Donnerstag, 22. Oktober 2015

MÄANDERN UND WANDERN ("...und eine andere Jutta" weiß die Wege nicht)

"Du bist matt wie eine, die aus dem Hause dessen entlassen ist, der dich erschaffen hat. 
Warum zweifelst du, als seiest du nicht erlöst? 
Suche also Gott in der Bedrängnis und im Schmerz deines Herzens und du wirst leben."*




Es wirkt dieser Ort, in güldenen Herbstsonnenschein getaucht, selbst auf ein spirituell unmusikalisches Gemüt: der Didisbodenberg über dem Nahetal, wo Jutta von Sponheim, Hildegard von Bingen und "eine andere Jutta" vor beinahe tausend Jahren einzogen in eine Klause am Rande des Männerkonvents. Dort, wo die Ruinen dieser Frauenklause stehen, haben andere Frauen aus Sand ein Labyrinth gezeichnet. 



Labyrinthe sind Symbole jenes Denkens, das nicht an die Eine/das Eine glaubt, der Wahrheit huldigt und nach Herrschaft strebt, sondern sich in Beziehung bringt zum Lauf der Dinge, zu Verbindungen und Wandlungen, das nicht den kürzesten Weg sucht, sondern den beziehungsreichsten. Ich drücke das im vorhergehenden Satz in der Form eines Dualismus aus (...sondern...) und damit - > falsch. 
Es kann, es wird ein Denken als Wunschform sich entwickeln, dem das Fortschreiten und der Kreislauf keine Widersprüche sind, dem die Sehnsucht nach dem Absoluten und die Bescheidung ins Lebendige keine Gegensätze werden, das die Fruchtbarkeit feiert, ohne die Sterblichkeit zu negieren. 


"Gott kann nicht durchsucht und durchsiebt werden nach Menschenart, 
weil in Gott nichts ist, was nicht Gott ist."*





Scherzhaft sprach oben auf dem Berg Morel über einen melancholischen Abschied von der Dialektik. (Ich weiß nicht, ob ich ihn recht zitiere. Er wird sich wehren, wenn´s so nicht stimmt, hoffe ich.) Mir bleibt das fremd und anderes auch: Ich spinne keine Fäden und häkele kein Kleid, ich lege die Bücher der klugen Männer ohne Bedauern aus der Hand und streichele sanft mit dem langen Finger über meine rechte Flanke. Die ich bin, lässt sich vom großen Kitsch einfangen und nicht einmal von einem blauen Notköfferchen mit Heiligenbildchen und billig gepressten Hildegard-Amuletten wegschrecken. 

Es leuchtete so goldig durch die herbstlichen Blättern. Was als Ruine verfällt, größtenteils, war heroben jedoch noch nicht mal gebaut, als Hildegard und die beiden Juttas hier lebten. Selbst der Verfall ist jünger als unser vermeintliches Wissen. Sie, die Heilige, soll sich hier fürchterlich gequält haben. Sie sah das Wissen (Scivias!) leuchten, weil ihre Augen versagten, sagt man. 

Ach, ich möchte die Sonne nicht missen und das Laub unter dem Füßen. 




"Von jedem Gedanken, der gedacht werden kann, ist auch das Gegenteil wahr."* 

Wer nicht halluziniert, hat vergeblich gelebt? Der Logik kann ich die Treue nicht halten, die sie verdient. Andererseits: Nichts ekelt mehr als die wohlfeile Aufklärungskritik der Mosebachs und Kermanis, die ihren mächtigen Gott, seine Propheten, Rituale, Kriege und Qualen retten wollen gegen jene relativistische Belanglosigkeit blutleerer Liberaler, die ihnen fade erscheint. Sie beten um ihrer (vorgeblichen?) Liebe zur Schönheit ("der Herr", "die Frauen", seufz!) willen und bitten (angeblich?) die entsetzliche Entität um Gnade, weil es so herr-licher klingelt (nicht nur im Beutel; das gebe ich ihnen zu). 
Ich spotte nicht. Ich schaudere.

Mäandern. Und wandern. In Gedanken und auf Füßen. 


Aß eine schwedisch-leckere Käsekuchen-Variation. Trank Ingwer-Tee. Saß in der Bio-Sauna. Probierte Rotschiefer-Riesling. Las Hedwig Dohm, Mary Wesley, Alice Berend, Miranda July. Schrieb: Nichts. Die Knoten rechts und links der Halswirbelsäule wurden durch herbe Griffe gelöst. 

Ich tanke. Ich schlafe. Schlafe. Schlafe. Ein Glück, das nur begreift, wer die Folter der Schlaflosigkeit kennt. 



Es gibt in einem Labyrinth kein Oben und Unten. 
Entbehrliche Verzierungen sind zu entfernen.

*Zitate aus Hildegard von Bingens "Scivias" (Wisse die Wege)

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