Sonntag, 28. Juli 2013

MAKE MY OWN GOOD STORY. Whit Stillman adaptiert "Lady Susan" von Jane Austen

Whit Stillman
15 Jahre haben die Verehrerinnen des Regisseurs und Drehbuchautors Whit Stillman, zu denen ich mich zähle, gewartet, bevor nach Metropolitan (1989), Barcelona (1995) und Last Days of Disco (1998) ein nächster Film herauskam. Am Ende meines Blog-Beitrags über "Damsels in Distress" (der 2011 in die Kinos kam, den ich aber erst im Frühjahr 2013 in der deutschen DVD-Version sehen konnte), schrieb ich: "Whit Stillman ist zurück. Wir haben ihn vermisst. Wir hoffen, dass es nicht wieder 12 Jahre dauern wird, bis wir seinen nächsten Film sehen können."* Ich verlieh dieser Hoffnung Ausdruck, ohne zu ahnen, dass die Vorbereitungen schon begonnen hatten, sie zu erfüllen. Vorgestern dann poppte in meinen Timelines bei Twitter und Facebook beinahe gleichzeitig die Meldung auf: "Whit Stillman in town to cast his new project."

Noch mehr war zu erfahren: Stillmans nächster Film soll den Titel "Love and Friendship" tragen und die Story auf dem relativ unbekannten Brief-Roman "Lady Susan" von Jane Austen beruhen. Im Interview verglich Stillman "Lady Susan" mit einem Theaterstück von Oscar Wilde und nannte den Roman "funny but obscure". 

"Lady Susan" (wahrscheinlich um 1794 entstanden) zeigt Jane Austen exakt an jenem Punkt in ihrem Schaffen, an dem sie den "Jane Austen"-Roman als eine eigene Gattung erfindet. Dieser Brief-Roman besteht bis zum Ende hin noch ausschließlich aus Briefen der verschiedenen Protagonistinnen. Die distanzierte Erzählerinnenstimme, die für die späteren, berühmteren Romane der Jane Austen prägend wird, ist erst auf den letzten zwei Seiten erstmals zu hören. Alle Pläne der schönen, intriganten und fiesen Lady Susan sind gescheitert, ihre Tochter ist ihrem Einfluss entzogen und statt diese mit dem albern Tölpel Sir James verheiraten zu können, muss sie den zum Schluss selber nehmen: "Sir James may seem to have drawn an harder Lot than mere Folly merited. I leave him therefore to all the Pity that anybody can give him. For myself, I confess that I can pity only Miss Manwaring, who coming to Town and putting herself to an expence in Cloathes, which impoverished her for two years, on purchase to secure him, was defrauded of her due by a Woman ten years older than herself."

"Lady Susan" stellt den Geschlechterkampf (man könnte es angesichts der Manöver der Lady beinahe "Krieg" nennen) überwiegend aus weiblicher Perspektive, vornehmlich derjenigen Lady Susans dar. In diesem Brief-Roman lernt die Leserin eine Austen kennen, die wesentlich freizügiger und schärfer über Sexualität schreibt, als es die Austensche Familienlegende von der bescheidenen Tante je für möglich erscheinen lassen würde. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum "Lady Susan" so vergleichsweise unbekannt geblieben ist. Die Lektüre steht zu offensichtlich quer zum von Henry Austen und seinem Neffen tradierten und gepflegten Bild der scheuen, schlichten Tante Jane, die kein Wässerchen trüben konnte und die Bosheit der Menschen bloß "beobachtete". Denn in "Lady Susan" spricht die Intrigantin in der Ich-Form: "Depend upon it, I can make my own story good with Reginald.", schreibt sie ihrer Vertrauten Alicia Johnson, nachdem ihr Liebhaber Reginald, von dem sie einen Heiratsantrag erwartet, ihr gleichzeitiges Verhältnis mit einem verheirateten Mann entdeckt hat. 

Lady Susan offenbart in den Briefen ihre Amoralität und soziopathische Störung auf unübertrefflich artistische Weise, so dass zwar nicht die Sympathien, aber jedenfalls die Bewunderung der Leserinnen ihr gehören, die über jene sprachliche Meisterschaft verfügt, die allein aus den entstellenden Fakten eine "gute Story" machen kann. Doch Jane Austen hat sich mit und nach dem Abschluss von "Lady Susan" dazu entschieden, diese Stimme nicht länger als "Ich" einer Figur zu Wort kommen zu lassen, sondern die Meisterschaft des Erzählens an die unpersönliche Erzählerin abzutreten, deren Stimme von nun an in den Austen-Romanen den Ton vorgibt.

