Sonntag, 3. Oktober 2010

DER BLINDE FLECK DES DISKURSANALYTIKERS

Repräsentation: Velázquez „Las Meninas“ bei Foucault und Alpers

Dir ist egal, was du anhast? Du hasst die Oberflächlichkeit, die sich an Äußerlichkeiten orientiert? Man wird es sehen. Dein Jacket sitzt schlecht. Die Farbe ist undefinierbar. Der Schnitt war vor zwei Jahren angesagt. Deine Hose beult hinten aus. Jeder kann erkennen, dass du auf geistige Werte setzt. Du warnst die Betrachter davor, dich mit Nichtigkeiten zu behelligen. Du repräsentierst : dich.  Man kann nicht nicht repräsentieren.

„Man kann nicht nicht kommunizieren.“, lautet ein gängiger Standardsatz zu Beginn von Kommunikationstrainings. Die Repräsentation ist ein Sonderfall der Kommunikation; eine Form der Meta-Kommunikation. Bei der Repräsentation wird gleichermaßen „etwas“ dargestellt und „jemand“ drückt etwas aus. Zum Beispiel: Es wird dargestellt, dass Äußerlichkeiten unwichtig sind, indem man sie sichtbar vernachlässigt, und es wird ausgedrückt, dass man jemand ist, der Oberflächlichkeit verachtet.  Es geht um beide Ebenen: die Angemessenheit der Darstellungsform gegenüber der „Sache“ und die Intention des Darstellenden. Dabei richtet sich die Repräsentation (als deren Sonderfall wiederum die  - vorgebliche – Repräsentationsvermeidung, also die „Authentizitätsbehauptung“ gelten kann) immer an ein Publikum, an Betrachter, Zuhörer, Leser. Wer eine Repräsentation zu entschlüsseln sucht, wird mithin den darstellenden, ausdrückenden und mitteilenden Charakter der repräsentativen Handlung analysieren müssen.  Diese – und dann wird es spannend – müssen nicht, wie im obigen Beispiel, miteinander zur Deckung gelangen, sondern können sich sehr widersprüchlich aufeinander beziehen.

Zu Beginn von „Die Ordnung der Dinge“ entwickelt Michel Foucault in einer berühmt gewordenen Deutung von Velázquez „Las Meninas“ seinen  Begriff der Repräsentation.  Es gehe in Velázques Gemälde um das „Spiel der Repräsentation“, in dem sich „zwei Formen der Unsichtbarkeit“ überlagerten. Es werde bei Velázquez nicht etwas Verborgenes ans Licht gezerrt und vorgezeigt, sondern das Bild durchquere im Spiegel „das ganze Feld der Repräsentation“.

Quelle: wikimedia.org
Was ist auf „Las Meninas“ zu sehen?  Am linken Bildrand wird der Rahmen von einer Leinwand geschnitten, deren Rückenwand wir sehen. Etwas entfernt von ihr steht, mit Pinsel und Palette in der Hand, dem Betrachter zugewandt der Maler. Neben dem Maler sehen wir die Hoffräulein gruppiert um die junge Infantin. Im Hintergrund öffnet sich eine Tür zu einer Treppe, auf der ein Höfling, gleichfalls dem Betrachter zugewandt, steht. Am der hinteren Wand hängen großformatige Gemälde und links neben der offenen Tür ein Spiegel, in dem sich zwei Gestalten, eine Frau und ein Mann, zeigen.

