EIN BEITRAG VON MOREL
Wer hat gesagt, eine Frage würde
automatisch auch eine Antwort mit einschließen?
Nicht mal im Wörterbuch
steht unter 'Frage', sie würde
nach Antwort verlangen.
Jean-Luc
Godard,
Einführung
in eine wahre Geschichte des Kinos
Ende oder
Anfang. Noch einen Film wird er drehen müssen, im annus mirabilis 1968, und das Kino ist zu Ende.
Eine Serie von Filmen von Außer Atem bis Weekend, die das Kino bis zum Ermüdungsbruch dehnten. Am Ende
von Weekend dann der Abspann, in den für Godard typischen farbigen Buchstaben: Fin du cinéma. 1967 drehte Jean-Luc
Godard in einem Appartement in Paris La Chinoise einen Film, den er als
Dokumentarfilm bezeichnete. In seinem Vortrag im Deutschen Filmmuseum, einer
die Aufnahmefähigkeit
des Publikums fröhlich
überfordernden Salve von
Assoziationen zu Trailern, Musikstücken und Affektbesetzungen, feierte Rembert Hüser unlängst die Aktualität von La Chinoise. Für ihn war es ein Anfang, für Godard der Beginn des Endes.
Anfang oder Ende, vielleicht wie üblich beides.
Zwei
Studentinnen, drei Studenten in einem Appartement in Paris, das während des Sommerurlaubs der
Eltern von Bekannten leer steht. Bürgerkinder proben die Revolution. Wände werden mit politischen
Parolen bemalt. Die dominante Einrichtungsfarbe: Propaganda-Rot, wie die Stapel
voller Mao-Bibeln, aus denen und in denen unaufhörlich gelesen wird. An den Wänden Poster und Porträts von Revolutionshelden. In
einem separaten Raum eine Hall-of-Shame, in die auch das Bild von Novalis
ausquartiert wird, wo es zu Descartes, Lyndon Johnson, Breschnew und Himmler
(benannt 'Emmanuel Kant') gehängt wird. Die Rollen sind klar verteilt. Die militante
Veronique (Anne Wiazemsky, damals
mit Godard zusammen) will die Sorbonne in die Luft sprengen. Guillaume (Jean-Pierre
Léaud, benannt nach Goethes
Wilhelm Meister) will das Theater erneuern. Yvonne (Juliet Bertot), als einzige
Vertreterin der arbeitenden Klassen, sehen wir zumeist arbeiten, nämlich putzen und spülen. In kleinen
Agitprop-Sketchen stellt sie das Opfer dar. Die zwei anderen Studenten vertreten Varianten des
Radikalismus: russischer Nihilismus, der im Selbstmord endet, und orthodoxer
Marxismus, der ausgeschlossen wird. Die Revolution ist kein Galadiner.
Der Film,
so Godard später,
entstand im Schneideraum. Es gibt Interviews mit den Protagonisten, die direkt
in die Kamera sprechen. Spielszenen wirken immer extrem künstlich, die Sätze wirken wie aufgeschrieben
(und sind es in der Regel auch, meistens handelt es sich ja um Zitate).
Dazwischen Gemälde und
Stiche. Als Veronique zur Tat schreitet und einen sowjetischen Kulturfunktionär ermordet (im zweiten Anlauf,
im ersten hat sie seine Zimmernummer falsch gelesen und jemand anders
umgebracht), repräsentiert
ein Bild aus einem Comic die Bluttat. Der Weg von hier führt weniger zur RAF als zu
Tarantino (der weiß warum er seine Produktionsfirma nach einem Godardfilm
benannt hat). Auch die Musik verhindert in La Chinoise Einfühlung. In Le Mepris oder
Pierrot Le Fou gab die Musik den eindimensionalen, eher durch Handlungen oder
Strukturen bestimmten Figuren, noch einen Anhauch von Tiefe und Schicksal. Hier
werden nur kurze Ausschnitte von Musikstücken eingespielt: ein bisschen Schlagwerk aus einem
Stockhausen-Stück,
etwas Vivaldi-Barock im 'Fleischtheken-Sound' (Hüser) und ein absurder, extra für den Film geschriebener
Popsong zu Ehren von Mao. Es regiert der Verfremdungseffekt: in einer Szene
werden auf einer Tafel die Namen berühmter Schriftsteller ausgelöscht, nur Brecht bleibt
stehen.
La
Chinoise ist manchmal absurd, aber nicht unbedingt komisch. Nicht ernst
genommen werden die politischen Diskussion innerhalb der Aden-Arabie-Zelle.
