Mittwoch, 1. Oktober 2014

JUNG UND NETT (1986) (aus der Serie: Auto. Logik.Lüge.Libido.)

Ich will dir eine Geschichte erzählen. Wie ich einmal jung war... Ich höre deine Einwände, wie immer, sofort in meinem Ohr. Doch dies ist kein Fehler. Ich war nicht mal jung, sondern einmal. Genau einmal. Und andere Male. Aber nicht mal - und dann nicht mehr. Verstehst du das? Es ist nicht gut, eine Geschichte so zu beginnen, das sehe ich ein. Du solltest gleich mittendrin sein können in der Geschichte. Und es taugt auch nichts, dass ich ihr, indem ich dies voranschicke, einen autobiographischen Anstrich verleihe. Der sowieso nur gelogen sein kann, wie wir beide wissen.Trotzdem war das nötig. Diese Erklärung, diese Präambel zur Geschichte, der Hinweis auf den Unterschied zwischen mal und einmal. Ich hoffe sehr, dass du das verstehst, denn ich bin darauf angewiesen mit meiner Geschichte.

Tob hatte zu ihr gesagt: "Geh du mal. Du bist nett." Das war nicht nett gewesen und gemeint vom Tob. Im Gegenteil. Nett war gleichbedeutend mit harmlos, schlicht, blöd. Und genauso kam es auch rüber, als Tob das sagte. Er wollte sie ein bisschen runtermachen und abfertigen, einerseits, mit der Bemerkung und andererseits wollte er tatsächlich erreichen, dass sie sich drum kümmerte. Denn es stimmte: Sie war nett und das konnte gelegentlich hilfreich sein. Sie hatte dieses kleine Äffchengesicht mit den großen Audrey-Augen und dem weichen Mund, in das nur die große Nase nicht so ganz rein passte. Aber damals, als sie noch jung war, störte sie das nicht sehr. Später übrigens auch nicht. Das war eine der Sachen, die sich von heute aus gesehen kaum noch erklären lassen: Wie eine ein Mädchen sein konnte und mittelgroß, mittelschlank, mittelblond und mittelhübsch, ohne sich ungenügend zu fühlen. Es waren eben Zeiten, in denen es möglich war oder schien, ein Mädchen zu sein, ohne sich am Hollywood-Standard zu messen. Außerdem: Sogar Hollywood-Schönheiten hatten damals ein kleines Bäuchlein oder sogar schiefe Zähne. Es galt das Gebot der Natürlichkeit, was auf seine Weise sicher auch unnatürlich und kritikwürdig war, aber darüber dachte sie zu jener Zeit nicht nach. Sie fühlte sich, so komisch das klingen mag, wohl in ihrer Haut, wenn auch nicht in Tobs Gesellschaft. Denn Tob hatte es raus, sie fühlen zu lassen, wo sie nicht genügte: Dass sie eben nett war und nicht cool. Sie sei brav, wollte Tob damit sagen und genau das wollte sie eben nicht sein, als sie jung war. Sie wollte rebellisch sein und heftig. Sie wusste nicht genau, was Tob so reizte an ihr. Einmal hatte er gesagt: "Das kann ja keiner übersehen, wie gesund du bist." und das hatte noch böser gelungen als der Satz über ihre Nettigkeit. Gesund und nett. Scheiße. 

