Sie
war und wollte eine auffällige Erscheinung sein. Immer Auftritt, aber im
Inneren die Angst und die Depression stets auf der Lauer. „Ein heißer Feger“,
flüsterte es hinter ihr her, wenn sie die Treppe hinaufstieg ins Turmhaus, wo die Schönen und Reichen und
Gebildeten das Tanzbein schwangen. Lippen auf Alarmrot, die Nüstern gebläht,
wie eine Zuchtstute das Haupt in den Nacken gelegt, eine edle Bewegung, dafür
aber der Hals zu kurz, eigentlich. Sie kompensierte das mit einem Blick unter
exakt geschwungenen Brauen aus giftgrünen katzenhochmütigen Augen. Das lockige
Haar schwang um ihre Schultern in falschem Tizianrot. Sie wollte keine
Naturgewalt sein, sondern das hohe Bild der zweiten Natur: Mehr Erotik als Sex,
aber stets ein Angebot, unter der Hand, für den Mann, der das Alpha-Tier
vorstellte oder den sie dazu machen konnte. Jede Geste zeigte an: „Ich bin der
große Preis.“
So
tauchte die wieder auf, die einmal die Bohnenstangen-Sabine gewesen war und sich jetzt Sabia Hart nannte,
modelhaft, und keine konnte einer wie ihr ohne Vorurteile begegnen. So viel Schau, da ließ sich leicht an der
Substanz zweifeln. Das war ein Fehler und nicht unser einziger. Sie hatte sich verwandelt
und wir sogen die Luft ein. Doch das Spiel, das sie spielte, begriffen wir
weder damals noch später. Die Kampfszene, in die sie eingestiegen war,
vielleicht hatte einsteigen müssen, auch um unseretwegen, unserer Worte und
Blicke willen, verstanden wir nicht. Sie wollte gesehen werden, aber die Blicke,
die sie trafen und die sie verschoss, galten nicht gleich viel.
Kerstin,
die einmal „die Schlaue“ gewesen war und nun ein Mittelstandsmusterleben in der
Provinz führte, hatte den berühmten Pianisten, dessen Einspielungen sie
sammelte, an jenem Abend hören wollen und den Freund überredet, sie zu
begleiten. Von ihr hörten wir später, wie diese Begegnung mit der, die
wir vor Zeiten Bohnenstangen-Sabine gerufen hatten, verlaufen war. Das meiste
mussten wir uns zusammen reimen, denn Kerstin war keine gute Erzählerin. Mit
geschlossenen Augen, so stellten wir uns vor, hatte Kerstin dem Spiel
gelauscht, ihre Hand sanft und trocken in die ihres Begleiters gelegt. Sie saßen in der ersten Reihe der Stühle,
die an jenem Abend im Halbkreis auf den Tanzboden gestellt waren, um dem
Pianisten eine Bühne zu schaffen, die Beine einander spiegelnd übereinander
geschlagen, ihre Füße sich gelegentlich leicht berührend. Der Meister spielte
gut, wenn auch, wie Kerstins Gefährte später feststellte, beinahe zu virtuos.
Zu sehr, so fanden beide, war sich der Mann in jedem Augenblick seiner selbst
und seiner Begabung bewusst, spielte vor,
gab sich nicht aus. „Trotzdem, war´s gut.“, resümierten sie im Foyer danach.
Nach dem Vortrag standen die geladenen Gäste noch eine Weile herum, Weingläser
wurden ausgeschenkt, Brezeln aus Körben angeboten. Ein alter Bekannter stellte Kerstin
den Pianisten vor.
Sie,
so behauptete sie, sei überrascht gewesen wie dieser Mann sie taxierte, als sei
sie solo gekommen, aus tiefliegenden, von schweren Lidern verschatteten, beinahe
schwarzen Augen. Das dunkle geölte Haar und sein Monjou-Bärtchen, über das er
sich fortwährend strich, verstärkten die, ohne Zweifel beabsichtigte, Reminiszenz
auf einen ruchlosen Dandy der 20er Jahre. Seine Stimme war rauchig, ein
heiseres Flüstern, als hätten sie beide etwas miteinander zu verbergen, so
legte er ihr seine Hand auf den Unterarm: „Sie kennen meine Musik? N´ est pas?“
Die Bewegung hatte etwas Entblößendes. Kerstin fühlte sich nackt. Ein leichtes
Tippen seiner Fingerspitzen, kaum spürbar. Dann ließ er wieder los.
Dieser
Flirt aber, so stellte Kerstin es dar, galt nicht ihr, nicht wirklich, sondern
dem, der sie begleitete, ihrem Mann, wie der Klaviervirtuose offenbar annahm,
und ihr, der Roten, der schönen Sabia, seiner
Frau. Die sie nicht war, andererseits, was eine Rolle spielte, die aber
Kerstin an jenem Abend noch nicht durchschauen konnte. Wir waren nicht
überzeugt, denn wir ahnten, wie sehr Kerstin, die Spröde, ihre eigene
Anziehungskraft unterschätzte.
