Letzthin habe ich erstmals von Enkelkindern geträumt (nicht im Sinne eines Wunsches; im Traumschlaf setzten sie sich mir auf den Schoß. Es könnte natürlich eine der unbewiesenen Theorie des Dr. Freud anhängen und behaupten, alle Träume seien Wunschträume, dann aber wäre dieser besonders schlicht gewesen. Oder verdiente tieferer Analyse der Details, die ich - aus Gründen - hier nicht ausbreiten werde.). Die Baby-Boomer (ich bin 1965 geboren) werden alt, habe ich anderswo gelesen - und dafür scheint mir auch dieser Traum ein Zeichen.
Wahr ist indes: Wir werden nicht alt, wir sind es. Gemessen an einer Lebenserwartung, wie sie über Jahrhunderte galt, und sich in unsere Kultur eingeschrieben hat, gehören wir längst zu einer Altersgruppe, die nichts mehr zu erwarten hat als den Tod. Dass wir inzwischen davon ausgehen können (oder müssen), auch nach dem 50. Geburtstag noch ca. 30 Jahre zu leben, schlägt sich erst nach und nach in den Geschichten, Bildern und Filmen nieder. "Menschen in mittleren Jahren" nennen wir uns jetzt und wollen immer noch alles: Sex, Leidenschaft, Perspektiven, Abenteuer, Alkohol und spontane Partys. Nur eines nicht: Bilanz ziehen.
Ich lasse nach. Wie meine Augen. Da ist der schmale Grat zwischen Selbstoptimierungszwang, den die Werbung suggeriert, und Selbstvernachlässigung, die sich wieder mal (oder immer noch?) rechtfertigt mit der Hierarchie von Körper und Geist bzw. Oberfläche und tiefem Grund. (Meine Sozialisation sorgt dafür, das mir letzteres widerwärtiger als ersteres erscheint und ich mich also eher etwas mehr um Äußerlichkeit und Präsentation bemühe - Mode, Make-up, Schuhwerk - als etwas zu wenig. Aber meine Fingernägel kann ich immer noch nicht selbst ordentlich bemalen.) Trotzdem: Der Hang zum Nachlassen. Zum Einrichten. Zum Grau, statt zu Schwarz/Weiß. Die versöhnliche Haltung gegenüber Kitsch und Idylle. Die Lächerlichkeit jedes Widerstands, der notwendig verkrampft. Und die Resignation, die sich so süß anfühlt.
Da kann eine was dagegen tun. Wandern? Yoga? (Dehnung, Streckung, sich spüren und fordern!) Lesen?
Dead Kennedys: Forward to Death
"It seems so unreal to me
So much hate and so much pity..."
Musik hören! Auch retro, klar! Aber dahin geht´s immer: Vorwärts. Rückwärts ist dagegen immer Irrtum, Selbstbetrug, Religionsersatz (böse Kunst!):
"Wenn also, so schrieb ich, sie sich entschließen könnten die Sagrada Famiglia zu schließen, für immer zu verschließen, so dass keiner sie jemals wieder betritt, wenn sie einmal freiwillig verzichteten, einfach, weil es richtig ist, wenn das möglich wäre, dass sie in einem großen Entschluss das Feld überlassen der wahren Sühne für alle, die gesündigt haben und also für ALLE und ließen es einfach stehen als ein Heiligtum, das keiner betreten dürfte, nicht einmal ein Priester. Mit der Zeit verschwänden alle Erinnerungen daran, wie es im Inneren der Kathedrale aussieht, die niemals vollendet werden kann, und zwischen den steinernen Stämmen könnten Bäume wachsen bis zur Decke. Es wäre eine Zuflucht, für alle quälenden und gequälten Phantasien und endlich eine Anbetung des Heiligen, die sich nicht selbst feiert. Sie nähmen sich zurück, verstehst Du, an einer einzigen Stelle, nähmen sich alle zurück und ließen etwas stehen und von alleine zerfallen."
Brief von Ansgar an Emmi, Spätsommer 1984 (Auszug aus PUNK PYGMALION, 2014)
Es gibt, selbstverständlich, Heilung von dieser Anmaßung (unter anderem der Kunst und der Künstler) in der Moderne: Einsicht und Einwilligung in Gebürtlichkeit und Sterblichkeit.
Liebe Jutta,
AntwortenLöschenein Kunde, dem ich Punk Pygmalion empfohlen hatte, bat mich gestern, Dir auszurichten, wie gut es ihm gefallen hat. Er ist ein ziemlich kritischer Vielleser und findet dein Buch "super gemacht, sehr anspruchsvoll, mitreißend, toll die Einbindung in zeitlichen/ geschichtlichen Kontext, gegen Mainstreamlesegewohnheiten, einfach insgesamt toll". Also, er war ganz offensichtlich sehr angetan. :-)
Liebe Grüße,
Iris
Wow! Das freut mich. Sehr.:-)
AntwortenLöschenMomentan vernachlässige ich das Blog ein wenig. Bin so müde. (Prüfungen, Gutachten - und die Nachwirkungen einer heftigen Grippe.) Außerdem räume ich. Miste aus. Es ist entschieden: Wir werden ausziehen. Zum Glück haben wir Zeit. Denn es ist unglaublich, wie viel sich angesammelt hat.... Ganz herzliche Grüße Jutta