Montag, 3. Februar 2014

STOLZ UND STAUNEN. Wider den Pessimismus (an einem besonderen Tag)

Heute vor 20 Jahren änderte sich  mein Leben radikal. Und das war gut so: Hier! Ich gebar (unter Schmerzen!) ein Kind und wenig später ein zweites. Die "Ich" war wurde Mutter. Wenig blieb von der, die nicht Mutter gewesen war. Am augenfälligsten und - zunächst - schmerzhaftesten körperlich: Sie wurde runder, gewichtiger, beschädigter. Selbstverständlich: Auch hinterher war "Ich" nicht nur "Mutter". Aber nichts, das ich wurde,  blieb davon unberührt. Und das war auch gut so.

Zeit für ein wenig Polemik? Ich lese in den Gazetten gegenwärtig wieder einmal (und zum x-ten-Mal aufgewärmt) die Debatte zum Thema "Kindermangel in Deutschland" (Stichworte: Vereinbarkeit von Beruf(-stätigkeit der Mutter) und Familie, Generation Praktikum, Unsicherheit, Überforderung, Zeitfalle). Da mag ja an allem was dran sein. Allein: Der Glaube fehlt mir. An diesen Gründen und Rechtfertigungen. So lächerlich ich manchmal die Klagen der jungen Frauen finde, die klingen, als verlangten sie nach einem Rundum-Sorglos-Versicherungspaket fürs Kind, so übel finde ich viele der Repliken junger (oder, häufiger, nicht ganz so junger) Männer, die Alles für machbar halten und das Gejammer leid sind. Fakt ist: In Gesellschaften, in denen Frauen (weitgehend) selbstbestimmt mit ihrer Sexualität umgehen können und Verhütungsmittel für Frauen verfügbar sind, entscheiden sich kaum Frauen für Serienschwangerschaften. Auch: Gut so! Männer haben, seit ihnen das Recht abgeht, in oder außerhalb der Ehe Frauen zu vergewaltigen, nur noch eingeschränkte Mitspracherechte. "Erzeuger" haben mit Grund nicht viel zu sagen. Dass einer Vater werden und sein will (und kann!), muss er eben jetzt unter Beweis stellen. Gut so!

Frauen haben - trotzdem - unter höchst unsicheren Bedingungen Kinder bekommen und tun das weiterhin. Anderswo. In einigen Staaten der Welt wird hartnäckiger und nachhaltiger daran gearbeitet, Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. Das scheint den Kinderwunsch und die Bereitschaft, ihn zu realisieren, zu befördern. Prinzipiell ist es mir egal, wie viele "deutsche" Babys geboren werden. Dennoch: Es ist diese Gesellschaft, in der ich lebe. Mich stört es nicht wegen meiner zukünftigen Rente, dass weniger Menschen sich für ein Leben mit Kindern entscheiden. Es stört mich aber trotzdem. Denn ich vermute den Grund woanders: nicht im Mangel an Geld oder Chancen oder Gerechtigkeit, sondern im Mangel an Optimismus.

Ich lebe in einer von Grund auf pessimistischen Gesellschaft. Fürchte ich. Beobachte ich. Klar, dass Menschen mit so einer Haltung, keine Kinder wollen. Da kann man denen anbieten, was man will. Wer überzeugt ist, dass wir in einer Phase des Niedergangs leben, der ständigen Verschlechterung von allem und jedem, die müsste ja ein Sadistin sein, setzte sie Kinder in so eine Welt. Kulturpessimistinnen, Weltuntergangsprophetinnen, totalitäre Melancholisten und Zusammenbruchsapologeten singen öffentlich und privat ihr Liedchen. Es wird eben alles schlechter, weniger, schlimmer: der Zusammenhalt der Gesellschaft, das Leseverhalten, Zahl und Alter der Opernbesucher, die Achtung vor den Älteren, das Fernsehprogramm, die Verlagslandschaft, das Radio, die Gedichte, der Pop, die Zeitungen, die Frauen, die Staubsauger, das Küchenpersonal, das Kantinenessen....und und und. Wer gesellschaftliche Veränderungen anstrebt, begründet sie am besten defensiv: Früher gab´s das ja auch.... Früher musste man nicht.... Früher konnte man noch... Statt: Einen Überschuss an Begehren zu produzieren und für eine Zukunft zu werben, die sich aus keiner (imaginierten) Vergangenheit ihre Visionen holt, um das Neue zu wagen. (Merke: Romantiker sind reaktionär!)