Foucault analysiert nun die Blickwechsel, die dieses Bild in Gang setzt: Der Maler fixiert nicht sein Bild (die gemalte Leinwand vor ihm), sondern etwas außerhalb des Bildes (der bemalten Leinwand vor uns), nämlich uns: die Betrachter. Zugleich müssten wir, die Betrachter, uns im Spiegel an der hinteren Wand sehen, in dem jedoch nicht wir zu sehen sind, sondern das königliche Paar. Die Augen des Malers, schreibt Foucault, stellen den Betrachter gleichsam „ins Bild“, „zwingen ihn zum Eindringen in das Bild“: „Der Betrachter sieht seine Unsichtbarkeit für den Maler sichtbar geworden und in ein für ihn selbst definitiv unsichtbares Bild transponiert.“ Auf den im Bild unsichtbaren Betrachter sei nicht nur der Maler fixiert, sondern auch die meisten anderen Personen im Bild suchten dessen Blick: die Infantin, eines der Hoffräulein im Vordergrund, die Zwergin, die dunkle Dame im Hintergrund, der Herr auf der Treppe. Dagegen richte sich kein Blick im Bild auf den glänzenden Spiegel an der Wand, der doch den Blick des Betrachters unmittelbar fange: „Der Spiegel reflektiert in der Tat nichts, was sich im selben Raum mit ihm befindet: weder den Maler, der ihm den Rücken zukehrt, noch die Personen in der Mitte des Zimmers.“ Das Schauspiel, das der Spiegel repräsentiert, ist vielmehr das Herrscherpaar, das als Idee vor dem Bild ist. Foucault leitet aus dieser bildlichen Repräsentation der Herrschenden eine dreifache Souveränität ab: „In ihm überlagern sich genau der Blick des Modells im Augenblick, in dem es gemalt wird, der des Betrachters, der die Szene anschaut, und der des Malers im Augenblick, in dem er sein Bild komponiert.“ Das Spiegelbild restituiere als Verzauberung, „was jedem Blick fehlt: dem des Malers das Modell,(...) dem des Königs sein Portrait,(...) dem des Zuschauers das reale Zentrum der Szene.“ Das Spiel der Repräsentation durch den Wechsel von Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit zeige also die Souveränität des Königs wie diejenige des Malers und des Betrachters an. Notwendig, meint Foucault, beschreibe die „reine Repräsentation“, die Velázquez hier erzeuge, das, was sie jeweils repräsentiere, als Leerstelle, als das, was nicht sichtbar werde. Die „reine Repräsentation“ des Gemäldes von Velázquez, meint Foucault, repräsentiere die Repräsentation  - und die Leerstelle, auf der jede Repräsentation gründe, den blinden Fleck, von dem her sie gebildet werde. Der Blick, der sich sehend niemals selbst sieht.

Svetlana Alpers (The Vexation of Art. Velázquez and Others) hat diese Deutung Foucaults aus kunsthistorischer Sicht kritisiert.  Zwar teilt sie Foucaults Interesse an der Darstellungsweise, also an der „Repräsentationsform“, jedoch kritisiert sie, dass er behauptet, in der „klassischen“ Darstellungweise sei das Betrachter-Subjekt im Bild abwesend gewesen. Alpers hält dem entgegen, dass es stets zwei Typen von Bildern gegeben habe: das „Fenster“-Bild und das „Bild auf der Fläche“. Der erste Bild-Typus eröffne dem Betrachter einen Blick in eine fremde Welt, im zweiten schlage sich Welt gleichsam auf der Fläche nieder, wie das „von einer Linse gebündelte Licht auf der Netzhaut des Auges“.  „Der Künstler der ersten Art behauptet: ´Ich sehe die Welt´, während der der zweiten Art zeigt, dass die Welt ´gesehen wird´.“ Beide Formen der „klassischen“ Darstellungsweise repräsentierten mithin schon einen Betrachter.  Alpers nennt prominente Beispiele für beide Sichtweisen: Tizians „Venus von Urbino“ für den „Fenster-Blick“ und Vermeers „Ansicht von Delft“ für den „Welt im Bild niederschlagenden“ Blick.  Während der Künstler mit dem Betrachter im ersten Fall gleichsam vor dem Bild stehe, würden beide im zweiten Fall innerhalb der Bildwelt gedacht.  Das Außergewöhnliche in Velázquez Werk sieht Alpers nun darin, dass es beide „klassischen“ Darstellungsweisen miteinander verbinde: „Das Bild verweigert sich einer festen Deutung – nicht wegen der Abwesenheit des Betrachter-Subjekts, sondern weil es zwei widersprüchliche...Weisen, das Verhältnis des Betrachters und des Bildes zur Welt darzustellen, in der Schwebe hält. Die eine spricht vom Vorrang des vor dem Bild stehenden Betrachters, der das Maß der Welt ist; die andere spricht davon, dass die Welt Vorrang vor jeder menschlichen Anwesenheit und deshalb ihrem Wesen nach unmessbar ist.“

Erkennen Sie im Fenster-Bild das perspektivische Bild der Renaissance wieder, von dem Hans Belting schreibt, er eröffne das „Recht des persönlichen Blicks“ auf die Welt? Und im Niederschlag der Welt im Bild auf der Fläche, im Licht-Bild, die Licht-Theorie Alhazens und das Primat der Proportionalität? Es geht darum, ob sich die Sicht auf die Welt aus der (individuellen) Blickweise ergibt oder ob die Blickweise der für den Betrachtenden undurchschaubaren Welt angemessen sein soll. Insofern sind diese beiden Darstellungsweisen auch Repräsentationen von Weltanschauungen.

