ALICE BEREND (1875 - 1938) |
Porträt von Emil Stumpp (1928) |
Sie war eine der Erfolgsschriftstellerinnen des ausgehenden Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Ihre Romane erschienen im S.Fischer-Verlag. Die Nationalsozialisten setzten, nachdem sie an die Macht gekommen waren, ihre Werke auf die Liste des „unerwünschten Schrifttums“. Alice Berend emigrierte, gemeinsam mit ihrer erwachsenen Tochter, nach Florenz, wo sie 1938 vergessen und verarmt starb. Kaum jemand kennt ihren Namen oder ihre Romane noch, obwohl viele von ihnen jetzt wieder, beinahe oder vollständig kostenlos, als E-Books zu haben sind.
Ihre Romane schildern bürgerliches Leben, klein- und großbürgerliche Milieus am Anfang des 20. Jahrhunderts. Verniedlichend wurde sie auch „ein kleiner Fontane“ genannt. Die Erzählweise ist scheinbar unmodern: die Handlung wird chronologisch entwickelt, viele und vieles gelegentlich ausschweifend beschrieben, Dialoge nehmen großen Raum ein. Eine auktoriale Erzählerin hat alle Fäden in der Hand, kommentiert das Geschehen mit bisweilen altklug erscheinenden Lebensweisheiten. Diese sind aber niemals ganz ernst gemeint, sondern werden mit einem Augenzwinkern vorgetragen. Auf den „gesunden Menschenverstand“ wird einerseits durchaus gebaut, (pragmatische Charaktere, die dem Heroismus widerstehen, genießen Sympathien, während exaltierte Figuren karikiert werden), andererseits aber auch durchaus misstraut (nicht immer ist, was „sich schickt“ oder gerade angesagt ist, letztlich empfehlenswert).
Eine kleine Auswahl (als Appetizer):
„Frau Hempels Tochter“ (1913) erzählt vom gar nicht märchenhaften Aufstieg der Hempels, einer Hauswartin und ihrem schusternden Mann, die in einer feuchten Kellerwohnung hausen, aber für die Zukunft ihrer Tochter Laura sparen. Die Hempels kaufen vom ersparten Geld zunächst eine Badeanstalt. Herr Hempel stirbt und Laura heiratet einen Verehrer, für dessen Familie sie, die als Dienstmädchen hat arbeiten müssen, lange nicht gut genug gewesen ist. Die Mutter kann von dem mit der Badeanstalt erworbenen Geld ein großes Mietshaus in Berlin erwerben. „Man ist, was man geworden ist. Es war Laura ganz selbstverständlich dass sie ihren reizenden Knaben das Spielen mit den wilden Straßenkindern verbot.“ Die Kritik der Berend an Standesdünkel kommt leise daher, ist aber nicht minder scharf.
„Die Bräutigame der Babette Bomberling“ (1915) ist ein hinreißend komischer Roman über aufgestiegene Kleinbürger_innen, bornierte Studenten und dünkelhafte Adelige. Babette Bomberling, ein hübscher Teenager mit romantischen Träumen, soll von der Mutter an den Mann gebracht werden. Ein Hindernis für die mütterlichen Ambitionen ist die Herkunft des Bomberlingschen Vermögens aus der Sargfabrik des Herrn Bomberling. Kandidaten werden geprüft, Babette schwärmt für den Bruder einer Freundin, eine Italien-Bildungsreise wird unternommen, um geeignete Bekanntschaften zu schließen. Die Damen Bomberling kehren jedoch desillusioniert nach Berlin zurück. Babette nimmt Paul, der einmal Lehrling bei Bomberling gewesen ist und zuletzt die in den Konkurs schlingernde Fabrik durch eine Sortimentsänderung rettet. Die Mutter ist zufrieden, nicht nur weil sie jetzt nicht länger Diät halten und seltsame Sportübungen in ihrem Schlafzimmer aufüben muss, um schlank genug für die höheren Schichten zu werden. „Immer wilder purzelte alles in ihrem Kopf zusammen. Wie heißer Kaffee durchströmte sie die Freude. (...) Es gibt nämlich keine modernen Mütter. Es gibt nur Mütter.“
In „Spreemann und Co.“ (1916) wird der Aufstieg eines Berliner Handelshauses von den Befreiungskriegen bis zum Kaiserreich nachgezeichnet. Politik spielt eine Rolle, aber nur am Rande. Es ist die Perspektive der Ehefrauen und Mütter, die Berend stärkt, die sich um ihre Männer und Söhne sorgen, darum dass sie heil nach Hause kommen, unverwundet an Leib und Seele, während, was am Stammtisch der Männer diskutiert wird: feiger Liberalismus, der nichts kosten soll, oder plumper Nationalismus, der pseudoheroisch herausposaunt wird, karikiert werden. Die Brüder Spreemann, Erben des Firmengründers, verlieren einen erheblichen Teil ihres Vermögens bei der Spekulationsblase, die 1878 platzt, aber die Mutter sorgt dafür, dass dadurch die familiären Bindungen nicht zerstört werden. „Das Leben geht weiter. Sofort nach der Beerdigung des Vater mussten die Söhne zu einer amtlichen Besprechung, die ihren Neubau anging. (...) So ist es nun einmal. Zu irgendeiner Stunde müssen wir fort und alles zurücklassen. Unsere Träume, wie das Erworbene, nimmt eine neue Zeit als Erbe. Doch gerade daher kommt´s, dass niemand umsonst lebt.“ Klaus Spreemann, der verstorbene Patriarch, so hatte die Leserin am Anfang von Berends Roman erfahren „hatte nie in einer Wiege gelegen. Auf einem alten Sack, der mit Lumpen aller Art gepolstert war, hatte er sich hineingeschlafen ins emsige Leben.“ Eine bitter-süße Aufstiegsgeschichte: Denn die Söhne geben am Ende das Textilkaufhaus am Dönhoffplatz, das der ganze Stolz des Vaters gewesen ist, auf.