In eine pessimistische Gesellschaft passen keine Kinder. Sie stören. Sie müssten nämlich besser erzogen sein (wie früher?), Kulturtechniken anstreben und achten, wie die Älteren sie beherrschen (statt über Whatsapp zu kommunizieren) und nichts wollen, was wir nicht schon haben oder kennen. Solche Kinder gibt´s nicht. Und das ist gut so! Wer Kinder hat, kann sich Pessimismus (eigentlich?) nicht leisten. Und weil heutzutage hierzulande nur noch Kinder bekommt, wer auch welche will, kriegen PessimistInnen keine Kinder. Ist das auch gut so? Vielleicht. 

Und andererseits: Es gibt viele Menschen, die keine Kinder haben, die sich diesem Pessimismus gleichfalls verschließen. Die für eine bessere Zukunft streiten, die ihre Vorschläge nicht damit begründen, wie es "früher" angeblich mal war, sondern was sie für morgen wollen. Es gibt keinen Gegensatz zwischen Kinderlosen und Menschen mit Kindern. Nicht zwingend. Aber einen, denke ich, zwischen notorischen Pessimisten, die zwar selten benennen können, zu welcher Zeit und an welchem Ort es konkret  "besser" gewesen sei, die aber dennoch immer davon reden, dass "heutzutage" alles schlechter werde.

Ich bin nicht gern mit PessimistInnen zusammen. Sie machen mich selten traurig, gelegentlich wütend. Meistens halte ich sie für ziemlich faul und dumm, besonders dann, wenn sie ihre Haltung zur Welt als höhere "Einsicht" verkaufen, der sich die Optimistin nur verschließe. Ich muss die Augen nicht zumachen vor Ungerechtigkeit, Mangel und Elend. Mir kommt vielmehr der Fatalismus der Pessimisten nur zu oft vor wie eine ewig wiederholte Selbstrechtfertigung, gelegentlich gar Selbstüberhöhung, mit der die eigene Unzulänglichkeit und Tatenlosigkeit wortreich und stillos getarnt wird. 

(Das ist alles nicht neu. Und wird hier nicht zum ersten Mal geschrieben. Ich bin nur heute grade besonders froh, dass ich keine Pessimistin bin. Und also vor 20 Jahren mit einem Sohn beschenkt wurde. Der zu einem großartigen jungen Mann herangewachsen ist, den ich mit Stolz und Staunen betrachte.)

10 Kommentare:

  1. Ein dichter, optimistischer Text, dessen Grundhaltung ich teile. Mir fallen dazu Worte Dietrich Bonhoeffers ein, die mich schon lange begleiten: „Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren, eine Kraft, den Kopf hoch zu halten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner lässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt. [...] Mag sein, dass der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.“ Widerstand und Ergebung, aus dem Abschnitt: Nach zehn Jahren)

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    1. Danke, Matthias, für diesen Hinweis auf Bonhoeffer, den ich gerne einmal wieder lesen mag.

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  2. dass man in diese welt keine kinder setzen dürfe, hab ich mit 15 geglaubt. und war doppelt und dreifach so alt, als ich es doch getan hab ...