Alpers sieht daher im Zentrum des Repräsentationsspiels von „Las Meninas“ keine Leerstelle wie Foucault. Ins Zentrum des Bildes und der Repräsentationen habe er vielmehr die kleine Infantin gerückt: „Sie ist eine Prinzessin, zugleich aber auch ein kleines Mädchen; in ihrer Haltung liegt eine höchst anmutige Selbstbeherrschung, aber gleichzeitigt wird sie vom Hof und von der königlichen Abstammungslinie beherrscht, was durch ihre Plazierung direkt unter dem Spiegelbild der Eltern akzentuiert wird.“ Velázquez, meint Alpers, zeige im Bild, ein „Familienporträt“, dass auch die Art und Weise der Präsenz königlicher Eltern repräsentiere: Sie sind (nur) durch und als Repräsentation gegenwärtig. In „Las Meninas“ werde Velásquez Einsicht in die komplexen Verhältnisse der Repräsentation – der ästhetischen wie der sozialen - bei Hofe sichtbar und damit – repräsentiert: „Wie ´Las Meninas´ zeigt, sieht sich Velásquez als Teil eben jenes Hofes, den er durchschaut.“

Auch der Betrachter Foucault sieht die kleine Prinzessin im Zentrum genau: „Das Zentrum der Gruppe nimmt die kleine Infantin mit ihrem weiten grauen und rosa Kleid ein. Die Prinzessin wendet den Kopf zur Rechten des Bildes, während ihr Oberkörper und die großen Volants des Kleides leicht nach links gehen. Aber der Blick ist genau senkrecht in die Richtung des Betrachters gerichtet, der sich vor dem Bild befindet.“ Der Diskursanalytiker erlebt sich in ihrem Blick (re-)präsent-(iert). Sie dagegen, das weibliche Kind in seiner dynastischen Rolle ist ihm die „Leerstelle“. Indem er genau hier die Leerstelle seiner Interpretation bezeichnet,  repräsentiert sich der (männliche) Philosoph. Und er zeigt den blinden Blick von dessen Selbst-(Repräsentation) an: das Kind und die Frau. Was diese repräsentieren ist offenkundig: das leibliche Subjekt, welches der Reinheit der Repräsentation entgegenstünde. Anderswo hat Foucault es so ausgedrückt: „Viele schreiben, wie wahrscheinlich auch ich, um kein Gesicht mehr zu haben.“ Das ist der Kern der Methode der Diskurstheorie: die (Selbst-)Auslöschung des schreibenden Subjekts. Doch zeigt sich – meine ich – auf dem Grunde dieses Bemühens „Das Denken des Herrn“ (Peter Bürger).

8 Kommentare:

  1. Liebe Melusine,
    wie könnte ich Sie diskret darauf hinweisen, dass einige Links (http://www.blogger.com/goog_*) im Beitrag nicht funktionieren? ; )

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  2. Danke für den Hinweis (der gar nicht diskret sein) muss. Ich hoffe, jetzt klappt es.

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  3. Eigentlich sollte es ein ruhiger Abend werden. Kein Internet, ein wenig noch Hegel und Texte zur Ontologie lesen. Alles recht entspannt und kurzweilig. Sogar den Text von Aléa Torik drüben bei mir schob ich ein wenig zu Seite wegen Müdigkeit. Nun bin ich jedoch hellwach geworden, und es geht textlich in eine andere Richtung, und zwar zu Foucault.

