Mini-Drama 8
Gaia (schlammbedeckt in einer Badewanne, die auf Füßen in der Mitte der Bühne steht)
Kronos (liegt weit entfernt von ihr, durch eine dünne
Wand getrennt, in der linken Ecke der Bühne in
einem bequem Ledersessel, hinter sich eine Bücherwand, vor sich auf einem
Beistelltischchen eine halbgefülltes Rotweinglas)
Megara, Alekta, Tisiphone (rechts von
Gaia, eine Sandspur führt von der Badewanne an den Strand, den wir schon
kennen, die Erinnyen sitzen wieder am Tavernentisch und trinken Ouzo)
Immer wieder: VITA (aus dem OFF)
***
Gaia (singt)
Ich bin ein Mädchen von
Piräus und lieb die Schiffe, den Hafen und das Meer...
Megara
...Ich lieb das Lachen der
Matrosen und Küsse, die schmecken nach See und Salz und Teer...
Alekta
...Drum stehe ich Abend für
Abend hier am Kai und warte auf die fremden Schiffe aus Hongkong, aus Java, aus
Chile und Shanghai
(Tisiphone schüttelt den Kopf, stimmt dann aber auch
in den Refrain ein)
Alle, außer Kronos
Ein Schiff wird kommen
und das bringt mir den
einen, den ich so lieb wie keinen
und der mich glücklich macht. Ein Schiff wird
kommen
und meinen Traum erfüllen
und meine Sehnsucht stillen. Die Sehnsucht
mancher Nacht.
VITA
aus dem OFF
Wenn
sie Lust hätte, der Schönen zu bedeuten, dass sie schön ist, dass sie sie gern
berühren würde, dann würde sie sich dieses Verlangen, sich zu enthüllen als realisiert vorstellen: ihren Körper ins Wasser tauchen,
unverzüglich, ihn dem Lauf folgen lassen, ohne Ruder, ohne gegenzusteuern, ohne
Verwirrung, sich dem Willen zu landen überlassen.
Kronos
räkelt sich in seinem Sessel, nippt an seinem Glas und schmatzt.
Gaia
Fehlt nur noch, dass er rülpst. Mein Sohn. Ein
schöner Anblick ist er nicht.
Kronos
Das habe ich gehört.
Gaia
Na und?
(Sie
plätschert ein wenig im Schlamm.)
Wie ich den geboren habe. Was für eine Eruption.
Ich habe geschrien, dass es noch in den unbekannten Ländern zu hören war
jenseits des Äquators. Was für eine Welle hat sich über die Böden gegossen, als
der Titan das Licht der Welt erblickte. Scheußlich. Wie sich die Haut und das Blut und der Schorf auf ihm
kräuselten. Er war kein schöner Anblick. Aber ich ahnte nichts. Nahm ihn und
wusch ihn und hüllte ihn in Laken.
Kronos
Hast du meinen Vater geliebt?
Gaia
Spielt es eine Rolle nach allem, was war? Wenn es
dir hilft, habe ich ihn geliebt.
(Die
Erinnyen kichern.)
Kronos
Den Vater entmannen. Die Kinder fressen. Vom
eigenen Sohn verstoßen, entmachtet, ausgesetzt. Was für ein Schicksal.
(Die
Erinnyen kichern.)
VITA
aus dem OFF
Man
hat traditionsgemäß die Angewohnheit oder das Bedürfnis zu vergessen, was man
der Mutter, den Müttern, dem Mütterlichen schuldet.
Gaia
(mit gespieltem Ernst die Töchter ermahnend)
Seid nicht so gemein. Sie müssen es sich doch zurecht erzählen. Was bleibt ihnen übrig. Denkt nur einmal. Alles dreht sich
ums Gemächt. Als wäre je aus dem Blut etwas erwachsen.
Tersiphone
Es düngt den Boden. Nirgends sprießt es üppiger,
als wo das herrliche Blut der Götter vergossen wurde.
Megara
(kann nicht an sich halten)
Der Götter!