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    1. Schön, oder? Die Kapriolen, die das Leben schlägt. Seltsamerweise hat sich mir die Frage so nie gestellt: Ob "man" Kinder kriegen "dürfe". Ich war nur unsicher, ob ich welche wollte. Dann wollte ich sehr welche. Und es hieß, ich könne keine bekommen. Als ich mich damit beinahe abgefunden hatte, wurde ich schwanger. ...Respekt, übrigens, manchmal versuche ich mich zu erinnern, wie es war mit so kleinen Kindern. Und denke: Frau, in deiner jetzigen Verfassung (mit 48) trau ich dir das nicht mehr zu. Aber, sagt man: Man ist ja nur so alt, wie man sich fühlt. Meine Freundin hat ihr Kind auch erst spät bekommen und manchmal beneide ich sie um die Gelassenheit, die sie ausstrahlt. Die hatte ich mit Ende 20 nicht.

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    2. oh, da sind wir ja genau gleich alt. und sie haben schon recht - es war vor 15 jahren alles ein wenig einfacher und ich fühle mich durchaus manchmal zu alt. allerdings bin ich jetzt ein ausbund an konsequenz, so viel davon hätte ich mir gar nicht zugetraut.

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    3. Es gibt kein "richtiges" Alter, denke ich. Das ist es ja: Es so zu nehmen, wie es sich eben ergibt. Wie schön in Ihrem Blog der Text über ihren Sohn! Hat mir große Freude bereitet, das zu lesen.

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  3. Zunächst wollte ich heftig widersprechen - schließlich bin ich, oder halte ich mich, für so pessimistisch und negativitätsgesättigt dass Sie die auratische Erschütterung in der Macht, wenn ich mich auf einige Kilometer Ihrem Blog nähern würde, schon spüren müssten, und trotzdem kreischt hier gerade mein vergnügter 5 Monate alter Sohn.

    Aber diesem Widerspruch müsste ich doch einiges an Zustimmung beifügen. Irgendetwas treffen Sie, auch bei mir. Das Kind zwingt mich jetzt zu Optimismus, bzw. muss ich feststellen, dass ich vielleicht doch nicht der pessimistische Miesepeter bin, für den ich mich immer hielt. Dennoch weiß ich nicht, ob sich diese Pessimismus-Optimismus-Dichotomie so durchhalten lässt, bzw. ob sie den Kern trifft. Was mir auffällt ist, dass ich zu einer tief verunsicherten Generation zu gehören scheine; die meisten meiner Freunde sind Akademiker, und die meisten davon haben Kinder - aber die Bangigkeit ist geradezu zum Greifen: bin ich, sind wir der Rolle gewachsen, schaffen wir das alles, behalte ich meinen Job usw. usf.? Irgendwie paradox: Waren doch meine Großväter, die also mit den Kriegszeiten oder wirtschaftlichen Engpässen noch wirkliche Unsicherheiten erlebt haben, ganz andere Typen - liegt unser Problem also an einem Mangel an echten Problemen, unsere Angst daran, dass wir eine ernstliche Prüfung noch nicht erlebten?

    Sie polemisieren wohl zu recht gegen die Rundum-Sorglos-Versicherungspaket-Wünsche der verunsicherten Versicherten,.. ich befürchte nur wir werden das nicht so schnell los, dazu sind wir zu lange darauf trainiert und es ist dem Arbeitgeber, Versicherungsvertreter und Politiker doch auch zu opportun uns so verhaustiert zu halten.

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    1. Wow, die Erschütterung. Suggeriere ich mir sogleich herbei. Sie dürfen trotzdem näher kommen (näher als "einige Kilometer" ;-) ).

      In diesem Blog, sag ich mal so salopp, wird der Widerspruch und das Widersprüchliche gefeiert und die Synthese flugs verschmäht (wie der heute eingestellte obszöne Optimismus beweist).