    Es ist dies von Ihnen Präsentierte eine interessante Sicht. Doch sie überzeugt mich nicht. Was die kunstgeschichtliche Klassifizierung betrifft – Foucault beschäftigt sich in „Die Ordnung der Dinge“ ja auch mit Klassifizierungssystemen – mag das auf den ersten Blick angehen: es gibt zwei und womöglich mehr Typen von Bildern. Aber: auch im Fensterbild schlägt sich die Welt in der Fläche nieder. Insofern hakt bereits an dieser Stelle etwas in der Klassifikationstheorie von Alpers. (Ich nehme Alpers nach Ihrer Beschreibung, da ich das Buch nicht gelesen habe.)

    „Alpers sieht daher im Zentrum des Repräsentationsspiels von „Las Meninas“ keine Leerstelle wie Foucault. Ins Zentrum des Bildes und der Repräsentationen habe er vielmehr die kleine Infantin gerückt“

    Nein, und zwar muß man hier unterscheiden zwischen dem Empirischen – sozusagen der Welt der Infantin – und dem Transzendentalen – eben diesen Bedingungen der Möglichkeit von ..., das hier bereits angelegt ist

    Der Mensch rückt in Velasquez Bild an den Platz des Königs. Dies geschieht mit dem Ende des klassischen Diskurses, in dem Sein und Repräsentation noch ihren gemeinsamen Platz fanden. (Siehe hierzu OdD, S. 377) Genau diesen Riß macht das Bild ja – ungewußt – zum Thema. Wie in der Aufteilung Empirisch/Transzendental geht es an Punkte, die nicht mehr im Sichtfeld liegen.

    Insofern ist die Sichtweise Alpers in einem Zeitalter vor der Repräsentationen und damit auch vorkantisch, immer noch interessiert sie die Anordnungen innerhalb des Tableaus. Der Clou in Foucault Deutung ist ja gerade die Leerstelle und das, was aus diesem Tableau herausfällt. Foucaults Deutung von „Las Meninas“ erschließt sich insbesondere vom Kapitel 9 „Der Mensch und sein Doppel“ sehr gut. Was Alpers dagegen anbietet ist, so wie ich das hier lese, zu wenig.

    Anderswo hat Foucault es so ausgedrückt: „Viele schreiben, wie wahrscheinlich auch ich, um kein Gesicht mehr zu haben.“ Das ist der Kern der Methode der Diskurstheorie: die (Selbst-)Auslöschung des schreibenden Subjekts.

    Kaum ist dies der Kern der Diskurstheorie, sowieso sollte Foucault, der in seinem Denken zu facettenreich war und zu viele verschiedene Phasen besaß, man denke nur an den späten Foucault, nicht unter diesem Begriff subsumiert werden. Das ist doch einer der Aspekte von OdD: der Mensch ist jenes Gesicht im Sandstrand; eben an eine Epoche geknüpft, eine geschichtliche Gestalt. Das Subjekt der Moderne ist eine ephemere und für eine kurze Epoche auftauchende Figur. Oder wie es bei Nietzsche an einer Passage heißt, die auch Foucault zitiert: wir sitzen auf dem Rücken eines Tigers, der durch den Dschungel rast. (Ein etwas kitschiger Schluß, doch bei Foucault kann man zuweilen so schön pathetisch werden. Man sollte die Subjektdurchstreichung dann aber auch nicht überstrapazieren.)

    Nein, Alpers Sicht überzeugt nicht. Und das Denken des Herrn ist – wenn schon – eine Wendung, die mit Hegels Kapitel von Herr und Knecht aus der „Phänomenologie“ zu tun hat. Und so einfach werden wir diesen Herrn oder diese Frau des Diskurses auch nicht los. Ein bloßes Durchstreichen, wie Heidegger das mit dem Seyn machte, skizziert nur.

