Samstag, 3. August 2013

DIE SUPERVISION DER TROLLJÄGERIN (1. Folge: Aus dem Handbuch der Trolljäger-Gesellschaft)




Auszug aus dem Handbuch der Trolljäger-Gesellschaft

Das Wort „Troll“ lässt sich altnordisch herleiten aus troda und althochdeutsch aus tretan, ein Treter. Trolle gebärden sich als Truggeister. Nicht selten nehmen sie die Gestalt von Tieren an: bissige Wölfe, brummige Bären, hitzige Eber, tumbe Ochsen, geile Hunde, keckernde Wellensittiche. Sie wären so gerne Adler, Schwäne, Löwen, Schlangen oder Drachen. Doch indem sie sich dem Als-ob verschreiben, vermögen sie sich nicht wahrhaftig zu wandeln. Denn das Als-ob ist der Antipode der Metamorphose. Während daher die Lieblingskinder des Chaos, die Minotauren, die Bestigors und andere phantastische Hybride durchaus Entzücken erzeugen können, trifft der Troll, trotz seines unablässigen Gestaltwechsels, immer nur auf Ablehnung, Abscheu und Verachtung. Die Verwandlung erfordert nämlich, was ihm am meisten fehlt: Güte, Vertrauen, Achtung. Der Troll, selbst der Troll im frühesten Stadium, wenn er im rechtlichen Sinne noch gar keine Schuld auf sich geladen hat, vergeht sich an der Welt, indem er ihr mit abgründiger Bosheit, die er für Schläue hält, begegnet, indem er jedermann misstraut und jede Frau verachtet. Trolle stiften mehr Unheil als durch ihre Bosheit durch ihr Ungeschick, sie stolpern über Gefühle, am häufigsten über ihre eigenen. 

Trolle dringen wie Tote in unsere Träume.  Sie lasten drückend, tretend; als Alp lassen sie sich nieder. ’Trolla“ - treten, zutreten, auftreten, wegtreten, getreten, bald sind sie riesisch, bald elbisch, bald zauberische Wesen. Doch sie können nicht fliegen. Das Gewicht ihres Selbsthasses drückt sie hernieder. Gelegentlich reiten sie Menschen und Tiere, um beweglicher zu werden. (Erst eine Verharmlosung in jüngsten Nachrichten spricht von Besen.) Immer wird allerdings ein Unheil geschehen, wenn im Zwielicht eine Trollgestalt losgegürtet und mit losen Haaren auf einer Zauntüre reitet.

Eine unserer Jägerin wurde einmal einer Tollkolonie auf einem Schiffe gewahr, von wo aus sie im entgegentosenden Wettersturme aus jedem Finger wüste Geschosse wie Pfeile an unser Ufer fliegen ließen und jeder Pfeil war der Tod eines lebendigen Gedankens. Sie heulten wie wilde Tiere, ein Zittern lief über ihre Haut, so dass jeder Zahn knirschte, sie sperrten den Rachen auf, stießen Schaum heraus, bissen in die Schilde. Auf eisige Schauder, bei denen es den Unsrigen vorkam, als würde ihnen Wasser zwischen Haut und Fleisch gegossen, folgte eine heftige Wut, in der sie nichts verschonten von dem, was ihnen in den Weg kam, Getäfel und Balken, Säulen und Menschen, selbst Feuer betraten sie und scheuten kein Eisen.

Obwohl sie meist in den Gestalten auftreten, in denen sie gelebt haben, Männer als Männer, Frauen als Frauen, Jünglinge als Jünglinge, Mädchen als Mädchen so geschieht es doch, wenn sie wahre Schutztrolle werden und kommender Dinge kundig sind, dass sie bloß noch als weibliche Wesen erscheinen. Es verfällt ihnen, wer den Vergessenheitstrank zu sich nimmt, den die verführerischen, dämonischen Wesen kredenzen. Ihre Sinnesart und Neigung zeigt eine eigentümliche Mischung von List und Aufrichtigkeit, ein gewisses neckisches Wesen. Sie benutzen eine Wortsalbe bisweilen, die, wird ein menschliches Auge damit bestrichen, geistersichtig macht. Ihre älteste Natur ist wild und menschenfeindlich, das spricht dafür, das sie aus der tiefen verderblichen Gewalt des Wasser entstammen. 

Doch nicht immer rauscht das Wasser Verderben bringend. Es bringt auch tanz- und lachlustige, frohsinnige Wesen hervor, denen sich zu nähern nichts im Wege zu stehen scheint. Sie mögen nährende, reinigende, heilende und begeisternde Eigenschaften haben, auch dies als Erbe ihrer Herkunft aus den Wassern. Es kommt bei unserer Arbeit als Jägerinnen der Trolle vor allem darauf an, diese Unterscheidung zu treffen. Dann nämlich, so ist geweissagt, kann es gelingen, sich der echten Trolle durch eine therapeutische Maßnahme zu entledigen, statt sie auszutreiben mittels Versteinerung und Pfählung, mittelalterlicher Methoden, denen wir als eine moderne und aufgeklärte Behörde ablehnend gegenüberstehen. Wir sehen unsere Aufgabe vielmehr darin, die Trolle zu verwandeln, indem wir sie mit Fragen wie mit Küssen füttern.“


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