„Das verbrannte Bett“ (1926) trägt schon beinahe kafkaeske Züge (freilich nur, wenn man in Kafkas Werken auch den Humoristen mitliest). Aus der personalen Perspektive von Josef Blümel, seines Zeichens Kanzleioffizial in Wien, wird von einer tragisch-komische Werbung des alternden Mannes um eine Berliner Ladenbesitzerin erzählt, die tatsächlich aber den adeligen Hallodri Udo verliebt ist, den sie seit ihrer Kindheit kennt. Herr Blümel, seiner eigenen Gefühle keineswegs sicher, aber von paranoiden Einbildungen darüber getrieben, wie sein Umfeld das Verhalten des Hagestolz wahrnimmt, gibt sein behagliches Junggesellenleben auf, sein Bett brennt sogar, aber am Ende ist alles umsonst: Die Umworbene sagt ab. DochHerr Blümel weiß, dass er sogar Glück gehabt hat: „Sogar sein Bett kam zurück. Mit einem neuen Pfosten. Die Unkosten waren gering. Besonders für jemanden, der sich berechnen konnte, welche Ersparnisse er in diesen Tagen erreicht hatte.“
Alice Berends Romane sind unterhaltsam im besten Sinne des Wortes. Sie kritisiert die (klein-)bürgerliche Weltsicht ihrer Protoganist_innen scharf, aber durchaus mit Verständnis für deren Idiosynkrasien, Abstiegsängste und Aufstiegswillen. Wo Fontane ironisch ist, wirkt ihre Darstellung bisweilen schon satirisch. Den Zeitgenossen galt soviel Humor bei einer Frau fast als unheimlich. Keineswegs idealisieren diese Romane eine nostalgisch verklärte „Gute alte Zeit“. Schon in ihrem gleichnamigen Essay-Buch, das u.a. Kants Testament auseinander nimmt, hatte Berend einer solch rückwärts gewandten Sicht einen satirischen Riegel vorgeschoben: „Der Spießbürger ist der notwendigste Bestandteil der menschlichen Gesellschaft. Sein Wohlbehagen, seine Gesunderhaltng, sein Zerstreuungsbedürfnis, seine Sehnsüchte und Träume und seine sonstigen Ansprüche an das Dasein sind es, die Wissenschaft und Kunst in Bewegung setzen, von Fortschritt zu Fortschritt treiben, von Versuch zu Versuch anspornen. Der Spießbürger ist zur Seele des Staates geworden.“
Erst die Nazis schnitten sie von ihrer Leserschaft ab. Deren Verdikt, das Alice Berend der Vergessenheit anheim fallen ließ, sollte nicht das letzte Wort bleiben. Eine Autorin ist wieder zu entdecken, deren humorvolle Charakterzeichnungen oft überraschend aktuell wirken.
Viele Romane von Alice Berend stehen auf Projekt Gutenberg kostenlos zur Verfügung:
Viele sind auch als Kindle E-Books kostenlos oder günstig herunterzuladen:
Die Bräutigame der Babette Bomberling, Kindle Edition kostenlos
Spreemann und Co., Kindle Edition kostenlos
Das verbrannte Bett, Kindle Edition kostenlos
Frau Tempels Tochter, Kindle Edition kostenlos
Die gute alte Zeit, Kindle Edition kostenlos
Taschenbuchausgaben und antiquarische Ausgaben sind ebenfalls nicht allzu teuer.
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