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  4. Lieber Bersarin,
    ich kann auf alle Aspekte, die Sie einwenden, momentan nicht eingehen, möchte aber einige Punkte hervorheben:
    -"den Clou", den Foucaults Deutung anbietet: ich habe ihn verstanden und ich denke, auch Svetlana Alpers hat ihn verstanden; jedoch: er überzeugt nun wiederum uns nicht.
    - auf den entscheidenden Einwand Alpers, der Foucaults Deutung quasi die Grundlage entzieht, gehen Sie gar nicht ein: dass er sich irre, wenn er von "klassischen" Repräsentationen behaupte, in ihnen sei der Betrachter "nicht im Bild". Die Triangle der Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit, die Foucault zeichnet, wäre nur dann "neu" und somit "reine Repräsentation", wenn das stimmte.
    - wann immer (männliche) Philosophen Kunstheoretiker, Dichterfürsten das Wort von der Reinheit in den Mund nehmen (Sie finden es bei Newton, Goethe, Kant, Hegel und hier bei Foucault, um nur eine kleine Kette aufzuziehen), werde ich hellhörig und - misstrauisch. Das reine Denken leugnet - habe ich festgestellt - den (unreinen?) Leib. Das scheint ein Gesetz.
    -in Ihrem letzten Absatz verwenden Sie eine (blind machende, Verzeihen Sie!) Überblendung, die ich nur zu gut kenne: Sie sprechen von Herrn und Knecht, dann fällt Ihnen auf, dass keine Frau vorkommt und - kurzerhand - beziehen Sie sie ei:n "dieser Herr oder diese Frau". So leicht geht es nicht. Die Geschlechterdifferenz geht nicht (und schon gar nicht bruchlos) in anderen Differenzen auf. Herrin und Magd haben, behaupte ich mal, mehr miteinander gemein, als sie mit Herrn bzw. Knecht gemein haben. (Und hier rechne ich schon fest mit Ihrem Widerspruch.)

    Nein, Foucault überzeugt mich nicht. Kein Denken, dass, wo die Frau steht (oder hier; das macht es besonders interessant: die Kindfrau), eine Leerstelle sieht, kann mich überzeugen. Daher überzeugt mich, Sie werden es ahnen, die Philosophie nicht. Sie interessiert mich. Aber ich erkenne, wenn ich die Texte genau lese (und mich nicht vorschnell selbst eingemeinde), dass ich nicht gemeint bin, fast immer, wenn vom Menschen die Rede ist. Der Mensch ist, in diesen Texten, der Mann. Und er hat eine Frau. (oder eben nicht: wie Foucault).

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  5. Ich glaube hier findet ein sehr interessanter Disput über ein geniales Gemälde statt. Einmal aus dem Blickwinkel der Philosophie und zum anderen aus dem Blickwinkel der "gender studies". Beide Blickrichtungen sehen viel Richtiges sind aus ihrer jeweiligen Blickrichtung auch berechtigt. Ich kann den beiden Diskutierenden auf beiden Gebieten sicher nicht das Wasser reichen, hoffe aber, dass am Ende der eingeschränkte Blick beider Richtungen das Gemälde nicht verfehlt. Den Wikipedia-Artikel "Las meninas" finde ich lesenswert und in den Sammelband "Las meninas im Spiegel der Deutungen." Berlin 2001 werde ich mal hineinlesen. Danke für die Anregungen.

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  6. Lieber Bücherblogger, dass mein Blickwinkel einer ist, der das Geschlecht nicht ausblendet (ohne dass ich meine Position den "gender studies" zuordnen wollte), ist ja offensichtlich. Für Svetlana Alpers gilt das nicht. Sie kritisiert als Kunsthistorikerin und vertritt die Auffassung, Foucault übersehe, um seinen Clou landen zu können, wesentliche Entwicklungen in der bildenden Kunst. Der Gender-Aspekt geht allein auf "meine Kappe". Ich schätze Foucault sehr. ("Sexualität und Wahrheit" z.B. hat in mein Denken geradezu "eingeschlagen" und a l l e s verändert.) Aber kein Denker "überzeugt" mich mehr, in dem Sinne, dass er (!) mir "die Welt" erklären könne. Ich frage vielmehr immer, welche Welt es ist, die s i c h hier erklärt.