Tersiphone
Sie glauben daran. Wie sollen sie sich und
einander sonst ertragen? Die Unsterblichkeit. Ach, weil sie doch niemals
gebären können.
Alekta
(streicht über ihren Bauch)
Es ist ein trauriges Los, wenn nichts wachsen
kann. Da müssen sie schaffen.
Tersiphone
Schuften!
Megara
(prustet)
Kunst kommt nicht von können!
VITA
aus dem OFF
Aber
ich stehe vor der Unschuld wie ein junges Mädchen vor dem unzähligen Funkeln
eines Waldes, in den sie einzutauchen brennt, und den sie gern Blatt für Blatt
gestreichelt hätte. Ich stehe vor ihr wie ein Dichter vor dem Berg, wie vor der
versprochenen Poesie, verrückt nach ihr, verzweifelt über sie, aber in
demütigem Vertrauen auf die Kraft ihrer Gegenwart.
Gaia
Ihr seid boshaft, meine schönen Racheengel. Aber
im Recht. Sie wollten mir übel mitspielen. Mein Enkel vor allem. Erinnert ihr
euch an Zeus?
(Kronos
zuckt.)
Gaia
Ein Tor. Hässlich. Ich gab ihm Hera. Aber er...
Tersiphone
Besessen von seinem Gemächt.
(Kronos
kratzt sich im Schritt.)
Megara
Wie sie alle. Vor allem, wenn sie keinen
hochkriegen.
Alekta
Sei nicht so primitiv.
Gaia
Ich verstehe nicht, warum sie es nicht mit Puppen
machen. Oder sich selbst. Zeus, mein Enkel, ein brutaler Vergewaltiger.
Tersiphone
Er will, dass eine schreit: „Du bist so stark. So
gut. Mach´s mir.“
Alekta
Primitiv.
Tersiphone
Was erwartest du? Sie sind arg darauf
angewiesen. Anerkennung.
Megara
Wegen der Kinder?
Gaia
Die wir gebären, wollen sie dann aber nicht. Sie
glauben, sie könnten sich selbst erschaffen.
(Kronos
schenkt sich nach.)
Gaia
Kronos. Das ist schon deine zweite Flasche heut
Abend. Du sollst nicht so viel trinken, allein. Geh mit deinen Schwestern.
Kronos
Kannst mich, Alte.
Gaia
Das habe ich gehört.
Kronos
(schmeißt die Flasche gegen die Wand)
Verflucht seist du, Mutterweib. Tier, aus dem ich
gekrochen bin. Schlammgeboren. Deinetwegen. Mein Vater. Mein Sohn. Geschuftet. Haben wir.
VITA
aus dem OFF
Spirituelle
Erleuchtung zieht beim Mann Feminisierung nach sich.
(Kronos
heult vor sich hin.)
Tersiphone
(zu ihren Schwestern)
Jetzt geht das wieder los.
Megara
Es ist ein hartes Los. Wir möchten es nicht
tragen.
Alekta
(streicht erneut über ihren Bauch)
Ich glaube an den Fortschritt. Samenspenden. Wir
werden unter uns bleiben können.
Eines Tages. Sterblich und schön.
Tersiphone
Der ewige Kreislauf.
Megara
Ein Schiff wird kommen....
(Die
Schwestern legen Alekta die Hände auf den Bauch. Die Melodie von „Ein Schiff
wird kommen" erklingt.)
(Gaia
erhebt sich schwankend aus ihrem Bade und tritt, Schlamm umwunden, an den Bühnenrand.)
Gaia
Ich war noch nie am Meer. Ist das zu glauben.
VITA
aus dem OFF
Die
Sexualentwicklung des Mannes ist ein fortwährender Kampf, und wenn er meint, er
habe sich endlich von der Mutter befreit, kehrt er in Wahrheit zu ihr zurück.
Gaia
(ins
Publikum schreiend)
Und wenn es wieder ein Sohn wird?
(Licht
aus.)
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Auch erschienen in der Lärmenden Akademie in der Serie: Und was machen die Frauen?
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