Was
jedoch sicher stimmte: Das Spiel, das hier gespielt werden sollte, zwischen
Hart und dem Pianisten, überforderte die schlaue Kerstin. Was sich an jenem
Abend zwischen Sabia, Kerstin und dem Pianisten anbahnte, beruhte schon auf so
tiefen Missverständnissen, dass sie auch später keine Erneuerung der alten
Freundschaft - die in Sabias Augen ohnedies niemals bestanden hatte- je würde
wieder auflösen können. Kerstins
Begleiter reagierte nicht auf den Pianisten. Er sah wohl das Spielbrett, aber
die Spieleröffnung, die ihm galt, entging ihm. „Magst du ein Glas Roten?“,
fragte er und als Kerstin nickte, wandte er sich ab, unbesorgt, um sich in der
Schlange anzustellen. Der Pianist lächelte, kein anderes Wort passt besser als:
maliziös. Weniger galt seine Verachtung ihr, der kühlen Blonden, die der
Verteidigung nicht wert zu sein schien, als dem anderen Mann, der den Kampf
nicht angenommen hatte.
Hart
dagegen nahm an. Mit dem Oberkörper lehnte sie sich leicht seitwärts gegen die
Brust des Pianisten. Hätte sie ihren Arm, wie eine Bürgerliche des 19.
Jahrhunderts im Stadtpark, unter seinen Arm geschoben und einen Schirm
geschwungen, die Geste hätte nicht besitzanzeigender und abwehrender zugleich
sein können. Sie hatte Kampfstellung bezogen. „Wir Künstler“, lächelte sie,
„müssen euch sehr kapriziös erscheinen.“ Er genoss es, ungemein. „Aber warum
denn, meine Liebe, darf ich Ihnen Sabia Hart vorstellen, eine sehr, sehr gute
Freundin.“ Das war geschickt. Er sagte nicht: meine Freundin. Oder: meine
Geliebte. Dennoch war es eindeutig: sehr,
sehr, das e gezogen und das r gerollt. Aber auf eine Weise ausgedrückt, die
die Geliebte auf Distanz hielt. Die Botschaft an Kerstin, der er tief in die
Augen schaute, lautete: Wenn Sie wollen... Die ehemalige Bohnenstange bemerkte das wohl und fuhr die Krallen aus. „Wirk kennen uns“, ließ
Kerstin ihn wissen, „von früher. Obgleich du dich“, wandte sie sich an Sabine-Sabia,
„sehr verändert hast. Kaum wiederzuerkennen.“ Hart schnurrte. Das Angebot, das
er Kerstin gemacht hatte mit den Augen, brachte sie in Wallungen. Das war der
Preis, um den er zu haben war, und der seinen Wert steigerte. Dass er sie
kämpfen ließ. Ohne die dauernden Kränkungen hätte sie ihn gar nicht haben
wollen.
Was
ging in ihr vor an jenem Abend, als sie eine von uns zum ersten Mal wieder traf
nach so langer Zeit? Sah sie in Kerstin ein Mäuschen, das es wagt, mit der
Katze zu spielen? Wir hatten sie bedauert, früher, aber Kerstin schauderte es
nun, wenn sie an den Blick dachte, mit dem Hart sie gemustert hatte.
Durchdringend, gierig, verlangend. Spiel
mit uns. Wags doch. Und was sah er? Die Beute eines anderen, um die es sich
zu streiten lohnte? Es waren andere Frauen anwesend, schönere, teurere als
Kerstin an jenem Abend. Warum sie? Die versuchte ein Gespräch in Gang zu
bringen: „Du bist Sängerin geworden?“, fragte sie. Hart legte den Kopf in den
etwas zu breiten Nacken, als wolle sie jenen kleinen Makel durch die Dehnung ausgleichen, bevor sie
Kerstin ihr breitestes Lächeln schenkte: „Du hast bestimmt von meinem Engagement in H. gehört.“ Kerstin
verneinte. Harts Züge erstarrten, jedoch nur für einen winzigen Moment.
„Holst
du mir meinen Mantel?“, wandte sich Kerstin, der kalt geworden war, an ihren
Begleiter. Er strich sanft mit der Hand über ihren Rücken. „Müde?“ Sie nickte,
erleichtert. Als er zur Garderobe ging, beugte sich der Pianist zu ihrem linken
Ohr: „Wir werden uns wiedersehen.“, flüsterte er, die Lippen fast gegen ihre
Muschel gepresst. Kerstin zitterte. Der Pianist lachte entspannt auf: „Sie sind
eine wunderbare Zuhörerin.“ Er hob
ihre rechte Hand seiner Nasenspitze entgegen und hauchte einen angedeuteten
Kuss darauf. Hart neben ihm schüttelte sich kaum merklich, aber Kerstin war
sich dennoch sicher, die Bewegung wahrgenommen zu haben. Kerstins Begleiter kam
mit dem Mantel zurück und sie schmiegte sich an ihn, strich mit ihrer Wange über seine Hand, die ihr den Ärmel
half. Er suchte, ein wenig irritiert, ihren Blick. „Alles in Ordnung?“. Sie
nickte und klammerte sich noch etwas enger an ihn. Sabine Hart legte ihr zum
Abschied eine Hand auf den Arm: „Wir werden uns wiedersehen.“, wiederholte sie
exakt die Worte des Pianisten.
Kerstin
benutzte, als sie uns davon erzählte, nicht das Wort Flucht. Aber so etwas muss
es gewesen sein. Sie glaube nicht, sagte sie, dass sie Sabine Hart, die
Bohnenstange, die eine Rote geworden war, sinnlich, ergreifend, besessen von
ihm, dem Pianisten, je wiedersehen werde. Sie jedenfalls, behauptete Kerstin,
wolle das nicht. „Irgendwie“, sagte sie, und das Wort entlarvte sie mehr als
das Zittern ihrer Stimme, machten die ihr Angst, diese unbekannte Sabine-Sabia und ihr
Pianist. Damals ahnten wir noch nicht, was kommen würde. Aber keine von uns
glaubte Kerstins Beteuerungen.
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