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  7. Sehr geehrte MelusineB,
    Ihre Haltung gegenüber "philosophischen Größen" ist natürlich selbstverständlich richtig. Eine Philosophie, eine Kunst, die sich keiner Kritik aussetzen würde, ist Indoktrination. Ich finde nur, dass der Blick Foucaults keinen blinden Fleck hat, sondern durchaus einleuchtend ist. Beinahe alle Blicke der dargestellten Personen konzentrieren sich auf das außerhalb des Bildes befindliche Königspaar im Spiegel, auch das der kleinen Infantin. Velasquez selbst, die Hofbediensteten scheinen mir eine Art Anerkennung von dem nur außerhalb des Tableaus befindlichen Herrscherpaares zu erwarten. Die strahlend hell in ihrem Prachtkleid dastehende Prinzessin sonnt sich im Blick ihrer Eltern, vermutlich um Augenblicke später selbst, entweder mit oder ohne die Eltern, gemalt zu werden. Das Besondere an "Las meninas" ist doch gerade, dass hier eine Szene am Hofe dargestellt wird, mit Interaktion der Abgebildeten und kein bloßes Prunk- und Repräsentationsgemälde. Die Repräsentation wird quasi gespiegelt. Das drei Meter hohe Gemälde am linken Bildrand ist vermutlich ein unsichtbares Bild konventioneller Präsentation eines Herrscherpaares. In "Las Meninas" ist diese Repräsentation abstrakt geworden, sie liegt in den vielen Blickperspektiven des Gemäldes. Das Gemälde hält einen Augenblick am Hofe fest, der eben nicht mehr der Repräsentation geschuldet ist, auch nicht der Präsentation der bezaubernden Infantin. Im grunde genommen präsentiert sich hier der Maler selbst. Um dem Königspaar zu gefallen stellt er die Infantin in den Mittelpunkt. Ich glaube nicht, dass man den Blickwinkel aus dem Gemälde heraus oder in das Gemälde hinein gegeneinander ausspielen sollte. Der konvergierende Blickpunkt ausserhalb des Gemäldes stimmt nicht mit dem des Betrachters überein, sondern mit dem des Herrscherpaares, zumindest ist das die Intention des Malers, ungeachtet aller geometrischen Berechnungen. Foucault sieht nicht über die Infantin hinweg und ist auch nicht blind, nur weil er dem männlichen, philosophischem Geschlecht angehört. Ich empfinde das eher als eine gewagte Unterstellung. Die Welt repräsentiert sich eben nur im weiblichen und männlichen Blickwinkel gemeinsam.

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  8. Lieber Bücherblogger,
    gerade Ihre Intepretation widerspricht h derjenigen Foucaults und ist ganz nah bei Alpers, denn sie beharrt ja darauf, dass das Bild die konkreten Macht- und Repräsentationsverhältnisse am Hofe repräsentiert, während Foucault behauptet, es repräsentiere die "reine Repräsentation". Damit bin ich ganz einverstanden. Ich folge nur noch weiter dem Hinweis Alpers darauf, dass ein wesentlicher Teil dieser Macht- und Repräsentationsverhältnisse im Bild das Verhältnis des weiblichen Kindes zu seinen königlichen Eltern betrifft. Und ich behaupte, dass es kein Zufall ist, dass dieses "Zentrum" (der Blickwechsel des Kindes mit dem imaginierten Elternpaar, deren Stelle der Betrachter innehat), bei Foucault keine Rolle spielt, sondern eine "Leerstelle" ist. Ich sagte auch nicht, er sei blind, sondern er habe einen blinden Fleck, wie jede/r von uns: nämlich den Punkt her, von dem wir aus denken. Den können wir naturgemäß nicht sehen. Bei Foucault, denke ich, ist es - wie bei nicht wenigen Philosophen - die Abstammung (die Herkunft aus dem Mutterleib und das eigene Kindsein). (Der späte Foucault - da gebe ich Bersarin recht - hat sich hierin verändert.)

    (Über die Intention des Malers allerdings wage ich keine Aussagen zu machen.)

    Ihrem letzten Satz kann ich nicht folgen: Ich sehe keine Repräsentation von Welt, die einen weiblichen und männlichen Blickwinkel vereint. Aus vielen Gründen. Nur ein ganz pragmatischer: Wir wissen einfach viel, viel mehr über einen männlichen Blickwinkel auf alle möglichen Facetten von Welt. Einen weiblichen müssten wir in vielen Fällen erst freilegen. Für uns selbst und auch historisch. Da liegt noch viel Arbeit vor uns. Und sie muss begleitet werden durch diese: Die Begrenztheit und die "blinden Flecken" männlicher Welt-Sicht auszuloten. Ich bin überzeugt, dass daran auch Männer Interesse haben (wie Ihr Beispiel zeigt) und letztlich davon profitieren werden.

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