Whit Stillman hat schon mit "Metropolitan" Bezug auf einen der weniger beliebten Romane Jane Austens genommen, auf "Mansfield Park". Die "Heldin" von Mansfield Park, die passive, ergebene Fanny Price, hat die Leserinnen von Austens Romanen immer sehr viel weniger angesprochen, als die aktive, scharfzüngige Elizabeth aus "Pride and Prejudice" oder die entzückend scheiternde Wannabee-Matchmakerin Emma (es ließe sich, denke ich,  "Damsels in Distress" auch als eine lose Adaption dieses Romans interpretieren) aus dem gleichnamigen Roman. Zugleich ist "Mansfield Park" der satiristischste von Austens späteren Romanen, in dem am schärfsten Egomanie, Geltungssucht und Besitzstreben karikiert werden. Der Kontrast zu der naiven und gutgläubigen Heldin trägt dazu Einiges bei. In Stillmans "Metropolitan" übernimmt die still in Tom verliebte Audrey diese Rolle, die sich auf auch Aufforderung hin weigert, um ihn zu kämpfen, aber genauso wenig bereit ist, ihre Gefühle zu verleugnen. 


Stillmans sehr lose Adaption stellt einen Konflikt ins Zentrum, den eine filmische Auseinandersetzung mit "Lady Susan" zuspitzen könnte: den Preis der "guten Story", den Ästhet Nick Smith in "Metropolitan" jederzeit zu zahlen bereit ist. Um den Womanizer Rick von Slonecker bei den Mädchen zu diskreditieren, erfindet Nick eine brutale Verwaltigungsstory. Zunächst glaubt man ihm, aber schließlich stellt sich heraus, dass die Story über Rick nicht die erste ist, die Nick erfunden hat, um die Abende vor und nach den Bällen, die die jungen Debütantinnen in "Metropolitan" besuchen, unterhaltsamer zu gestalten. Seine "stories" werden mehr und mehr angezweifelt. Als Jane ihm vorwirft, seine "Polly Perkins story" sei eine "fabrication" gewesen, antwortet Nick: "A composite." Aber er kommt nicht mehr damit durch: "Whatever. And, that you're completely impossible and out of control, with some sort of drug problem and a fixation on what you consider Rick Von Sloneker's wickedness. You're a snob, a sexist, totally obnoxious, and tiresome. And lately, you've gotten just weird. Why should we believe anything you say?", hält Jane ihm vor. Nick, der Geschichtenerzähler, wehrt sich nur gegen eine der Vorhaltungen: "I´m not tiresome." Der Preis der guten Story kann die Lüge, die Enttäuschung, die Kränkung, der Ausschluss, der Verlust der Freundschaft sein. Nick ist offenbar bereit, diesen Preis zu zahlen. Aber beim Abschied von Tom werden seine Verletzlichkeit und seine Einsamkeit überdeutlich.

Auch "Lady Susan" hat eine passive Heldin, die gerettet werden muss: Frederica, die Tochter der bösen Frau, die jedoch - in Jane Austens Brief-Roman - im entscheidenden Augenblick die Initiative ergreift, um das zu retten, was in einem altmodischen Sinne ihre "Tugend" genannt werden könnte und weder bei Stillman noch bei Austen mit ihrer Jungfräulichkeit gleichzusetzen ist. Tugendhaft ist ein Leben in der naiven Treue zu den eigenen Gefühlen - und es sind möglicherweise diese altmodisch "tugendhaften" Figuren, mehr noch als die brillianten Dialoge der guten "Storyteller", die Whit Stillman an Jane Austens Romanen so faszinieren. 

Ich bin gespannt und freue mich auf "Love and friendship". Hoffentlich bald. In deutschen Kinos.

Sehen Sie die Filme Whit Stillmans:
Damsels in Distress

(Achtung, das sind dialoglastige Filme! Meiden Sie schlechte deutsche Synchronisationen!)

Und sowieso:
Lesen Sie Jane Austen, auch mal die unbekannteren Werke:
Lady Susan  (kostenlos)
Mansfield Park


Das "wir" steht an dieser Stelle für Morel und mich. Whit Stillmans ersten Film ´Metropolitan´ sahen wir zusammen in einem fast leeren Kinosaal und waren beide von diesem Film bezaubert. Immer wieder haben wir seither die Kopie auf VHS, die wir später von einer Fernsehaustrahlung machten, angeschaut. Manche ´lines´ kann ich auswendig.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen