Samstag, 5. Oktober 2013

AUSGANG (ein Traum)

(Keine Sorge. D a s werde ich nicht erzählen.  Es kann ja eh jede nachlesen, die es will, zwischen den Zeilen. Wo eigentlich - noch so ein Wort, vor dem du mich warntest - alles schwebt, was unser Begehren trägt. Auf schäumendem Grund also, immer bereit zu versinken. "Ich träume nie", sagte ich, als wir uns kennenlernten. Du lehrtest mich das Andere. Auch deshalb bin ich dir gram.)

Den Aufzug verließ ich zwei Schritte hinter dem Freund, der ungern vorangeht, es aber dieses Mal musste. Ich hielt mich sehr gerade, spannte die unteren Rückenmuskeln und das Gesäß an. Nur so lässt sich der Kopf lässig und doch stolz erhoben auf dem Rückgrat balancieren. Meine Füsse schmerzten schon nach wenigen Schritten. Ein Zucken der linken Schulter des Freundes verriet mir, dass er die Anspannung wohl wahrnahm, wenn er auch ihren Grund nicht ahnen konnte. Er drehte sich halb zu mir herum. Ich werde dich nicht ausführen wie einen kleinen Hund. Das sagte er selbstverständlich nicht, da will ich nicht lügen. Mein Herz tat weh und das ist keine Metapher. Am Eingang löste ich zwei Karten. Er räusperte sich, wühlte mit der Hand in seiner Tasche. "Lass nur", sagte ich, "ich zahle. Es war mein Wunsch herzugehen." Wir traten ein und waren die ersten, was ich immer zu vermeiden versuche. Ich will von dir nicht erkannt werden. In einer Ecke des Raumes flüsterte der Pianist mit dem Impresario. Mein einziges Glück an diesem Abend war, dass er sich erst umdrehte, als sich die Stuhlreihen schon füllten. Sein Blick glitt über das Publikum. Ich beugte mich rasch zu dem Freund hinüber und berührte mit meiner Hand sein Knie. Als die Musik erklang, ließ ich  mich fallen, ohne dass es jemand bemerkte. Der Himmel weint sich aus. Die Fluten steigen. Ich trinke süße See und lass mich grün umschlingen. Es weht mein blondes Haar durch deine tiefen Gründe. Der Freund schlug die Beine übereinander.

Später standen wir noch mit dem Pianisten beisammen, dessen Geliebte eine Bekannte meines Freundes war. Die Geliebte ließ ihr Lachen durch den Raum flattern. Der Freund lächelte milde und machte Komplimente. Ich stellte mich ein wenig schräg und schwieg. Der Freund sah mich aufmunternd an.  Ich suchte nach einem unverfänglichen Wort. "Sehr gelungen." Mein Stimme klang hohl. Das war das Zeichen. Mein Freund nahm mich am Arm. "Wir müssen gehen.", wandte er sich bestimmt an die Geliebte des Komponisten und half mir in den Mantel. Er ließ meinen Arm nicht los, bis er mir die Tür zu seinem Wagen aufschloss. 

Auf der Fahrt zur Brücke lästerten wir über die Geliebte, deren Lippenstift zu rot, deren Lachen zu laut und deren Bosheit zu offensichtlich war. Das stimmte natürlich alles nicht. Als der Freund auf dem Seitenstreifen hielt, ahnte ich, dass es ein Abschied für länger sein würde. "Wir müssen uns nichts vormachen.", sagte ich, während der Regen auf die Windschutzscheibe schlug. "Steig aus.", befahl der Freund und beugte sich über mich, um die rechte Tür zu öffnen. Ich versuchte seinen Scheitel zu küssen, verfehlte ihn aber knapp. Er starrte unbewegt nach vorn, während ich mich ungeschickt aus dem Wagen quälte. Doch meine Flosse zuckte freudig auf, als die ersten Tropfen sie trafen. "Raus.", schrie er plötzlich,  zog mit einem Ruck die Türe von innen zu und fuhr mit quietschenden Reifen an.  Im Türspalt flatterte meine zerrissene weiße Bluse. So lehnte ich mit entblößten Brüsten am Brückengitter, die Haare klatschten nass um meinen Kopf und meine Tränen vermischten sich mit den Regentropfen auf meiner Haut. Alles wird gut. Spring. Meine Schwestern sangen unter mir. Ich glitt hinüber. Zum Meer. Zum Meer.

"Aufwachen." Ich tat, was ich sollte. 

(Dies ist der erste Traum, in dem du nicht vorkommst, wie es scheint. Wieder muss ich mich bei dir entschuldigen, weil ich das Wort benutzte, von dem du mir abgeraten hattest: Plötzlich. So geschehen mir aber meine Träume. "Alles Lüge.", weißt du, selbstverständlich, denn du liest ja mit. Auch zwischen den Zeilen.)


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