Freitag, 25. Oktober 2013

ERDREICH (ein Traum)

(Das kann nicht dein Ernst sein! Seit ich dir nicht mehr vertraue, verliert alles, was du sagst, für mich an Wert.)

Dort war es so still. Eine Stille, die ich noch nie zuvor gehört hatte. Erst in dieser Stille gelangten die Erinnerungen an die Geräusche der Nacht an mein Ohr, die ich sonst überhörte: das ferne Dröhnen der Güterwaggons, das Zischen der Jets über uns, das Rascheln der Platanen im Wind, die sanften Pfoten der Katze auf den Kieselsteinen, das Quietschen der Maus im Gebüsch, das kaum vernehmbare Wehklagen eines Kindes in einer Wohnung drei Häuser weiter, das unablässige unterschwellige Brummen von der Fernstraße her. Es war so still, dass mir der Schädel dröhnte. Dass es auch ganz dunkel war, schwer und seidig die Dunkelheit wie ein Mantel um mich gelegt, bemerkte ich erst, nachdem ich mich an die Stille gewöhnt hatte. 

Ich konnte meinen eigenen Körper nicht sehen, als ich die Augen niederschlug, so dicht war das Schwarz um mich herum. Stand ich? Ich glitt mit den Fingern an meinen Außenseiten entlang: der Rumpf, die Oberschenkel, Unterschenkel, Fußgelenke. Ich stand. Ich stand und war nackt. Meine Hände prüften: Arme, Innenseite der Unterschenkel, der Oberschenkel, mein Bauch, meine Rückseite. Ich war nackt und beflaumt. Mein ganzer Körper war mit einem zarten, gekräuselten Flaum bewachsen, den Pelz zu nennen frevelhaft gewesen wäre. Ich konnte mir diese Behaarung nicht anders als blond vorstellen, aber sehen konnte ich nichts. (Wie gerne wäre ich gesehen worden so, hätte mich beschreiben lassen von dir.

Es roch dumpf und süß nach fetter Erde. Ich sog die Luft ein, tief durch meine Nüstern, die sich weiteten, hinunter in die Lungen, die sich blähten, hinab in den Bauch, der sich wölbte. Ich atmete aus, ganz langsam, lehrte den Bauch, zog ihn ein, presste die Luft aus den Lungen heraus, über die Schlüsselbeine, in den Hals, ließ sie verströmen durch die Nase. Aus Erde sind wir gemacht, zu Erde werden wir. Vorsichtig ließ ich mich auf die Fersen nieder, nahm mit den Händen die Erde auf: kein bisschen trocken und spröde, sondern formbar wie Lehm. Ich hatte kein Bedürfnis, eine Figur zu kneten, aber plötzlich überfiel mich heftig wie ein Liebestaumel die Sehnsucht, mich auf die Erde zu legen, meine Fersen in den Boden zu stemmen, meinen Hintern in sie zu versenken, meinen Rücken an ihr zu reiben, mein Kopf auf ihr hin und her zu wenden. Doch ich vermochte es nicht. Ich wollte mich legen, ausstrecken, wälzen. Aber ich verharrte still, stumm, schwer in meiner Stellung, aufgerichtet auf den Fersen, nicht einmal den Kopf konnte ich hinabsenken, um die Stirn gegen den Boden zu pressen. 

WACH AUF!

Mir kamen die Tränen. (Dass du mir das antust. Das! Unter allen Weisen mich zu strafen, wählst du diese. Es fehlt dir mehr, als ich ahnte...)

AUFWACHEN.

(Dass Du mir wirklich übel willst, habe ich nicht glauben wollen. Ich sah erst am nächsten Tag die gebrannte Figur auf deinem Brett. So ist das also. Du dauerst mich immer mehr.)

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