      Spaß beiseite: Ich inszeniere mich als Optimistin, weil ich es sein will. Mein Sohn wurde zu früh geboren; ich lag schwanger im Krankenhaus und fürchtete jeden Tag, dass die Geburt nicht länger hinausgezögert werden konnte. Und regte mich auf, was die Wehen anregte und... Typisch vergeistigte Pessimistin, halt. Neben mir lag eine Frau, die schon drei Kinder hatte. Sie war erst im 4. Monat, aber sie blieb ruhig. Ihr Kind wurde im 5. geholt. Ein Frühchen. Die Ärzte erklärten ihr die Risiken. Alles, was sein könnte. Sie nahm es hin und hoffte. Während ich lauschte und mir ausmalte...Pessimistisch.

      Ich will Optimistin sein. Mit Gründen. Dieser Sohn, der ist jetzt 20. Wir hatten Glück. Und ich bin dankbar.

      "Ernstliche Prüfungen" - es gibt sie, auch für "unsere" Generation. Sie bestehen darin, nicht ALLES kontrollieren und planen zu können. Sich darauf einzulassen, fällt "uns" vielleicht schwerer, aber es zu lernen, ist auch sehr befreiend.

      ...Ich schwafele so gediegen daher. Viel mehr als ich mich fühle oder im "richtigen Leben" verhalte.

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    2. Das ist mir jetzt ein bisschen peinlich: Ich hatte bei dem Profil-Login, als ich den Kommentar abschickte, so meine Probleme, so dass ich dachte, er sei ins digitale Nirwana gewandert - und nun sehe ich, dass er's doch durch die Netzwerkleitungen geschafft hat.

      Sie dürfen so gediegen daherschwafeln, wie es Ihnen beliebt(-;, Sie haben Ihren Sohn großgezogen,.. während ich jetzt erst kennenlerne, was für ein Kraftakt das sein kann, das es auch Momente beschert, die einen an die Grenzen heranführen. Vielleicht erlebt es jeder anders und hängt viel davon ab, wie man die Sache angeht, z.B. mit Optimismus, Lockerheit oder eben mit Katastrophismus und kontrollwahnhafter Verspanntheit? Aber bevor ich anfang, zu schwafeln, und mir noch den Kopf darüber zerbrech, ob dieser Kontrollwahn am Ende noch so eine deutsche Krankheit sei usw. usf...

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    3. Manchmal dauert es ein wenig, bis Kommentare freigeschaltet werden. Denn ich habe nicht immer Netzanschluss oder Zeit, mich um das Blog zu kümmern. Ohne Moderation geht es aber auch nicht mehr, denn manche Kommentare möchte ich einfach nicht auf meiner Seite stehen haben, weil sie hasserfüllt sind, andere Kommentator_innen ode mich beleidigen, weil sie von Menschen stammen, zu denen ich keinen Kontakt haben will oder weil sie schlicht Werbung für Dinge oder Seiten verbreiten, die ich nicht unterstützen möchte. Vor allem letzteres ist ein großes Problem geworden. Vieles schluckt der Spam-Filter von Blogger; gelegentlich schluckt er auch Kommentare, die ich freischalten würde. Nicht immer schaffe ich es im Spam-Ordner weit genug runter zu scrollen, um alles zu kontrollieren. Da kann es schon passieren, dass ein Kommentar im Nirwana verschwindet, der es nicht sollte. Dafür bitte ich an der Stelle mal alle um Entschuldigung, die es eventuell betrifft.

      ...Ich fände es schön, wenn Sie weiter "schwafeln"... über den deutschen Kontrollwahn and so on...

      Von "Natur aus" bin ich gar nicht gelassen und gar nicht entspannt. Gerade von dem Sohn, der vor 20 Jahren geboren wurde, kann ich da besonders viel lernen. :-) Meine beiden Söhne sind inzwischen erwachsen (20 und 18 Jahre alt).

      Wenn ich sie ansehe, empfinde ich unendlich viel Dankbarkeit. Und ich sehe: Beziehung und Freiheit - sind keine Gegensätze, sondern bedingen einander. Das kann eine/r auf unterschiedliche Weise lernen. Ich hätte es wohl auf keine Weise besser verstanden als durch die Beziehung zu meinen Kindern.

      LG

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