Nachdem Georg ihr auf der Fete durch den Lärm ins Ohr geschrieen hatte: "Ich liebe dich.", war Tob noch ekliger geworden. Dabei konnte er das doch gar nicht gehört haben von seinem Platz hinter der Anlage her. Gesehen haben konnte er nur, wie sie Georg abgeschüttelt hatte, ganz sanft und lieb, und ausgelacht, weil das gar nicht ernst zu nehmen war, denn Georg war doch dauernd verliebt damals in irgendeine und ganz bestimmt am allerwenigsten in sie. Ernsthaft. Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Aber Tob war sehr grimmig gewesen danach und hatte untanzbare Musik aufgelegt und Georg hatte versucht sie festzuhalten und auf den Mund zu küssen, aber sie war unter seinem Arm durchgetaucht und hatte sich zu Billy hinter die Getränkeausgabe zurückgezogen. Sie wusste nicht mal mehr, warum diese ganze Episode in ihrem Kopf untrennbar mit Tobs störrischem Blick verbunden war, denn egal, wie eine das drehte oder wendete und was immer Georg sich dabei gedacht haben mochte, es ging jedenfalls Tob gar nichts an. Denn Tob hatte doch was mit Elke zu dieser Zeit, wenn er auch sonst noch mit anderen Frauen rummachte, aber Elke war die Konstante bei Tob. Georg und sie waren zu der Zeit gewissermaßen Solo gewesen, kurzfristig, bevor die Sache mir ihr und  Bert wieder ins Reine gekommen war. Aber das alles hatte Tob doch gar nicht wissen können. Am Ende von dem Abend, als sie das Geld in der Kasse gezählt hatten, hatte Georg, der wieder ein bisschen nüchterner war, sich entschuldigt. Er hatte aber auch gesagt: "Und es stimmt doch. Damit du das mal weißt." Und sie hatte ihn über die Wange gestrichen und gesagt: "Komm. Lass mal." Da war Tob aufgetaucht, vom Klo oder wo und hatte den Satz mit der Gesundheit gesagt, der so böse geklungen hatte. Beinahe hätte sie geheult und Georg hatte es auch gleich gemerkt und hatte sie in den Arm genommen. Später waren Georg und sie zusammen nach Hause geradelt, denn sie wohnten damals in der gleichen Gegend. Vor ihrer Tür hatte Georg wie jedes Mal gefragt: "Krieg ich noch ´nen Absacker bei dir?" Sie hatte schon aufgeschlossen und hätte ihn mitgenommen hoch in die Wohnung, aber diesmal hatte er plötzlich gesagt: "Nee. Doch nicht. Ich hatte schon genug." Und war davon geradelt. Danach war es nie mehr gewesen wie vorher zwischen Georg und ihr. Bis auf diesen einen letzten Kuss kurz vor seinem Tod war er ihr nie mehr so nahe gekommen wie an diesem Abend. 

Aber Tob. Der hatte danach öfter bei ihr rumgehangen, als Bert und sie schon wieder fest zusammen waren. Immer war Tob so latent aggressiv aufgetreten. So, als wolle er ihr zeigen, dass sie nicht ganz dazu gehörte, dass sie nur geduldet war von ihm, vom großen Tob in seinem Kreis. Als müsse sie sich beweisen. Und sie hatte das irgendwie anerkannt, hingenommen, sich dem ausgesetzt. Weil Tob cool war. Ungebunden. Herrisch. Weil sie das beeindruckte. Als sie einmal jung war, hatten Arschlöcher sie beeindruckt, dachte sie. So war das gewesen. In ihrer Stammkneipe waren sie beim Gras rauchen aufgefallen. Das heißt Tob. Sie rauchte ja nicht. Jedenfalls kaum. Bert auch nicht. Elke und Tob, die zogen sich was rein. Und Georg, wenn er dabei war. Aber in der Kneipe hatten sie es bis dahin noch nicht gemacht. Weil die Geller, die Wirtin, wenn die das spitz kriegte, gab es Hausverbot. Was zu vermeiden war, denn nirgendwo war das Bier so billig und die Plätze so gut. Sie sollte das mit der richten, meinte Tob. Weil sie ja nett war. Nett und brav. Das funktionierte auch. Sie tat, wie ihr geheißen. Redete der Geller gut zu. Kullerte mit den Augen. Lieb. Gehörig. Da waren sie wieder wohlgelitten. Natürlich auch wegen der Rechnungen, die Tob auflaufen ließ und dann am Monatsanfang immer prompt bezahlte. Deswegen bestimmt auch. Denn so ein Geschäft ließ sich die Geller nicht entgehen. 

Dann traf sie Georg eines Tages auf der Straße. Er war gesprächig wie schon lange nicht mehr. Redete über die Seminare und Hausarbeiten, Konzerte, Dealer und Spieleabende. Unglaublich. Zupfte sie am Ärmel, legte ihr den Arm um die Schultern, wie er es schon ewig nicht mehr getan hatte. Sie standen an einer Bushaltestelle. Elke stieg aus und nickte ihnen kurz zu. Georg küsste sie auf die Wange und verabschiedete sich. Sie sah ihm nach, wie er in der Fußgängerzone im Gewühl verschwand. Da war sie sehr jung gewesen, wie sie ihm da nach blickte. Ganz jung, ganz naiv, ganz wissend. Georg und Elke also. Jetzt.  Liebte Georg nicht mehr sie. Georg liebte jetzt Elke. Und Elke liebte Georg. Und Tob durfte von nichts was wissen. So war das also. Und sie war lieb und nett. Weswegen sie das wusste. Von einem Moment auf den anderen. 

So ein Durcheinander, verstehst du, so eines gibt es nur, wenn du ganz jung bist. Und das bist du nur einmal. Viele Male. Mit vielen. Aber einmal. Das ist mir jetzt ziemlich missglückt. Das Erzählen. Ich wollte das anders aufziehen. Spannender und mit Schlusspointe. Die bleibt aus. Blieb aus. Wenn du jung bist, immer.

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