Zumeist handelt es sich um den Austausch von Platitüden. Dass die Roten Garden,
die sich Veronique als Vorbild nimmt, in China wirklichen Terror ausübten liegt im Off der
Rezeption des Films in der postmodernen Filmwissenschaft. Godard aber ist
offener, unsicherer, idiotischer: er dokumentiert seine Zeit, ihren Fanatismus
(den er durchaus teilte), ihre Lächerlichkeit, ihre Fragen ohne Antworten. Meistens spielt
der Film in der von der Außenwelt hermetisch abgedichteten, leer geräumten Wohnung, in der die
Aden-Arabie-Zelle die Revolution vorzubereiten sucht. Hüser beschränkte sich in seinem Vortrag
sehr geistreich auf die Ausstattung dieses Zufluchtsort vor der Wirklichkeit:
die Farben, die Musik, die Montage. Darin weist der Film tatsächlich voraus auf deine
Zukunft des Essay-Films (die aber schon mit Resnais und Marker begonnen hatte).
Einige Male aber verlassen wir diese hermetische Zelle, am nachdrücklichsten in der langen, in
einer Einstellung gefilmten Zugfahrt von Veronique mit ihrem Professor,
Francois Jeanson (der auch die Darstellerin von Veronique unterrichtete). Er
stellt ihre Militanz in Frage mit dem wenig originellen, aber unabweisbaren
Gegenargument, was denn nach der Zerstörung geschähe. Er kann sie nicht überzeugen. Wie Guillaume bevorzugt sie die "Stunde
Null" (so heißt sein Theater nach Rosselinis Deutschland-Melodrama
Germania Anno Zero) gegenüber der Veränderung des Bestehenden. Auslöschen, um noch einmal neu
anzufangen. Das war die ästhetische Konsequenz, die Godard 1968 zog, bevor er dann
Ende der 70er Jahre mit einem anderen Kino wiederkehrte.
Was
dokumentiert La Chinoise? Beim besten Willen nicht die Politik des Jahres 1967
(selbst wenn der Film im Rückblick als prophetisch wahrgenommen wurde, unheimlich sich
Ulrike Meinhof in der Bahnsequenz vorzustellen). Doch auch in La Chinoise ist
es das Kino, das Godard die Kamera führt, nicht die rote Bibel oder die Marx-Engels-Gesamtausgabe.
An einer Stelle wird an zwei Kinopioniere erinnert: die Brüder Goncourt und Georges Méiliès. Während die Goncourts, die
einfahrende Züge
und die Fabrik verlassende Arbeiter filmten, als Pioniere des Dokumentarfilms
galten, filmte Méliès nur Erfundenes wie die Reise
zum Mond. Aber er, so heißt es in La Chinoise, ist der eigentliche Dokumentarfilmer,
denn die Goncourts filmten nur was ist aus dem Blickwinkel von Bürgern, Méliès aber auch, was sein wird. La
Chinoise dokumentiert so wie Méliès dokumentiert: den künstlichen Nachbau von Ereignissen, die noch nicht
stattgefunden haben. Die maoistischen Vorbilder für die Aden-Arabie-Zelle waren
daher ziemlich sauer, als sie Godards Version ihrer Kämpfe sahen.
In einer
Szene zwischen Veronique und Guillaume, wenn man will eine Liebesszene,
sprechen die beiden aneinander vorbei blickend über das Leben und die Liebe.
Er klagt, dass er nicht zwei Sachen auf einmal machen kann. Sie legt
romantische Klaviermusik auf und erklärt ihm sachlich, warum sie ihn nicht liebt, unter anderem
wegen der Farbe seines Sweaters. Er reagiert bestürzt. Also kann er doch, so
Veronique, der romantischen Musik zuhören und den Sinn ihrer Worte verstehen. Zwei Sachen auf
einmal, das ist für
Godard bis heute die Montage, als Sprache des Kinos. Einer Sprache ohne feste
Bedeutungen, die offen bleibt. Zu Ende geht mit La Chinoise für Godard der Film als persönlicher Ausdruck, als
subjektive Form die Welt durch Montage so wiederzugeben, wie sie wirkt. Ab 1968
verschwindet der Autor, der auf jede Frage eine Antwort hat. An seine Stelle
treten Gruppen und Paare, die nur selten einer Meinung und daher auf Montage
angewiesen sind. In La Chinoise ist das nicht zu sehen, nur die Frage danach.
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