Ein Beitrag von Morel
James Stewart war über 1,90 groß und wog zeit seines
Lebens weniger als 80 Kilo. Dies prädestinierte ihn zu Beginn seiner Karriere für
die Rolle des schlaksigen, leicht ungeschickten Liebhabers, der in sein Glück
eher hineinstolpert, als dass er es am Schopfe packen würde. Gleichzeitig waren
alle seine Rollen von provinziellem Trotz geprägt – in die US-Folklore
eingegangen ist etwa Mr. Smith, der 24 Stunden in Washington palavert, um ein
Gesetz zu verhindern (seitdem wird bei jedem der sogenannten Filibuster – wie zuletzt der tapfere Auftritt von
State Senator Wendy Davis im Senat von Texas – an Capras Film erinnert).
Ungeschick und Trotz verbanden sich aber in Stewarts Filmen der 30er und 40er
Jahre mit Charme und Menschlichkeit: der ungeschickte jungenhafte Mann weckte
Mitleid bei den Frauen und brachte die Männer zum Schmunzeln. In den 50er
Jahren förderten besonders Filme von zwei Regisseuren dagegen die dunkle Seite
von James Stewart zu Tage. Die Filme mit Alfred Hitchcock wie Vertigo und Rear
Window, sind inzwischen Filmgeschichte (und nicht mehr nur einfach Krimis). Die
Serie von Western mit Anthony Mann, die in den 50er Jahren gefeiert wurden,
dagegen inzwischen beinahe schon wieder vergessen. Bei beiden Regisseuren
schlagen Ungeschick und Trotz von James Stewart um – in Menschenfeindlichkeit
und Rachedurst. Darin spiegeln sie ihre Zeit wieder – die Siegesparaden mündeten
in die Paranoia des Kalten Krieges. Der dünne, schlanke Mann fand niemanden
mehr, der ihn in die richtige Richtung schubste, also verrannte er sich.
So auch in The Man
from Laramie, gedreht von Anthony Mann. Stewart ist der ehemalige
Armeeoffizier Lockhart, der inkognito den Tod seines jüngeren Bruders aufklären
will. Hierzu kommt er in die archetypische Westernstadt Coronado, wo die
Waggomans das Sagen haben. Dabei handelt es sich um eine mutterlose Familie:
der halbblinde Vater Alec, der verzogene und arrogante Sohn Dave und der
ehrgeizige Vic, der die Ranch managt. Blind für seine Umgebung lebt der Vater
nur noch in seinen pingelig geführten Abrechnungen: die Zahlen überlagern die
sichtbare Welt. Typisch für die Western von Anthony Mann: die
Nationalgeschichte hat sich aus der Prärie verzogen, dagegen ist die
Psychoanalyse eingezogen und mit ihr die griechischen Sagen. Folglich hat der
blinde Patriarch einen immer wiederkehrenden Traum, der ihn vor einem Fremden
warnt, der seinen Sohn töten werde. Er versucht daher die gewalttätigen
Konflikte zwischen Lockhart und seinem Sohn durch Geld zu lösen. Vergeblich,
denn Lockhart will aufklären, wer den Apache-Indianern die Waffen verkauft hat,
mit denen sein Bruder erschossen wurde (das Thema Verrat und Überläufer ist
dann doch auch wieder politisch). Lockhart schlägt sich in dieser
patriarchalischen Welt auf die Seite der Frauen: er flirtet auf seine
unbeholfene, steife Art mit Barbara Waggoman, der Nichte Alecs, die aber mit
Vic verlobt ist. Und er wird Vorarbeiter bei Kate Canady, der letzten unabhängigen
Farmerin. Kate hätte Alec beinahe einmal geheiratet, lange her, aber dann ist
die falsche Frau aufgetaucht und die Tragödie nahm ihren Lauf. Denn natürlich
ist Vic, der sich für den wahren Sohn und Erben hält, der Waffenschmuggler und
kurz vor Ende des Films der Mörder von Sohn und Vater. Lockhart verfolgt ihn in
die Berge, wo er ihn zwingt, das Waffenversteck zu zerstören. Die um ihre schon
bezahlte Ware gebrachten Indianer erschießen ihn dann. Als Lockhart sich von
Barbara verabschiedet, gibt er ihr den Rat, sich bei Gelegenheit in Laramie
einmal nach einem Captain Lockhart zu erkundigen. Damit legt er die Rolle des
gesetzlosen Cowboys an und tritt wieder auf die Seite der Autorität über.
Das Drehbuch dieses Films gibt James Stewart als Lockhart
eigentlich die Chance, seine edelmütige Seite zu zeigen. Er ist auf Rachemission, verzichtet aber am Ende überraschend
auf Gewalt. Der Held macht sich daher nicht schuldig und hat Aussicht auf die
Gründung einer Familie (nachdem er die Herrschaft der pervertierten
Waggoman-Familie beendet hat). Dieser Gewaltverzicht fällt ihm schwer: seine
Wagen werden schon zu Beginn des Films verbrannt, in einer unvergesslichen
Szene schießt ihm Dave Waggoman aus kurzer Distanz durch die Hand, immer wieder
demütigt ihn der überhebliche Erbe. Daher prägen sich die entgleisenden Züge
des Gesichts von James Stewart ein, seine gefletschten Zähne, die starren
Augen. Er wäre gerne souverän, aber sein Rachedurst zerfrisst ihn von innen. Er
ist nicht in der Lage Frieden zu stiften (wie es sich Kate wünschen würde),
sondern löst den entscheidenden Krieg aus, indem er die latenten Konflikte
zwischen Alec, Dave und Vic unabsichtlich zum Ausbruch bringt. Er ist nichts
als der wahr gewordene Alptraum des Patriarchen. Wie in vielen Western sind die
Frauen abwesend, eine verpasste Chance auf ein anderes Leben. Kate wäre die
richtige Frau für Alec gewesen und Vic hätte sich mit dem bescheidenen Leben an
der Seite Barbara zufrieden geben müssen. Der Hochmut bestraft sich hier am
Ende selbst. Coronado ist nicht der Wilde Westen, der noch zivilisiert werden
muss (was sonst immer die Aufgabe der Frau ist), sondern die gescheiterte
Zivilisation, in der Männer und Frauen allein bleiben. In The Man of Laramie
geht es nicht um den Fortschritt, sondern um den Aufschub des Endes. Später
werden dann die Western Segio Leones oder Clint Eastwoods dieses Ende
zelebrieren – aber hier gibt es noch ein unsichtbares Laramie, wo die Welt noch
in Ordnung ist. Die Tage in Coronado waren nur eine Episode.
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