen, denn Pyms Figuren sind immer eingebunden in soziale Beziehungen. Ihre Romane sind modern, weil sie von einer Welt erzählen, die ohne inneres Zentrum, ohne Gewissheit und in gewisser Weise ohne Glauben auskommen muss, aber dies nicht, indem sie die Entwurzelung an einer großstädtische Künstlerbohéme und deren asozialen Verhaltensweisen vorführt, sondern deren Wirkung auf konservative und beharrliche Menschen, die sich in Kirchengemeinden zusammenfinden, bei Teapartys langweilen und versuchen „das Beste“ daraus zu machen, indem sie sich auch gegen ihren eigenen Hang zur Isolation zur Soziabilität zwingen, lächerlich bisweilen, kurios, eigensinnig, freiheitsliebend trotzdem :  passend unpassend – „An Unsuitable Attachment“.

In ihren letzten drei Meisterwerken („Quartet in Autumn“, „The Sweet Dove Died“ und „A Few Green Leaves“ ), dem Alterswerk, das ihr noch zu Lebzeiten, spät, aber nicht zu spät, den verdienten Ruhm brachte, hat sie diese Erzählweise perfektioniert und die Komik der frühen Werke um eine resignative, aber nie verbitterte Melancholie bereichert. Davon beim nächsten Mal mehr!

Lesen Sie Barbara Pym!






(Dies ist zugleich mein Beitrag zur Barbara Pym Reading Week. Ein weiterer zu den letzten drei Romanen wird - wie angekündigt - folgen.)

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